Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Der Sozialismus in England Universität unter rund 40V Studenten immerhin ein Drittel für das Thema Die Wirksamkeit der Fabler hat sich auch insofern gezeigt, als in ver¬ Ein anderes eigenartiges Element im englischen Sozialismus, das oft Grenzboten I tgt2 21
Der Sozialismus in England Universität unter rund 40V Studenten immerhin ein Drittel für das Thema Die Wirksamkeit der Fabler hat sich auch insofern gezeigt, als in ver¬ Ein anderes eigenartiges Element im englischen Sozialismus, das oft Grenzboten I tgt2 21
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320586"/> <fw type="header" place="top"> Der Sozialismus in England</fw><lb/> <p xml:id="ID_625" prev="#ID_624"> Universität unter rund 40V Studenten immerhin ein Drittel für das Thema<lb/> eintrat. Man kann sich danach eine Vorstellung machen, wie weit ungefähr an<lb/> den von weniger wohlhabenden Studenten besuchten Universitäten der Sozialismus<lb/> vorgedrungen ist. Auf parlamentarischem Gebiet haben die Fabler eine eigen¬<lb/> artige Stellung. Im Parlament von 1906 saßen einmal elf Fabler, teils als<lb/> Liberale, teils in der Arbeiterpartei. Diese Zahl ist seitdem um drei Sitze<lb/> zurückgegangen. Ebenso sind die Fabler, die sich von Anbeginn an mit Kom¬<lb/> munalmahlen beschäftigten, im Londoner Grafschaftsrat, den sie Jahre hindurch<lb/> praktisch beherrschten, zurückgedrängt worden. Allein das kann in keiner Weise<lb/> einen allgemeinen Rückgang ihres Einflusses bedeuten. Das sind Zufälligkeiten<lb/> des politischen Kampfes. In ihrer Haupttätigkeit, der „Erziehung zum<lb/> Sozialismus" und der „Gewöhnung an Sozialismus", sind sie jedenfalls nach<lb/> wie vor in wachsendem Maße erfolgreich.</p><lb/> <p xml:id="ID_626"> Die Wirksamkeit der Fabler hat sich auch insofern gezeigt, als in ver¬<lb/> schiedenen Berufsorganisationen sozialistische Gruppen entstanden sind, die mit<lb/> der Gesellschaft zwar nicht unmittelbar, aber doch geistig zusammenhängen. So<lb/> gibt es derartige sozialistische Gruppen in dem Staatsbeamtenheer der Lion<lb/> Service (der praktisch alle Beamten außer denen im Heer und in der Marine<lb/> umfaßt), unter den Ärzten, den Volksschullehrern, den Handlungsreisender usw.<lb/> Schließlich aber sind auch sonst noch weitere Kreise in diesen Regionen sozialistisch<lb/> infiziert. Dieser „freie" Sozialismus, wenn man so sagen kann, läßt sich statistisch<lb/> nicht erfassen. Und er hat auch heute uoch keine praktische Bedeutung. Er kann aber<lb/> in einem späteren Stadium der Bewegung von Bedeutung werden, wenn es sich z. B.<lb/> darum handelt, die liberale Partei, die jetzt schon von links her stark mit Sozialismus<lb/> durchtränkt ist, noch weiter auf die sozialistische Bahn zu drängen.</p><lb/> <p xml:id="ID_627"> Ein anderes eigenartiges Element im englischen Sozialismus, das oft<lb/> übersehen wird, bilden die „Clarion-Bruderschaften". Sie haben gleichsam als<lb/> sozialistische Freischärler nicht wenig zur Ausbreitung der Idee namentlich im<lb/> unteren Mittelstand und unter den Arbeitern beigetragen. Entwickelt haben sie<lb/> sich aus Agenturen für die Wochenschrift Clarion, deren Herausgeber der<lb/> berüchtigte Robert Blatchford ist, ein ehemaliger Unteroffizier, der vor etwa<lb/> zwanzig Jahren zur Feder griff und mit seiner populäre» Schreibweise große<lb/> Erfolge erzielte. Der Clariou soll eine Auflage von über achtzigtausend Stück<lb/> wöchentlich haben. Damit würde er bei weitem die größte Auflage aller<lb/> sozialistischen Organe ausweisen. Die „Bruderschaften" nun verbinden mit dem<lb/> Geschäft der Propaganda für das Blatt die politische Tätigkeit der Propaganda<lb/> für den Sozialismus. Sie betreiben eine Stand- und eine Wanderpropaganda,<lb/> letztere, indem sie mit Planwagen im Lande herumziehen, reden und den Clarion<lb/> sowie andere sozialistische Literatur Verkäufer». Blatchford übt so einen starken<lb/> Einfluß zugunsten eines Sozialismus aus, der nicht der wissenschaftliche So-<lb/> zialismus der Fabler, sondern mehr der Stimmungssozialismus der Männer<lb/> auf der Straße ist.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I tgt2 21</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0169]
Der Sozialismus in England
Universität unter rund 40V Studenten immerhin ein Drittel für das Thema
eintrat. Man kann sich danach eine Vorstellung machen, wie weit ungefähr an
den von weniger wohlhabenden Studenten besuchten Universitäten der Sozialismus
vorgedrungen ist. Auf parlamentarischem Gebiet haben die Fabler eine eigen¬
artige Stellung. Im Parlament von 1906 saßen einmal elf Fabler, teils als
Liberale, teils in der Arbeiterpartei. Diese Zahl ist seitdem um drei Sitze
zurückgegangen. Ebenso sind die Fabler, die sich von Anbeginn an mit Kom¬
munalmahlen beschäftigten, im Londoner Grafschaftsrat, den sie Jahre hindurch
praktisch beherrschten, zurückgedrängt worden. Allein das kann in keiner Weise
einen allgemeinen Rückgang ihres Einflusses bedeuten. Das sind Zufälligkeiten
des politischen Kampfes. In ihrer Haupttätigkeit, der „Erziehung zum
Sozialismus" und der „Gewöhnung an Sozialismus", sind sie jedenfalls nach
wie vor in wachsendem Maße erfolgreich.
Die Wirksamkeit der Fabler hat sich auch insofern gezeigt, als in ver¬
schiedenen Berufsorganisationen sozialistische Gruppen entstanden sind, die mit
der Gesellschaft zwar nicht unmittelbar, aber doch geistig zusammenhängen. So
gibt es derartige sozialistische Gruppen in dem Staatsbeamtenheer der Lion
Service (der praktisch alle Beamten außer denen im Heer und in der Marine
umfaßt), unter den Ärzten, den Volksschullehrern, den Handlungsreisender usw.
Schließlich aber sind auch sonst noch weitere Kreise in diesen Regionen sozialistisch
infiziert. Dieser „freie" Sozialismus, wenn man so sagen kann, läßt sich statistisch
nicht erfassen. Und er hat auch heute uoch keine praktische Bedeutung. Er kann aber
in einem späteren Stadium der Bewegung von Bedeutung werden, wenn es sich z. B.
darum handelt, die liberale Partei, die jetzt schon von links her stark mit Sozialismus
durchtränkt ist, noch weiter auf die sozialistische Bahn zu drängen.
Ein anderes eigenartiges Element im englischen Sozialismus, das oft
übersehen wird, bilden die „Clarion-Bruderschaften". Sie haben gleichsam als
sozialistische Freischärler nicht wenig zur Ausbreitung der Idee namentlich im
unteren Mittelstand und unter den Arbeitern beigetragen. Entwickelt haben sie
sich aus Agenturen für die Wochenschrift Clarion, deren Herausgeber der
berüchtigte Robert Blatchford ist, ein ehemaliger Unteroffizier, der vor etwa
zwanzig Jahren zur Feder griff und mit seiner populäre» Schreibweise große
Erfolge erzielte. Der Clariou soll eine Auflage von über achtzigtausend Stück
wöchentlich haben. Damit würde er bei weitem die größte Auflage aller
sozialistischen Organe ausweisen. Die „Bruderschaften" nun verbinden mit dem
Geschäft der Propaganda für das Blatt die politische Tätigkeit der Propaganda
für den Sozialismus. Sie betreiben eine Stand- und eine Wanderpropaganda,
letztere, indem sie mit Planwagen im Lande herumziehen, reden und den Clarion
sowie andere sozialistische Literatur Verkäufer». Blatchford übt so einen starken
Einfluß zugunsten eines Sozialismus aus, der nicht der wissenschaftliche So-
zialismus der Fabler, sondern mehr der Stimmungssozialismus der Männer
auf der Straße ist.
Grenzboten I tgt2 21
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |