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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Aus dem Aönigreich Hellas

des Auslandes verlassen, ihr Können aber doch vielfach überschätzt. Ein
Telegramm seiner Schwester, der Kaiserin Mutter von Rußland Maria
Feodorowna: "kaltes vns" hatte das Vorspiel beschleunigt. Zu früh für die
hellenischen Rüstungen landete der königliche Flügeladjutant und Oberst Vassos
mit einem kleinen Detachement aller Waffen auf Kreta (Februar 1897). Als
die Türkei schließlich über die ewigen Reizungen der von der Ethnike Hetairia
geschaffenen Aufstände in Mazedonien ergrimmt im April 1897 den Krieg erklärt
hatte, da stand Hellas gegen alles Erwarten ohne jeden Bundesgenossen
im Felde. Der Krieg wurde unglücklich geführt. Hört man die Er¬
zählungen der Teilnehmer desselben, durchblättert man den vom Kronprinzen
Konstantin veranlaßten, vom Hauptmann Dusmanis geschriebenen Rechenschafts-
bericht und die vielen von den Mitkämpfern, höheren Offizieren, verfaßten
Broschüren, so z. B. die von Makrys und Kaklamanos, so zeigt sich ein
geradezu unheilvoller Einfluß des Kriegsrates in Athen auf die Operationen
im Felde. Unrecht ist es, die schlechte Kriegführung, wie es später geschehen
ist, dem Kronprinzen Konstantin als Höchstkommmandierendem in die Schuhe
zu schieben. Auch über die hellenische Armee ist nur zu schnell der Stab
gebrochen worden. Man vergißt, daß Teile derselben Armee, die bei Larissa
in eine gewaltige Panik verwickelt waren, kurz vorher bei Turnavos, später
bei Welcstino unter dem energischen Obersten Smolenski tapferen Widerstand
geleistet, ja Erfolge davongetragen haben.

Dem hellenischen Volksempfinden hatte dieser Krieg schwere Wunden
geschlagen. Die Zahlung der für das kleine Land sehr hohen Kriegsentschädigung
von rund 100 Millionen Francs führte, da der hellenische Staatssäckel schon
unter normalen Verhältnissen stets notleidend zu sein pflegte, zur Einsetzung
einer internationalen Kommission zur Kontrolle der hellenischen Finanzen. Das
hellenische Prestige auf der ganzen Balkanhalbinsel hatte einen geradezu ver¬
nichtenden Schlag erhalten. Besonders war dies auf dem alten politischen
Kampffelde in Mazedonien zu verspüren. Rührig traten hier vor allem die
Bulgaren, dann die Serben und gar die Rumänen auf den Platz. Bulgarische
und türkische Übergriffe gegen das hellenische Element waren an der Tages¬
ordnung -- aber nicht in Mazedonien allein. So wurde im Fürstentum
Bulgarien, wenn auch nicht unter tätiger Beihilfe, jedenfalls aber mit still¬
schweigender Duldung der Behörden, die Stadt Amchialos an der Bucht von
Burgas, Sitz eines griechischen Erzbischofs, mit ihren hellenischen Einwohnern
vollständig niedergebrannt. Auf hellenischer Seite griff man in Mazedonien
zu einem verzweifelten Rettungsmittel. Ein früherer aktiver Offizier, Paul
Mellas, Schwiegersohn des Ministers Dragumis, des Vorgängers des Minister¬
präsidenten Venizelos, organisierte Banden, die den Bulgaren mit den Waffen
in der Hand entgegentraten. Er selbst fiel bei einer derartigen Gelegenheit in
der Nähe von Kastoria. Andere traten an seine Stelle. Es scheint, daß die
Türkei zunächst diese Banden geschont und als willkommenes Element gegen


Aus dem Aönigreich Hellas

des Auslandes verlassen, ihr Können aber doch vielfach überschätzt. Ein
Telegramm seiner Schwester, der Kaiserin Mutter von Rußland Maria
Feodorowna: „kaltes vns" hatte das Vorspiel beschleunigt. Zu früh für die
hellenischen Rüstungen landete der königliche Flügeladjutant und Oberst Vassos
mit einem kleinen Detachement aller Waffen auf Kreta (Februar 1897). Als
die Türkei schließlich über die ewigen Reizungen der von der Ethnike Hetairia
geschaffenen Aufstände in Mazedonien ergrimmt im April 1897 den Krieg erklärt
hatte, da stand Hellas gegen alles Erwarten ohne jeden Bundesgenossen
im Felde. Der Krieg wurde unglücklich geführt. Hört man die Er¬
zählungen der Teilnehmer desselben, durchblättert man den vom Kronprinzen
Konstantin veranlaßten, vom Hauptmann Dusmanis geschriebenen Rechenschafts-
bericht und die vielen von den Mitkämpfern, höheren Offizieren, verfaßten
Broschüren, so z. B. die von Makrys und Kaklamanos, so zeigt sich ein
geradezu unheilvoller Einfluß des Kriegsrates in Athen auf die Operationen
im Felde. Unrecht ist es, die schlechte Kriegführung, wie es später geschehen
ist, dem Kronprinzen Konstantin als Höchstkommmandierendem in die Schuhe
zu schieben. Auch über die hellenische Armee ist nur zu schnell der Stab
gebrochen worden. Man vergißt, daß Teile derselben Armee, die bei Larissa
in eine gewaltige Panik verwickelt waren, kurz vorher bei Turnavos, später
bei Welcstino unter dem energischen Obersten Smolenski tapferen Widerstand
geleistet, ja Erfolge davongetragen haben.

Dem hellenischen Volksempfinden hatte dieser Krieg schwere Wunden
geschlagen. Die Zahlung der für das kleine Land sehr hohen Kriegsentschädigung
von rund 100 Millionen Francs führte, da der hellenische Staatssäckel schon
unter normalen Verhältnissen stets notleidend zu sein pflegte, zur Einsetzung
einer internationalen Kommission zur Kontrolle der hellenischen Finanzen. Das
hellenische Prestige auf der ganzen Balkanhalbinsel hatte einen geradezu ver¬
nichtenden Schlag erhalten. Besonders war dies auf dem alten politischen
Kampffelde in Mazedonien zu verspüren. Rührig traten hier vor allem die
Bulgaren, dann die Serben und gar die Rumänen auf den Platz. Bulgarische
und türkische Übergriffe gegen das hellenische Element waren an der Tages¬
ordnung — aber nicht in Mazedonien allein. So wurde im Fürstentum
Bulgarien, wenn auch nicht unter tätiger Beihilfe, jedenfalls aber mit still¬
schweigender Duldung der Behörden, die Stadt Amchialos an der Bucht von
Burgas, Sitz eines griechischen Erzbischofs, mit ihren hellenischen Einwohnern
vollständig niedergebrannt. Auf hellenischer Seite griff man in Mazedonien
zu einem verzweifelten Rettungsmittel. Ein früherer aktiver Offizier, Paul
Mellas, Schwiegersohn des Ministers Dragumis, des Vorgängers des Minister¬
präsidenten Venizelos, organisierte Banden, die den Bulgaren mit den Waffen
in der Hand entgegentraten. Er selbst fiel bei einer derartigen Gelegenheit in
der Nähe von Kastoria. Andere traten an seine Stelle. Es scheint, daß die
Türkei zunächst diese Banden geschont und als willkommenes Element gegen


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[0062] Aus dem Aönigreich Hellas des Auslandes verlassen, ihr Können aber doch vielfach überschätzt. Ein Telegramm seiner Schwester, der Kaiserin Mutter von Rußland Maria Feodorowna: „kaltes vns" hatte das Vorspiel beschleunigt. Zu früh für die hellenischen Rüstungen landete der königliche Flügeladjutant und Oberst Vassos mit einem kleinen Detachement aller Waffen auf Kreta (Februar 1897). Als die Türkei schließlich über die ewigen Reizungen der von der Ethnike Hetairia geschaffenen Aufstände in Mazedonien ergrimmt im April 1897 den Krieg erklärt hatte, da stand Hellas gegen alles Erwarten ohne jeden Bundesgenossen im Felde. Der Krieg wurde unglücklich geführt. Hört man die Er¬ zählungen der Teilnehmer desselben, durchblättert man den vom Kronprinzen Konstantin veranlaßten, vom Hauptmann Dusmanis geschriebenen Rechenschafts- bericht und die vielen von den Mitkämpfern, höheren Offizieren, verfaßten Broschüren, so z. B. die von Makrys und Kaklamanos, so zeigt sich ein geradezu unheilvoller Einfluß des Kriegsrates in Athen auf die Operationen im Felde. Unrecht ist es, die schlechte Kriegführung, wie es später geschehen ist, dem Kronprinzen Konstantin als Höchstkommmandierendem in die Schuhe zu schieben. Auch über die hellenische Armee ist nur zu schnell der Stab gebrochen worden. Man vergißt, daß Teile derselben Armee, die bei Larissa in eine gewaltige Panik verwickelt waren, kurz vorher bei Turnavos, später bei Welcstino unter dem energischen Obersten Smolenski tapferen Widerstand geleistet, ja Erfolge davongetragen haben. Dem hellenischen Volksempfinden hatte dieser Krieg schwere Wunden geschlagen. Die Zahlung der für das kleine Land sehr hohen Kriegsentschädigung von rund 100 Millionen Francs führte, da der hellenische Staatssäckel schon unter normalen Verhältnissen stets notleidend zu sein pflegte, zur Einsetzung einer internationalen Kommission zur Kontrolle der hellenischen Finanzen. Das hellenische Prestige auf der ganzen Balkanhalbinsel hatte einen geradezu ver¬ nichtenden Schlag erhalten. Besonders war dies auf dem alten politischen Kampffelde in Mazedonien zu verspüren. Rührig traten hier vor allem die Bulgaren, dann die Serben und gar die Rumänen auf den Platz. Bulgarische und türkische Übergriffe gegen das hellenische Element waren an der Tages¬ ordnung — aber nicht in Mazedonien allein. So wurde im Fürstentum Bulgarien, wenn auch nicht unter tätiger Beihilfe, jedenfalls aber mit still¬ schweigender Duldung der Behörden, die Stadt Amchialos an der Bucht von Burgas, Sitz eines griechischen Erzbischofs, mit ihren hellenischen Einwohnern vollständig niedergebrannt. Auf hellenischer Seite griff man in Mazedonien zu einem verzweifelten Rettungsmittel. Ein früherer aktiver Offizier, Paul Mellas, Schwiegersohn des Ministers Dragumis, des Vorgängers des Minister¬ präsidenten Venizelos, organisierte Banden, die den Bulgaren mit den Waffen in der Hand entgegentraten. Er selbst fiel bei einer derartigen Gelegenheit in der Nähe von Kastoria. Andere traten an seine Stelle. Es scheint, daß die Türkei zunächst diese Banden geschont und als willkommenes Element gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/62>, abgerufen am 03.07.2024.