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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe ans China

An seine Schwester.

Peking, den 23. Februar 1898.


Meine liebe Weinandel

. . . Heute sitze ich mit meinem Schnupfen allein zu Hause, während Lilly
auf einem Diner bei H.'s ist. Ich habe im letzten Moment abgesagt, aus Furcht,
daß bei dem beständigen Schnäuzen, Schnaufen und Schniefen meine übrigen
gesellschaftlichen Reize nicht gebührend zur Geltung kommen würden.

Herr v. H. war übrigens so liebenswürdig, sich gestern persönlich nach
meinem werten Befinden zu erkundigen und ganze zwei Stunden bei uns zu
sitzen. Wenn man mit ihm allein ist, legt er seine Diplomaten-Allüren ganz
ab und gibt sich wie er ist, gemütlich und ohne Ziererei. Er sprach viel über
Dorpat und seine dortige Studentenzeit, auch manches andere über Politik;
klagt, daß man ihm jetzt, nachdem die Chinesen alles, und weit mehr als
ursprünglich von ihnen verlangt worden, bewilligt hätten, von Berlin aus die
Arbeit erschwere, indem man nachträglich fortwährend mit neuen Forderungen
angerückt komme.

H. hat wirklich mehr Glück als -- andere Leute und kann mit seinem
Coup zufrieden sein, und das muß man den beiden katholischen Missionaren
lassen: sie hätten keinen geeigneteren Zeitpunkt wählen können, um sich abmurksen
zu lassen, als sie es eben getan haben. Unser Prestige hier im Osten ist durch
diesen energischen Schritt geradezu emporgeschnellt. Die Engländer jubilieren --
natürlich nicht aus Liebe, sondern erstens, weil Rußland den Hafen nun hoffentlich
nicht bekommt, und zweitens, weil sie nun in einem ähnlichen Falle ähnlich
vorzugehen hoffen und bereits sehnsuchtsvolle Blicke nach einem begehrenswerter
Stückchen Festland gegenüber Hongkong hinüberwerfen, das sie aus strategischen
Gründen auch wirklich haben müssen, um ihre Insel dauernd behaupten zu
können. Jetzt heißt es aber auch: "Halte, was du hast!" und wenn die deutsche
Regierung diesen Grundsatz nicht mit aller Energie versieht und befolgt, dann
ist es ein für allemal um unser Ansehen in Ostasien geschehen.

Der alte Li Hung-chcmg soll neulich in einer Sitzung die bitteren Be¬
merkungen gemacht haben, man scheine in Berlin Shautung als eine deutsche
Provinz behandeln zu wollen. Das ist soweit alles ganz schön, nur soll man
dann wenigstens die Rolle des Tartüffe aufgeben und nicht von den armen
chinesischen "Heiden" verlangen, daß sie sich den Segnungen der christlichen
Kultur katholischer oder protestantischer Observanz kopfüber in die Arme werfen.
Der Chinese ist Praktiker, und wo sich Theorie und Praxis so wenig decken
wie in den Lehren und Erscheinungsformen des Christentums, da gilt ihm die
Theorie herzlich wenig. Wenn der liebe Gott pfeifen kann, was ich ja nicht
weiß, dann pfeift auch er jedenfalls auf die sogenannte christliche Kultur.
Jedenfalls lacht er sich eins ins Fäustchen und beschließt im stillen, auf
hunderttausend heidnische Chinesen je einen christlichen Diplomaten in den Himmel
aufzunehmen.


Briefe ans China

An seine Schwester.

Peking, den 23. Februar 1898.


Meine liebe Weinandel

. . . Heute sitze ich mit meinem Schnupfen allein zu Hause, während Lilly
auf einem Diner bei H.'s ist. Ich habe im letzten Moment abgesagt, aus Furcht,
daß bei dem beständigen Schnäuzen, Schnaufen und Schniefen meine übrigen
gesellschaftlichen Reize nicht gebührend zur Geltung kommen würden.

Herr v. H. war übrigens so liebenswürdig, sich gestern persönlich nach
meinem werten Befinden zu erkundigen und ganze zwei Stunden bei uns zu
sitzen. Wenn man mit ihm allein ist, legt er seine Diplomaten-Allüren ganz
ab und gibt sich wie er ist, gemütlich und ohne Ziererei. Er sprach viel über
Dorpat und seine dortige Studentenzeit, auch manches andere über Politik;
klagt, daß man ihm jetzt, nachdem die Chinesen alles, und weit mehr als
ursprünglich von ihnen verlangt worden, bewilligt hätten, von Berlin aus die
Arbeit erschwere, indem man nachträglich fortwährend mit neuen Forderungen
angerückt komme.

H. hat wirklich mehr Glück als — andere Leute und kann mit seinem
Coup zufrieden sein, und das muß man den beiden katholischen Missionaren
lassen: sie hätten keinen geeigneteren Zeitpunkt wählen können, um sich abmurksen
zu lassen, als sie es eben getan haben. Unser Prestige hier im Osten ist durch
diesen energischen Schritt geradezu emporgeschnellt. Die Engländer jubilieren —
natürlich nicht aus Liebe, sondern erstens, weil Rußland den Hafen nun hoffentlich
nicht bekommt, und zweitens, weil sie nun in einem ähnlichen Falle ähnlich
vorzugehen hoffen und bereits sehnsuchtsvolle Blicke nach einem begehrenswerter
Stückchen Festland gegenüber Hongkong hinüberwerfen, das sie aus strategischen
Gründen auch wirklich haben müssen, um ihre Insel dauernd behaupten zu
können. Jetzt heißt es aber auch: „Halte, was du hast!" und wenn die deutsche
Regierung diesen Grundsatz nicht mit aller Energie versieht und befolgt, dann
ist es ein für allemal um unser Ansehen in Ostasien geschehen.

Der alte Li Hung-chcmg soll neulich in einer Sitzung die bitteren Be¬
merkungen gemacht haben, man scheine in Berlin Shautung als eine deutsche
Provinz behandeln zu wollen. Das ist soweit alles ganz schön, nur soll man
dann wenigstens die Rolle des Tartüffe aufgeben und nicht von den armen
chinesischen „Heiden" verlangen, daß sie sich den Segnungen der christlichen
Kultur katholischer oder protestantischer Observanz kopfüber in die Arme werfen.
Der Chinese ist Praktiker, und wo sich Theorie und Praxis so wenig decken
wie in den Lehren und Erscheinungsformen des Christentums, da gilt ihm die
Theorie herzlich wenig. Wenn der liebe Gott pfeifen kann, was ich ja nicht
weiß, dann pfeift auch er jedenfalls auf die sogenannte christliche Kultur.
Jedenfalls lacht er sich eins ins Fäustchen und beschließt im stillen, auf
hunderttausend heidnische Chinesen je einen christlichen Diplomaten in den Himmel
aufzunehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/603>, abgerufen am 23.07.2024.