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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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William James' Angriff auf das deutsche Geisteswesen

trockeneren Bücher, die zu seiner (Fechners) Verteidigung geschrieben sind. Die¬
jenigen, die diese gräßliche Literatur zu sehen wünschen, mögen sie aufsuchen.
Sie hat ,Disziplinarwert'. Ich aber mag sie nicht einmal in einer Anmerkung
aufzählen. Das einzig Amüsante dabei ist, daß Fechners Kritiker, nachdem sie
seine Theorien in Stücke geschlagen und nicht einen Stein auf dem anderen
gelassen haben, sich dennoch verpflichtet fühlen, alles wieder gut zu machen
und ihm den unvergänglichen Ruhm zuzuschreiben, daß er die Gesetze
zuerst formuliert und dadurch Psychologie zur exakten Wissenschaft (!) gemacht
habe."

Auch die von Fechner begründete deutsche Psychologie stand bei James in
Ungnade. Kennzeichnend dafür ist seine abgedrungene, mit Schmähungen durch¬
mischte, fast möchte mau sagen wütende Anerkennung:

"Binnen weniger Jahre ist in Deutschland eine Psychologie entstanden, die
man mikroskopisch nennen könnte. Sie wird im Versuchsverfahren betrieben. . .
Dies Verfahren verlangt äußerste Geduld, und Hütte kaum in einem Lande ent¬
stehen können, dessen Bewohner imstande sind, etwas langweilig zu finden. Bei
solchen Deutschen wie Weber, Fechner, Vierordt und Wundt gibt es so etwas
offenbar nicht. ... das einfache offene Angriffsverfahren hat getan was es
konnte. Jetzt wird das Geduldsverfahren, ein Aushungern und Zutodequälen
versucht. ... Es ist nichts Großzügiges an diesen neuen Prismen- --, Pendel-
und Chronograph-Philosophen. Sie treiben die Wissenschaft als Geschäftssache
nicht in ritterlicher Art. Was geistreiches Ahnungsvermögen und jener vor¬
nehme Adel, den Cicero für die biste Bedingung zur Einsicht in die Natur hielt,
nicht vermocht haben, das wird ihr Auskundschafter und Schreiben, ihre tödliche
Zähigkeit und fast teuflische Verschmitztheit glücklich noch einmal zuwege bringen."

Wenn wir von der deutschen Psychologie zur Philosophie übergehen, ergeht
es uns nicht besser. -- Weder Kant noch Hegel, weder Schopenhauer noch
Nietzsche fanden vor James' Augen Gnade.

Sehr liebevoll wird auf Kosten der Deutschen Thomas Carlyle behandelt.
"Die finstere Laune eines Schopenhauer oder Nietzsche," schreibt er, -- "und
vielleicht, wiewohl im geringeren Grade, könnte man es auch von unseren! lieben
und traurigen Carlyle sagen -- ist oft eine adelnde Betrübnis; oft auch ist sie
nur schlechte Laune und Eigensinn. Das bittere Geklage der beiden Deutschen
erinnert an die durchdringenden Jammerlaute einer sterbenden Ratte."

Ich glaube, man wird hier bei dem sonst so. zartfühlenden Amerikaner von
einer Entgleisung seines deutschfeindlichen Eifers sprechen müssen, war ihm
doch auch sonst das Wesen des deutschen Genies und der deutschen Größe merk¬
würdig verschlossen. Wo er von Luther spricht, weiß er meist nur seinen
"Pessimismus" zu nennen: ein Zug, der wahrlich Luthers Größe nicht kenn¬
zeichnet. Und Goethe, dessen Jugenddichtung er als "mystisch" bewunderte,
erschien ihn: in seiner klassischen Dichtung als "ein Pedant, zwar ein großartiger
Pedant, aber ein Pedant." -- Goethe!


William James' Angriff auf das deutsche Geisteswesen

trockeneren Bücher, die zu seiner (Fechners) Verteidigung geschrieben sind. Die¬
jenigen, die diese gräßliche Literatur zu sehen wünschen, mögen sie aufsuchen.
Sie hat ,Disziplinarwert'. Ich aber mag sie nicht einmal in einer Anmerkung
aufzählen. Das einzig Amüsante dabei ist, daß Fechners Kritiker, nachdem sie
seine Theorien in Stücke geschlagen und nicht einen Stein auf dem anderen
gelassen haben, sich dennoch verpflichtet fühlen, alles wieder gut zu machen
und ihm den unvergänglichen Ruhm zuzuschreiben, daß er die Gesetze
zuerst formuliert und dadurch Psychologie zur exakten Wissenschaft (!) gemacht
habe."

Auch die von Fechner begründete deutsche Psychologie stand bei James in
Ungnade. Kennzeichnend dafür ist seine abgedrungene, mit Schmähungen durch¬
mischte, fast möchte mau sagen wütende Anerkennung:

„Binnen weniger Jahre ist in Deutschland eine Psychologie entstanden, die
man mikroskopisch nennen könnte. Sie wird im Versuchsverfahren betrieben. . .
Dies Verfahren verlangt äußerste Geduld, und Hütte kaum in einem Lande ent¬
stehen können, dessen Bewohner imstande sind, etwas langweilig zu finden. Bei
solchen Deutschen wie Weber, Fechner, Vierordt und Wundt gibt es so etwas
offenbar nicht. ... das einfache offene Angriffsverfahren hat getan was es
konnte. Jetzt wird das Geduldsverfahren, ein Aushungern und Zutodequälen
versucht. ... Es ist nichts Großzügiges an diesen neuen Prismen- —, Pendel-
und Chronograph-Philosophen. Sie treiben die Wissenschaft als Geschäftssache
nicht in ritterlicher Art. Was geistreiches Ahnungsvermögen und jener vor¬
nehme Adel, den Cicero für die biste Bedingung zur Einsicht in die Natur hielt,
nicht vermocht haben, das wird ihr Auskundschafter und Schreiben, ihre tödliche
Zähigkeit und fast teuflische Verschmitztheit glücklich noch einmal zuwege bringen."

Wenn wir von der deutschen Psychologie zur Philosophie übergehen, ergeht
es uns nicht besser. — Weder Kant noch Hegel, weder Schopenhauer noch
Nietzsche fanden vor James' Augen Gnade.

Sehr liebevoll wird auf Kosten der Deutschen Thomas Carlyle behandelt.
„Die finstere Laune eines Schopenhauer oder Nietzsche," schreibt er, — „und
vielleicht, wiewohl im geringeren Grade, könnte man es auch von unseren! lieben
und traurigen Carlyle sagen — ist oft eine adelnde Betrübnis; oft auch ist sie
nur schlechte Laune und Eigensinn. Das bittere Geklage der beiden Deutschen
erinnert an die durchdringenden Jammerlaute einer sterbenden Ratte."

Ich glaube, man wird hier bei dem sonst so. zartfühlenden Amerikaner von
einer Entgleisung seines deutschfeindlichen Eifers sprechen müssen, war ihm
doch auch sonst das Wesen des deutschen Genies und der deutschen Größe merk¬
würdig verschlossen. Wo er von Luther spricht, weiß er meist nur seinen
„Pessimismus" zu nennen: ein Zug, der wahrlich Luthers Größe nicht kenn¬
zeichnet. Und Goethe, dessen Jugenddichtung er als „mystisch" bewunderte,
erschien ihn: in seiner klassischen Dichtung als „ein Pedant, zwar ein großartiger
Pedant, aber ein Pedant." — Goethe!


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[0124] William James' Angriff auf das deutsche Geisteswesen trockeneren Bücher, die zu seiner (Fechners) Verteidigung geschrieben sind. Die¬ jenigen, die diese gräßliche Literatur zu sehen wünschen, mögen sie aufsuchen. Sie hat ,Disziplinarwert'. Ich aber mag sie nicht einmal in einer Anmerkung aufzählen. Das einzig Amüsante dabei ist, daß Fechners Kritiker, nachdem sie seine Theorien in Stücke geschlagen und nicht einen Stein auf dem anderen gelassen haben, sich dennoch verpflichtet fühlen, alles wieder gut zu machen und ihm den unvergänglichen Ruhm zuzuschreiben, daß er die Gesetze zuerst formuliert und dadurch Psychologie zur exakten Wissenschaft (!) gemacht habe." Auch die von Fechner begründete deutsche Psychologie stand bei James in Ungnade. Kennzeichnend dafür ist seine abgedrungene, mit Schmähungen durch¬ mischte, fast möchte mau sagen wütende Anerkennung: „Binnen weniger Jahre ist in Deutschland eine Psychologie entstanden, die man mikroskopisch nennen könnte. Sie wird im Versuchsverfahren betrieben. . . Dies Verfahren verlangt äußerste Geduld, und Hütte kaum in einem Lande ent¬ stehen können, dessen Bewohner imstande sind, etwas langweilig zu finden. Bei solchen Deutschen wie Weber, Fechner, Vierordt und Wundt gibt es so etwas offenbar nicht. ... das einfache offene Angriffsverfahren hat getan was es konnte. Jetzt wird das Geduldsverfahren, ein Aushungern und Zutodequälen versucht. ... Es ist nichts Großzügiges an diesen neuen Prismen- —, Pendel- und Chronograph-Philosophen. Sie treiben die Wissenschaft als Geschäftssache nicht in ritterlicher Art. Was geistreiches Ahnungsvermögen und jener vor¬ nehme Adel, den Cicero für die biste Bedingung zur Einsicht in die Natur hielt, nicht vermocht haben, das wird ihr Auskundschafter und Schreiben, ihre tödliche Zähigkeit und fast teuflische Verschmitztheit glücklich noch einmal zuwege bringen." Wenn wir von der deutschen Psychologie zur Philosophie übergehen, ergeht es uns nicht besser. — Weder Kant noch Hegel, weder Schopenhauer noch Nietzsche fanden vor James' Augen Gnade. Sehr liebevoll wird auf Kosten der Deutschen Thomas Carlyle behandelt. „Die finstere Laune eines Schopenhauer oder Nietzsche," schreibt er, — „und vielleicht, wiewohl im geringeren Grade, könnte man es auch von unseren! lieben und traurigen Carlyle sagen — ist oft eine adelnde Betrübnis; oft auch ist sie nur schlechte Laune und Eigensinn. Das bittere Geklage der beiden Deutschen erinnert an die durchdringenden Jammerlaute einer sterbenden Ratte." Ich glaube, man wird hier bei dem sonst so. zartfühlenden Amerikaner von einer Entgleisung seines deutschfeindlichen Eifers sprechen müssen, war ihm doch auch sonst das Wesen des deutschen Genies und der deutschen Größe merk¬ würdig verschlossen. Wo er von Luther spricht, weiß er meist nur seinen „Pessimismus" zu nennen: ein Zug, der wahrlich Luthers Größe nicht kenn¬ zeichnet. Und Goethe, dessen Jugenddichtung er als „mystisch" bewunderte, erschien ihn: in seiner klassischen Dichtung als „ein Pedant, zwar ein großartiger Pedant, aber ein Pedant." — Goethe!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/124>, abgerufen am 27.09.2024.