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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Volksdichtungen aus Lapri

Nußbäumen sind, deren im Lande sehr begehrte Früchte vielfach drei Nähte
zeigen.

Ein alter Seemann an der Großen Marine soll nachts in den Wolken ganze
Scharen von Hexen gesehen haben, was man wohl begreifen kann, wenn man
einmal eine richtige Schirokko-Sturmnacht auf Capri erlebt hat und sich dabei an
den Wetterzauber der Hexen im germanischen Volksglauben erinnert, wie ich ihn
z. B. noch in Heiligenblut vorgefunden, wo die Hexen am Fuße des Pasterze¬
gletschers Hagelwetter bereiten, entsprechend der auch bei uns noch hier und da
verbreiteten Redensart vom "Schloßenquirlen" der alten bösen Weiber nach dein
Tode. Zuweilen sind aber solche Wolken in Capri auch am Tage gesehen worden.
Man kann die "Jnaria" zum Herniedersteigen zwingen, wenn man laut ruft:
"Verbbun cake kalt' acht". Diese scheinbar einer ganz unbekannten Sprache
entlehnten Worte sind aber schließlich nur verderbtes Meßlatein aus dem Anfang
des Johannes-Evangeliums: "Verbum oaro modum sse". Freilich büßen die
Luftfahrenden beim Herniedersturz, der auch durch Glockengeläut beim Fliegen
über eine Kirche verursacht werden kann, das Leben ein. Bekanntlich wurden die
Glocken bei den deutschen Hexen "bellende Hunde" genannt.

riefen sie, wenn sie sich eingesalbt hatten und die Luftreise antraten.

Schlimmer ging es einst dem Ehemann einer Jnaria, der diese Worte nicht
ganz richtig verstanden hatte. Er hatte nämlich nachts wiederholt die Abwesenheit
seiner Frau bemerkt und schließlich einmal beobachtet, wie sie aufstand, ein Fläschchen
aus dem Wandschrank nahm, sich mit der darin befindlichen Flüssigkeit bestrick),
dann auf den Altan trat und zum Besen greifend sich den schreiend vorüber¬
ziehenden Gefährtinnen anschloß, indem sie laut rief:

(oder richtig capresisch IVUnuvenZo Lenevento.)

Der Mann, der ihr aus Neugierde folgen wollte, traf dieselben Vorbereitungen,
rief aber: "Lotto gLqua e vento", d. h. "Unter Wasser und Wind!" und wurde
nun unbarmherzig durch Dick und Dünn, Dornen und Disteln am Boden hin¬
geschleift. Er kehrte vor seiner Frau zurück, sagte ihr aber nichts, sondern füllte
nur heimlich das Fläschchen mit Wasser. Als sie dann in der folgenden Nacht
wieder anreiten wollte, stürzte sie zur Erde nieder und starb.

Manchmal galten diese nächtlichen Besuche auch bloß den zum Korallenfischer
fernweilenden Männern, denen sie allerlei Schlimmes zutrauten. Einmal wurde
dabei eine solche Spürhexe von gerechter Strafe ereilt. Sie fand ihren Mann in
fröhlicher Gesellschaft beim Abendessen, schlich als Katze in die Wirtsstube, bekam
aber statt Fleisch nur eine glühende Kohle zu kosten. Wie der Mann nach einiger
Zeit nach Hause kam, sah er am verbrannten Munde seiner Frau, wer die Katze
gewesen war.

Ein beliebter großer Hexentcmzvlatz befand sich am Wege zum Tiberio hinter
der kleinen Kirche San Michele, ist aber, weil jetzt vollständig mit Rasen bedeckt,


Volksdichtungen aus Lapri

Nußbäumen sind, deren im Lande sehr begehrte Früchte vielfach drei Nähte
zeigen.

Ein alter Seemann an der Großen Marine soll nachts in den Wolken ganze
Scharen von Hexen gesehen haben, was man wohl begreifen kann, wenn man
einmal eine richtige Schirokko-Sturmnacht auf Capri erlebt hat und sich dabei an
den Wetterzauber der Hexen im germanischen Volksglauben erinnert, wie ich ihn
z. B. noch in Heiligenblut vorgefunden, wo die Hexen am Fuße des Pasterze¬
gletschers Hagelwetter bereiten, entsprechend der auch bei uns noch hier und da
verbreiteten Redensart vom „Schloßenquirlen" der alten bösen Weiber nach dein
Tode. Zuweilen sind aber solche Wolken in Capri auch am Tage gesehen worden.
Man kann die „Jnaria" zum Herniedersteigen zwingen, wenn man laut ruft:
„Verbbun cake kalt' acht". Diese scheinbar einer ganz unbekannten Sprache
entlehnten Worte sind aber schließlich nur verderbtes Meßlatein aus dem Anfang
des Johannes-Evangeliums: „Verbum oaro modum sse". Freilich büßen die
Luftfahrenden beim Herniedersturz, der auch durch Glockengeläut beim Fliegen
über eine Kirche verursacht werden kann, das Leben ein. Bekanntlich wurden die
Glocken bei den deutschen Hexen „bellende Hunde" genannt.

riefen sie, wenn sie sich eingesalbt hatten und die Luftreise antraten.

Schlimmer ging es einst dem Ehemann einer Jnaria, der diese Worte nicht
ganz richtig verstanden hatte. Er hatte nämlich nachts wiederholt die Abwesenheit
seiner Frau bemerkt und schließlich einmal beobachtet, wie sie aufstand, ein Fläschchen
aus dem Wandschrank nahm, sich mit der darin befindlichen Flüssigkeit bestrick),
dann auf den Altan trat und zum Besen greifend sich den schreiend vorüber¬
ziehenden Gefährtinnen anschloß, indem sie laut rief:

(oder richtig capresisch IVUnuvenZo Lenevento.)

Der Mann, der ihr aus Neugierde folgen wollte, traf dieselben Vorbereitungen,
rief aber: „Lotto gLqua e vento", d. h. „Unter Wasser und Wind!" und wurde
nun unbarmherzig durch Dick und Dünn, Dornen und Disteln am Boden hin¬
geschleift. Er kehrte vor seiner Frau zurück, sagte ihr aber nichts, sondern füllte
nur heimlich das Fläschchen mit Wasser. Als sie dann in der folgenden Nacht
wieder anreiten wollte, stürzte sie zur Erde nieder und starb.

Manchmal galten diese nächtlichen Besuche auch bloß den zum Korallenfischer
fernweilenden Männern, denen sie allerlei Schlimmes zutrauten. Einmal wurde
dabei eine solche Spürhexe von gerechter Strafe ereilt. Sie fand ihren Mann in
fröhlicher Gesellschaft beim Abendessen, schlich als Katze in die Wirtsstube, bekam
aber statt Fleisch nur eine glühende Kohle zu kosten. Wie der Mann nach einiger
Zeit nach Hause kam, sah er am verbrannten Munde seiner Frau, wer die Katze
gewesen war.

Ein beliebter großer Hexentcmzvlatz befand sich am Wege zum Tiberio hinter
der kleinen Kirche San Michele, ist aber, weil jetzt vollständig mit Rasen bedeckt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/556>, abgerufen am 23.07.2024.