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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Milliam James' Angriff auf das deutsche Gcisteswesen

geschrieben würde als Kausalitütsproblem, Apriori und dergleichen Unsinn. Ich
habe mich gründlich getäuscht. Ich danke Ihnen."

William James pflegte sich auch sonst über deutsches Wesen zu täuschen.
Es sehlte ihm das Verständnis für das Wesen unseres Landes und sür das
Wesen unserer Wissenschaft. So weitherzig er anderen Ländern gegenüber
dachte, so wenig ließ er diese Weitherzigkeit Deutschland zuteil werden. Es ist
nicht zu viel gesagt, daß ihm der deutsche Einfluß in Amerika ein Dorn im
Auge war. Zwar ist es mir aus Erzählungen seiner Freunde bekannt, daß
William James sich bisweilen, namentlich wenn er in unmittelbarer Berührung
mit Deutschen lebte, für das deutsche Wesen geradezu begeistern konnte. So
mochte er sich mit voller Offenherzigkeit nach einem deutschen Vortrag über
deutsche Persönlichkeit im Innersten berührt erklären. So konnte er von Deutsch¬
land aus nach einer Reise durch Frankreich und Italien schreiben: nun endlich
atme er auf, da er wieder männliche Baßstimmen höre. Mit den Deutschen
fühle er sich wieder unter seines Gleichen. Und begeistert äußerte er sich über
deutsches Wesen, als er wenige Wochen vor seinem viel zu früher Tode in
Nauheim weilte.

Persönlich also konnte William James dem Deutschtum gegenüber sehr
freundlich fühlen, und es ist kennzeichnend genug, daß diese deutschfreundliche
Stimmung William James regelmäßig aus der unmittelbaren Berührung mit
wirklichem Deutschtum entsprang. Wäre James auch hier seinem "raclical sm-
pineism" treu geblieben, so hätte sein Bild von deutscher Geistesart den Tat¬
sachen besser entsprochen. So aber überwog bei ihm die von Kindheit über¬
kommene angloamerikanische Voreingenommenheit gegen Deutschland und trübte
sein Urteil immer wieder, sobald er sich von dem unmittelbaren Eindruck des
wirklichen Lebens entfernte. Das zu erweisen, ist die Aufgabe der nachfolgenden
Zeilen.

James als wissenschaftliche Persönlichkeit war Psychologe und Philosoph.
Es wird sich also für uns darum handeln: Wie stellt sich James zu den
großen deutschen Psychologen? Wie zu den großen deutschen Philosophen?

Wenn wir auf die Geschichte der deutschen Psychologie zurückblicken, so
finden wir in ihr zwei Entwicklungsstufen von wahrer Größe. Die eine ist
gekennzeichnet durch den Namen Herbarts und bedeutet die Einordnung der
seelischen Erlebnisse in das Ganze eines zusammenhängenden Wissenschafts¬
bildes; die andere ist durch den Namen Gustav Theodor Fechners gekenn¬
zeichnet und bedeutet den Anfang einer Psychologie als wahrer Wissenschaft:
die Entstehung der sogenannten Experimentalpsychologie.

Zunächst Herbart. Sieht man von allen Einzelheiten ab, so besteht das
eigentliche Wesen der Psychologie Herbarts darin, die Vorstellungen als gewisser¬
maßen selbständige Mächte zu behandeln, die sich untereinander verbinden und
trennen, steigern und hemmen, die sich in's Bewußtsein heben und unter die
Schwelle des Bewußtseins herabsinken. Zweifellos ein außerordentlich glück-


Milliam James' Angriff auf das deutsche Gcisteswesen

geschrieben würde als Kausalitütsproblem, Apriori und dergleichen Unsinn. Ich
habe mich gründlich getäuscht. Ich danke Ihnen."

William James pflegte sich auch sonst über deutsches Wesen zu täuschen.
Es sehlte ihm das Verständnis für das Wesen unseres Landes und sür das
Wesen unserer Wissenschaft. So weitherzig er anderen Ländern gegenüber
dachte, so wenig ließ er diese Weitherzigkeit Deutschland zuteil werden. Es ist
nicht zu viel gesagt, daß ihm der deutsche Einfluß in Amerika ein Dorn im
Auge war. Zwar ist es mir aus Erzählungen seiner Freunde bekannt, daß
William James sich bisweilen, namentlich wenn er in unmittelbarer Berührung
mit Deutschen lebte, für das deutsche Wesen geradezu begeistern konnte. So
mochte er sich mit voller Offenherzigkeit nach einem deutschen Vortrag über
deutsche Persönlichkeit im Innersten berührt erklären. So konnte er von Deutsch¬
land aus nach einer Reise durch Frankreich und Italien schreiben: nun endlich
atme er auf, da er wieder männliche Baßstimmen höre. Mit den Deutschen
fühle er sich wieder unter seines Gleichen. Und begeistert äußerte er sich über
deutsches Wesen, als er wenige Wochen vor seinem viel zu früher Tode in
Nauheim weilte.

Persönlich also konnte William James dem Deutschtum gegenüber sehr
freundlich fühlen, und es ist kennzeichnend genug, daß diese deutschfreundliche
Stimmung William James regelmäßig aus der unmittelbaren Berührung mit
wirklichem Deutschtum entsprang. Wäre James auch hier seinem „raclical sm-
pineism" treu geblieben, so hätte sein Bild von deutscher Geistesart den Tat¬
sachen besser entsprochen. So aber überwog bei ihm die von Kindheit über¬
kommene angloamerikanische Voreingenommenheit gegen Deutschland und trübte
sein Urteil immer wieder, sobald er sich von dem unmittelbaren Eindruck des
wirklichen Lebens entfernte. Das zu erweisen, ist die Aufgabe der nachfolgenden
Zeilen.

James als wissenschaftliche Persönlichkeit war Psychologe und Philosoph.
Es wird sich also für uns darum handeln: Wie stellt sich James zu den
großen deutschen Psychologen? Wie zu den großen deutschen Philosophen?

Wenn wir auf die Geschichte der deutschen Psychologie zurückblicken, so
finden wir in ihr zwei Entwicklungsstufen von wahrer Größe. Die eine ist
gekennzeichnet durch den Namen Herbarts und bedeutet die Einordnung der
seelischen Erlebnisse in das Ganze eines zusammenhängenden Wissenschafts¬
bildes; die andere ist durch den Namen Gustav Theodor Fechners gekenn¬
zeichnet und bedeutet den Anfang einer Psychologie als wahrer Wissenschaft:
die Entstehung der sogenannten Experimentalpsychologie.

Zunächst Herbart. Sieht man von allen Einzelheiten ab, so besteht das
eigentliche Wesen der Psychologie Herbarts darin, die Vorstellungen als gewisser¬
maßen selbständige Mächte zu behandeln, die sich untereinander verbinden und
trennen, steigern und hemmen, die sich in's Bewußtsein heben und unter die
Schwelle des Bewußtseins herabsinken. Zweifellos ein außerordentlich glück-


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[0122] Milliam James' Angriff auf das deutsche Gcisteswesen geschrieben würde als Kausalitütsproblem, Apriori und dergleichen Unsinn. Ich habe mich gründlich getäuscht. Ich danke Ihnen." William James pflegte sich auch sonst über deutsches Wesen zu täuschen. Es sehlte ihm das Verständnis für das Wesen unseres Landes und sür das Wesen unserer Wissenschaft. So weitherzig er anderen Ländern gegenüber dachte, so wenig ließ er diese Weitherzigkeit Deutschland zuteil werden. Es ist nicht zu viel gesagt, daß ihm der deutsche Einfluß in Amerika ein Dorn im Auge war. Zwar ist es mir aus Erzählungen seiner Freunde bekannt, daß William James sich bisweilen, namentlich wenn er in unmittelbarer Berührung mit Deutschen lebte, für das deutsche Wesen geradezu begeistern konnte. So mochte er sich mit voller Offenherzigkeit nach einem deutschen Vortrag über deutsche Persönlichkeit im Innersten berührt erklären. So konnte er von Deutsch¬ land aus nach einer Reise durch Frankreich und Italien schreiben: nun endlich atme er auf, da er wieder männliche Baßstimmen höre. Mit den Deutschen fühle er sich wieder unter seines Gleichen. Und begeistert äußerte er sich über deutsches Wesen, als er wenige Wochen vor seinem viel zu früher Tode in Nauheim weilte. Persönlich also konnte William James dem Deutschtum gegenüber sehr freundlich fühlen, und es ist kennzeichnend genug, daß diese deutschfreundliche Stimmung William James regelmäßig aus der unmittelbaren Berührung mit wirklichem Deutschtum entsprang. Wäre James auch hier seinem „raclical sm- pineism" treu geblieben, so hätte sein Bild von deutscher Geistesart den Tat¬ sachen besser entsprochen. So aber überwog bei ihm die von Kindheit über¬ kommene angloamerikanische Voreingenommenheit gegen Deutschland und trübte sein Urteil immer wieder, sobald er sich von dem unmittelbaren Eindruck des wirklichen Lebens entfernte. Das zu erweisen, ist die Aufgabe der nachfolgenden Zeilen. James als wissenschaftliche Persönlichkeit war Psychologe und Philosoph. Es wird sich also für uns darum handeln: Wie stellt sich James zu den großen deutschen Psychologen? Wie zu den großen deutschen Philosophen? Wenn wir auf die Geschichte der deutschen Psychologie zurückblicken, so finden wir in ihr zwei Entwicklungsstufen von wahrer Größe. Die eine ist gekennzeichnet durch den Namen Herbarts und bedeutet die Einordnung der seelischen Erlebnisse in das Ganze eines zusammenhängenden Wissenschafts¬ bildes; die andere ist durch den Namen Gustav Theodor Fechners gekenn¬ zeichnet und bedeutet den Anfang einer Psychologie als wahrer Wissenschaft: die Entstehung der sogenannten Experimentalpsychologie. Zunächst Herbart. Sieht man von allen Einzelheiten ab, so besteht das eigentliche Wesen der Psychologie Herbarts darin, die Vorstellungen als gewisser¬ maßen selbständige Mächte zu behandeln, die sich untereinander verbinden und trennen, steigern und hemmen, die sich in's Bewußtsein heben und unter die Schwelle des Bewußtseins herabsinken. Zweifellos ein außerordentlich glück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/122>, abgerufen am 27.09.2024.