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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Schutz der deutschen Küste

über das im Frieden neutrale Meer bis an des Feindes Küste schiebt und sie
hier verteidigt; denn soweit nur reicht des Seebefehlshabers Arm. Offensive
insofern, als Seeherrschaft dem Feinde den freier Verkehr auf der See sperrt,
ihm also etwas nimmt, was er vordem besaß. Offensive aber auch insofern,
als der Kampf um die Seeherrschaft nur offensiv geführt werden kann. Denn
der Defensive kann dem Gegner seinen Willen nicht aufzwingen.

Eine enge Blockade der deutschen Nordseeküste würde heute wohl kaum
noch durchführbar sein. Eine moderne Flotte braucht einen nicht zu fernen
Stützpunkt. Sie ist gebunden an Kohlen und Material jeder Art. Die Zeit
der Blockade war die Segelschiffszeit. Solange die Mundvorräte langten,
konnte damals eine Flotte einen Hasen blockieren, weil sie zur Fortbewegung
keines Materials bedürfte, weil der Wind jeden Tag neu ihre Segel blähte.
Anderseits erschwerte eben dieser Wind dem Blockierten ein unbemerktes
Entkommen, weil ihm nur bestimmte Windrichtungen ein Auslaufen ermöglichten,
die, auch dem Gegner bekannt, diesen zu einem schärferen Ausguck veranlaßten.

Die heute dem Schiffe selbst innewohnende Bewegungsfreiheit zwingt den
Blockierenden zu häufiger Heizmaterialergänznug, während sie dem Blockierten
Zeit und Ort des Ausbruchs freistellt, ohne daß bei Nacht und Nebel der
Gegner dies aus irgend welchen Anzeichen schließen kann. Zudem bergen, wie
wir oben gesehen haben, die deutschen Flußmündungen Mittel des Kleinkrieges
jeder Art, die in ihrer heutigen Vervollkommnung einen die Küsten eng blockierenden
Gegner allmählich aufreiben.

Dieser wird also zwischen einer weiten Blockade oder einer bloßen Positions¬
strategie wählen. Eine weite Blockade 'legt die Blockadelinie außerhalb des
eigentlichen Bereichs der Mittel des Kleinkrieges. Durch die Erweiterung der
Aussichtszone für Angriffe durch Unterseeboote werden die Chancen der möglichen
Unterwassernverteidigung beträchlich herabgesetzt. Eine Positionsstrategie disloziert
die feindlichen Geschwader fern der feindlichen Küste in zentralen Stellungen,
so daß sie, selbst gegen unvermutete Angriffe und Überfülle geschützt, einen: etwa
vorbrcchenden, die Entscheidungsschlacht suchenden Feind jederzeit den Weg
abschneiden und ihn durch die rechtzeitige Konzentration aller Machtmittel
vernichten können. Kanal und Nordausgang der Nordsee würden bei solcher
Kriegführung durch feindliche Kreuzer für die deutsche Schiffahrt gesperrt werden.

Eine derartige Handelsblockade legt die Axt an die Wurzel unseres Wohl¬
standes. Zu hindern, daß solch eine Blockade effektiv wird, ist nur
eine zu offensivem Vorstoß geeignete Flotte imstande. Ihre Chancen
liegen darin, daß sie den Zeitpunkt zur Schlacht wählen kann. Sie muß
offensiv vorgehen können, um so, defensiv in ihrer Gesamthaltung, dem Gegner
den eigenen Willen aufzuzwingen.

Daß unser Küstenschutz gegen einen Angriff und gegen Landung ausreichend
scheint, haben wir oben darzulegen versucht. Gegen einen Überfall im tiefsten
Frieden ist kein Kraut gewachsen. Tut ein Gegner das, dann bleibt es immer


Der Schutz der deutschen Küste

über das im Frieden neutrale Meer bis an des Feindes Küste schiebt und sie
hier verteidigt; denn soweit nur reicht des Seebefehlshabers Arm. Offensive
insofern, als Seeherrschaft dem Feinde den freier Verkehr auf der See sperrt,
ihm also etwas nimmt, was er vordem besaß. Offensive aber auch insofern,
als der Kampf um die Seeherrschaft nur offensiv geführt werden kann. Denn
der Defensive kann dem Gegner seinen Willen nicht aufzwingen.

Eine enge Blockade der deutschen Nordseeküste würde heute wohl kaum
noch durchführbar sein. Eine moderne Flotte braucht einen nicht zu fernen
Stützpunkt. Sie ist gebunden an Kohlen und Material jeder Art. Die Zeit
der Blockade war die Segelschiffszeit. Solange die Mundvorräte langten,
konnte damals eine Flotte einen Hasen blockieren, weil sie zur Fortbewegung
keines Materials bedürfte, weil der Wind jeden Tag neu ihre Segel blähte.
Anderseits erschwerte eben dieser Wind dem Blockierten ein unbemerktes
Entkommen, weil ihm nur bestimmte Windrichtungen ein Auslaufen ermöglichten,
die, auch dem Gegner bekannt, diesen zu einem schärferen Ausguck veranlaßten.

Die heute dem Schiffe selbst innewohnende Bewegungsfreiheit zwingt den
Blockierenden zu häufiger Heizmaterialergänznug, während sie dem Blockierten
Zeit und Ort des Ausbruchs freistellt, ohne daß bei Nacht und Nebel der
Gegner dies aus irgend welchen Anzeichen schließen kann. Zudem bergen, wie
wir oben gesehen haben, die deutschen Flußmündungen Mittel des Kleinkrieges
jeder Art, die in ihrer heutigen Vervollkommnung einen die Küsten eng blockierenden
Gegner allmählich aufreiben.

Dieser wird also zwischen einer weiten Blockade oder einer bloßen Positions¬
strategie wählen. Eine weite Blockade 'legt die Blockadelinie außerhalb des
eigentlichen Bereichs der Mittel des Kleinkrieges. Durch die Erweiterung der
Aussichtszone für Angriffe durch Unterseeboote werden die Chancen der möglichen
Unterwassernverteidigung beträchlich herabgesetzt. Eine Positionsstrategie disloziert
die feindlichen Geschwader fern der feindlichen Küste in zentralen Stellungen,
so daß sie, selbst gegen unvermutete Angriffe und Überfülle geschützt, einen: etwa
vorbrcchenden, die Entscheidungsschlacht suchenden Feind jederzeit den Weg
abschneiden und ihn durch die rechtzeitige Konzentration aller Machtmittel
vernichten können. Kanal und Nordausgang der Nordsee würden bei solcher
Kriegführung durch feindliche Kreuzer für die deutsche Schiffahrt gesperrt werden.

Eine derartige Handelsblockade legt die Axt an die Wurzel unseres Wohl¬
standes. Zu hindern, daß solch eine Blockade effektiv wird, ist nur
eine zu offensivem Vorstoß geeignete Flotte imstande. Ihre Chancen
liegen darin, daß sie den Zeitpunkt zur Schlacht wählen kann. Sie muß
offensiv vorgehen können, um so, defensiv in ihrer Gesamthaltung, dem Gegner
den eigenen Willen aufzuzwingen.

Daß unser Küstenschutz gegen einen Angriff und gegen Landung ausreichend
scheint, haben wir oben darzulegen versucht. Gegen einen Überfall im tiefsten
Frieden ist kein Kraut gewachsen. Tut ein Gegner das, dann bleibt es immer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/119>, abgerufen am 20.10.2024.