Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe aus China

Als einmal ein Engländerjüngling, der bei den Customs angestellt war, in
Tamsui auf Formosa, wo M. früher Konsul war, in betrunkenen Zustande das
deutsche Konsulatsschild herunterriß, verlangte er seine sofortige Dienstentlassung
und setzte sie auch durch. Der Vorgesetzte jenes Jünglings gab sich die größte
Mühe, Dr. M. weich zu stimmen, indem er ihm sagte, der junge Mann sei
sonst ein braver Mensch, der ganz unbemittelt sei und seine alte Mutter zu
ernähren habe. Daraufhin erklärte M, daß der junge Mann ihm persönlich
unendlich leid tue, daß er aber als Vertreter des Deutschen Reiches auf der
sofortigen Entlassung bestehen müsse. Im übrigen sei er herzlich gern bereit,
ihm zu helfen, und als deutscher Gentleman eröffnete er eine Kollekte, indem
er zugleich als erster eine große Summe zeichnete. Natürlich konnten nun die
Becfs nicht hinter ihm zurückbleiben und mußten ebenfalls blechen. Der junge
Mann aber wurde auf seine heimatliche Insel zurückgeschickt und kann nun in
Muße darüber nachdenken, daß man sich mit dem Deutschen Reiche und seinen
Vertretern nicht ungestraft englische Späße erlauben darf. Vor seiner Abreise
kam er noch zu M. und bedankte sich für die Hilfe.

Amoy ist landschaftlich und durch seine schönen Tempelbauten sehr interessant.
Den Hintergrund bilden kahle scharfgezackte hohe Gebirgsketten, während das
Hügelgelände an der Küste mit zahllosen mächtigen Felsblöcken von ganz
grotesken Formen besät ist, zwischen denen allenthalben malerische kleine Tempel
hervorgucken. Wir machten gestern einen sehr genußreichen Ausflug in die
nächste Umgebung Amoys. In dem Gebirge wimmelt es von Tigern, die
zuzeiten auch Streifzüge in die Vorstädte unternehmen. Einmal kam sogar
ein mächtiger Tiger von Amoy nach Kulangsu herübergeschwommen. Kulangsu
ist nämlich die reizend malerische Insel, auf der die Europäer wohnen (während
ihre Geschäftsbüreaus in Amoy sind).

Heute nachmittag fahren wir nach Hongkong zurück und hoffen sehr, daß
der Dampfer unterwegs einige Stunden vor Swatou liegen bleibt. Es ist sehr
stürmisch und wird wohl eine recht bewegte Fahrt geben. In Hongkong halten
loir uns so kurz wie möglich auf und gehen gleich nach Canton weiter, wo
wir unsere Tage in China beschließen wollen. Es wird ein schwerer Abschied
werden. -- Hoffentlich finden wir in Canton wieder einen Brief von Dir vor.
Es wird uns alles von Shanghai dorthin nachgeschickt. In Shanghai war
es diesmal sehr nett. Zum Abschiede hatten sich Knappes und Zimmermann
auf dem Landungsplatze eingefunden. Sie waren alle reizend nett gegen Ms,
und wir haben wohl so manche liebe Freunde hier im Osten gefunden.....

Schluß.




Briefe aus China

Als einmal ein Engländerjüngling, der bei den Customs angestellt war, in
Tamsui auf Formosa, wo M. früher Konsul war, in betrunkenen Zustande das
deutsche Konsulatsschild herunterriß, verlangte er seine sofortige Dienstentlassung
und setzte sie auch durch. Der Vorgesetzte jenes Jünglings gab sich die größte
Mühe, Dr. M. weich zu stimmen, indem er ihm sagte, der junge Mann sei
sonst ein braver Mensch, der ganz unbemittelt sei und seine alte Mutter zu
ernähren habe. Daraufhin erklärte M, daß der junge Mann ihm persönlich
unendlich leid tue, daß er aber als Vertreter des Deutschen Reiches auf der
sofortigen Entlassung bestehen müsse. Im übrigen sei er herzlich gern bereit,
ihm zu helfen, und als deutscher Gentleman eröffnete er eine Kollekte, indem
er zugleich als erster eine große Summe zeichnete. Natürlich konnten nun die
Becfs nicht hinter ihm zurückbleiben und mußten ebenfalls blechen. Der junge
Mann aber wurde auf seine heimatliche Insel zurückgeschickt und kann nun in
Muße darüber nachdenken, daß man sich mit dem Deutschen Reiche und seinen
Vertretern nicht ungestraft englische Späße erlauben darf. Vor seiner Abreise
kam er noch zu M. und bedankte sich für die Hilfe.

Amoy ist landschaftlich und durch seine schönen Tempelbauten sehr interessant.
Den Hintergrund bilden kahle scharfgezackte hohe Gebirgsketten, während das
Hügelgelände an der Küste mit zahllosen mächtigen Felsblöcken von ganz
grotesken Formen besät ist, zwischen denen allenthalben malerische kleine Tempel
hervorgucken. Wir machten gestern einen sehr genußreichen Ausflug in die
nächste Umgebung Amoys. In dem Gebirge wimmelt es von Tigern, die
zuzeiten auch Streifzüge in die Vorstädte unternehmen. Einmal kam sogar
ein mächtiger Tiger von Amoy nach Kulangsu herübergeschwommen. Kulangsu
ist nämlich die reizend malerische Insel, auf der die Europäer wohnen (während
ihre Geschäftsbüreaus in Amoy sind).

Heute nachmittag fahren wir nach Hongkong zurück und hoffen sehr, daß
der Dampfer unterwegs einige Stunden vor Swatou liegen bleibt. Es ist sehr
stürmisch und wird wohl eine recht bewegte Fahrt geben. In Hongkong halten
loir uns so kurz wie möglich auf und gehen gleich nach Canton weiter, wo
wir unsere Tage in China beschließen wollen. Es wird ein schwerer Abschied
werden. — Hoffentlich finden wir in Canton wieder einen Brief von Dir vor.
Es wird uns alles von Shanghai dorthin nachgeschickt. In Shanghai war
es diesmal sehr nett. Zum Abschiede hatten sich Knappes und Zimmermann
auf dem Landungsplatze eingefunden. Sie waren alle reizend nett gegen Ms,
und wir haben wohl so manche liebe Freunde hier im Osten gefunden.....

Schluß.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0655" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320256"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe aus China</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2801" prev="#ID_2800"> Als einmal ein Engländerjüngling, der bei den Customs angestellt war, in<lb/>
Tamsui auf Formosa, wo M. früher Konsul war, in betrunkenen Zustande das<lb/>
deutsche Konsulatsschild herunterriß, verlangte er seine sofortige Dienstentlassung<lb/>
und setzte sie auch durch. Der Vorgesetzte jenes Jünglings gab sich die größte<lb/>
Mühe, Dr. M. weich zu stimmen, indem er ihm sagte, der junge Mann sei<lb/>
sonst ein braver Mensch, der ganz unbemittelt sei und seine alte Mutter zu<lb/>
ernähren habe. Daraufhin erklärte M, daß der junge Mann ihm persönlich<lb/>
unendlich leid tue, daß er aber als Vertreter des Deutschen Reiches auf der<lb/>
sofortigen Entlassung bestehen müsse. Im übrigen sei er herzlich gern bereit,<lb/>
ihm zu helfen, und als deutscher Gentleman eröffnete er eine Kollekte, indem<lb/>
er zugleich als erster eine große Summe zeichnete. Natürlich konnten nun die<lb/>
Becfs nicht hinter ihm zurückbleiben und mußten ebenfalls blechen. Der junge<lb/>
Mann aber wurde auf seine heimatliche Insel zurückgeschickt und kann nun in<lb/>
Muße darüber nachdenken, daß man sich mit dem Deutschen Reiche und seinen<lb/>
Vertretern nicht ungestraft englische Späße erlauben darf. Vor seiner Abreise<lb/>
kam er noch zu M. und bedankte sich für die Hilfe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2802"> Amoy ist landschaftlich und durch seine schönen Tempelbauten sehr interessant.<lb/>
Den Hintergrund bilden kahle scharfgezackte hohe Gebirgsketten, während das<lb/>
Hügelgelände an der Küste mit zahllosen mächtigen Felsblöcken von ganz<lb/>
grotesken Formen besät ist, zwischen denen allenthalben malerische kleine Tempel<lb/>
hervorgucken. Wir machten gestern einen sehr genußreichen Ausflug in die<lb/>
nächste Umgebung Amoys. In dem Gebirge wimmelt es von Tigern, die<lb/>
zuzeiten auch Streifzüge in die Vorstädte unternehmen. Einmal kam sogar<lb/>
ein mächtiger Tiger von Amoy nach Kulangsu herübergeschwommen. Kulangsu<lb/>
ist nämlich die reizend malerische Insel, auf der die Europäer wohnen (während<lb/>
ihre Geschäftsbüreaus in Amoy sind).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2803"> Heute nachmittag fahren wir nach Hongkong zurück und hoffen sehr, daß<lb/>
der Dampfer unterwegs einige Stunden vor Swatou liegen bleibt. Es ist sehr<lb/>
stürmisch und wird wohl eine recht bewegte Fahrt geben. In Hongkong halten<lb/>
loir uns so kurz wie möglich auf und gehen gleich nach Canton weiter, wo<lb/>
wir unsere Tage in China beschließen wollen. Es wird ein schwerer Abschied<lb/>
werden. &#x2014; Hoffentlich finden wir in Canton wieder einen Brief von Dir vor.<lb/>
Es wird uns alles von Shanghai dorthin nachgeschickt. In Shanghai war<lb/>
es diesmal sehr nett. Zum Abschiede hatten sich Knappes und Zimmermann<lb/>
auf dem Landungsplatze eingefunden. Sie waren alle reizend nett gegen Ms,<lb/>
und wir haben wohl so manche liebe Freunde hier im Osten gefunden.....</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2804"> Schluß.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0655] Briefe aus China Als einmal ein Engländerjüngling, der bei den Customs angestellt war, in Tamsui auf Formosa, wo M. früher Konsul war, in betrunkenen Zustande das deutsche Konsulatsschild herunterriß, verlangte er seine sofortige Dienstentlassung und setzte sie auch durch. Der Vorgesetzte jenes Jünglings gab sich die größte Mühe, Dr. M. weich zu stimmen, indem er ihm sagte, der junge Mann sei sonst ein braver Mensch, der ganz unbemittelt sei und seine alte Mutter zu ernähren habe. Daraufhin erklärte M, daß der junge Mann ihm persönlich unendlich leid tue, daß er aber als Vertreter des Deutschen Reiches auf der sofortigen Entlassung bestehen müsse. Im übrigen sei er herzlich gern bereit, ihm zu helfen, und als deutscher Gentleman eröffnete er eine Kollekte, indem er zugleich als erster eine große Summe zeichnete. Natürlich konnten nun die Becfs nicht hinter ihm zurückbleiben und mußten ebenfalls blechen. Der junge Mann aber wurde auf seine heimatliche Insel zurückgeschickt und kann nun in Muße darüber nachdenken, daß man sich mit dem Deutschen Reiche und seinen Vertretern nicht ungestraft englische Späße erlauben darf. Vor seiner Abreise kam er noch zu M. und bedankte sich für die Hilfe. Amoy ist landschaftlich und durch seine schönen Tempelbauten sehr interessant. Den Hintergrund bilden kahle scharfgezackte hohe Gebirgsketten, während das Hügelgelände an der Küste mit zahllosen mächtigen Felsblöcken von ganz grotesken Formen besät ist, zwischen denen allenthalben malerische kleine Tempel hervorgucken. Wir machten gestern einen sehr genußreichen Ausflug in die nächste Umgebung Amoys. In dem Gebirge wimmelt es von Tigern, die zuzeiten auch Streifzüge in die Vorstädte unternehmen. Einmal kam sogar ein mächtiger Tiger von Amoy nach Kulangsu herübergeschwommen. Kulangsu ist nämlich die reizend malerische Insel, auf der die Europäer wohnen (während ihre Geschäftsbüreaus in Amoy sind). Heute nachmittag fahren wir nach Hongkong zurück und hoffen sehr, daß der Dampfer unterwegs einige Stunden vor Swatou liegen bleibt. Es ist sehr stürmisch und wird wohl eine recht bewegte Fahrt geben. In Hongkong halten loir uns so kurz wie möglich auf und gehen gleich nach Canton weiter, wo wir unsere Tage in China beschließen wollen. Es wird ein schwerer Abschied werden. — Hoffentlich finden wir in Canton wieder einen Brief von Dir vor. Es wird uns alles von Shanghai dorthin nachgeschickt. In Shanghai war es diesmal sehr nett. Zum Abschiede hatten sich Knappes und Zimmermann auf dem Landungsplatze eingefunden. Sie waren alle reizend nett gegen Ms, und wir haben wohl so manche liebe Freunde hier im Osten gefunden..... Schluß.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/655
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/655>, abgerufen am 03.07.2024.