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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Lricse aus China

An seine Schwester.

Peking, 16. Januar 1898.

. . . Gestern war nach chinesischer Zeitrechnung der dreiundzwanzigste Tag
des zwölften Monats, das ist ein großer Festtag, denn an diesem Tage steigt
der Küchengott, der in jedem Hause verehrt wird, gen Himmel, um dort über
die seiner Obhut anvertraute Familie Bericht zu erstatten. Ich machte allein
einen Spaziergang durch die Chinesenstadt, in der Hoffnung, etwas von den
Vorbereitungen zu dem Feste zu sehen. Es herrschte auch ein sehr reges Treiben
auf den Straßen, und allenthalben wird ein sehr süßes und sehr klebriges
Naschwerk aus Reiszucker verkauft, das dem Gotte geopfert wird. Wenn er
das genossen hat, sührt er im Himmel nur "honigsüße Reden" oder, was oft
noch erwünschter ist, er kann den Maud überhaupt nicht auftun, weil ihm die
Lippen zusammengeklebt sind. Habe ich nun etwa nicht recht, wenn ich sage,
daß die Chinesen ehrliche Gauner sind? Ich finde diesen kindlichen Glauben,
der sie lehrt, ihre Götter in kritischen Augenblicken übers Ohr zu hauen, ganz
allerliebst. Gestern nachmittag wurden zu Ehren des Gottes stundenlang kire-
craelcers abgebrannt, und das Geknatter ringsumher nahm gar kein Ende.
Nächsten Sonnabend ist Neujahrstag -- da wirds noch schöner. Peking ist doch
reizend, und ich werde mich noch oft hierher zurücksehnen. . . .




An seinen Bruder.

Peking, 29. Januar 1893.

... Du fragst mich, was ich von Eugen Wolff halte. Ich kenne nur
wenige seiner Berichte, und diese haben mich angeekelt. Wenn man wie er
darauf ausgeht, die Lacher auf seine Seite zu bekommen, indem man alles schlecht
und lächerlich macht, ohne die Fähigkeit oder auch nur den guten Willen zu
besitzen, die Erscheinungen und Lebensformen, die man kritisiert, zu verstehen,
so hat man leichtes Spiel. Wenn Wolff über die Beschimpfung des Christentums
in sittliche Entrüstung gerät, so wirkt das einfach komisch. Nichts liegt den
Chinesen ferner als religiöser Fanatismus. Als Religion läßt sie das Christentum
kalt, sympathisch ist es ihnen selbstverständlich nicht, weil es in seiner Sitten¬
lehre dem Konfuzianismus in manchen Punkten straks zuwiderläuft, und weil
sie eine Abneigung gegen alles Fremde überhaupt haben. Daß hin und wieder
Exzesse vorkommen, ist kein Wunder, wohl aber, daß sie sich nicht viel öfter
wiederholen. spontan sind solche Exzesse in den seltensten Fällen, sondern
meist durch das Beamtentum, dem ich durchaus nicht das Wort reden will,
hervorgerufen. Und dann richten sie sich in der Regel weniger gegen das
Christentum als gegen das Ausländertum. Die Herren Missionare sind wohl
auch oft nicht gerade angetan, Achtung für sich und ihre Lehre zu erwecken.
Selbst wenn sie, was keineswegs immer der Fall, in entsagungsvoller Aus¬
übung ihres Amtes durch ihr lebendiges Beispiel wirken, müssen die Chinesen
doch ihre nicht ganz unberechtigten Skrupel betreffs einer Lehre haben, die


Lricse aus China

An seine Schwester.

Peking, 16. Januar 1898.

. . . Gestern war nach chinesischer Zeitrechnung der dreiundzwanzigste Tag
des zwölften Monats, das ist ein großer Festtag, denn an diesem Tage steigt
der Küchengott, der in jedem Hause verehrt wird, gen Himmel, um dort über
die seiner Obhut anvertraute Familie Bericht zu erstatten. Ich machte allein
einen Spaziergang durch die Chinesenstadt, in der Hoffnung, etwas von den
Vorbereitungen zu dem Feste zu sehen. Es herrschte auch ein sehr reges Treiben
auf den Straßen, und allenthalben wird ein sehr süßes und sehr klebriges
Naschwerk aus Reiszucker verkauft, das dem Gotte geopfert wird. Wenn er
das genossen hat, sührt er im Himmel nur „honigsüße Reden" oder, was oft
noch erwünschter ist, er kann den Maud überhaupt nicht auftun, weil ihm die
Lippen zusammengeklebt sind. Habe ich nun etwa nicht recht, wenn ich sage,
daß die Chinesen ehrliche Gauner sind? Ich finde diesen kindlichen Glauben,
der sie lehrt, ihre Götter in kritischen Augenblicken übers Ohr zu hauen, ganz
allerliebst. Gestern nachmittag wurden zu Ehren des Gottes stundenlang kire-
craelcers abgebrannt, und das Geknatter ringsumher nahm gar kein Ende.
Nächsten Sonnabend ist Neujahrstag — da wirds noch schöner. Peking ist doch
reizend, und ich werde mich noch oft hierher zurücksehnen. . . .




An seinen Bruder.

Peking, 29. Januar 1893.

... Du fragst mich, was ich von Eugen Wolff halte. Ich kenne nur
wenige seiner Berichte, und diese haben mich angeekelt. Wenn man wie er
darauf ausgeht, die Lacher auf seine Seite zu bekommen, indem man alles schlecht
und lächerlich macht, ohne die Fähigkeit oder auch nur den guten Willen zu
besitzen, die Erscheinungen und Lebensformen, die man kritisiert, zu verstehen,
so hat man leichtes Spiel. Wenn Wolff über die Beschimpfung des Christentums
in sittliche Entrüstung gerät, so wirkt das einfach komisch. Nichts liegt den
Chinesen ferner als religiöser Fanatismus. Als Religion läßt sie das Christentum
kalt, sympathisch ist es ihnen selbstverständlich nicht, weil es in seiner Sitten¬
lehre dem Konfuzianismus in manchen Punkten straks zuwiderläuft, und weil
sie eine Abneigung gegen alles Fremde überhaupt haben. Daß hin und wieder
Exzesse vorkommen, ist kein Wunder, wohl aber, daß sie sich nicht viel öfter
wiederholen. spontan sind solche Exzesse in den seltensten Fällen, sondern
meist durch das Beamtentum, dem ich durchaus nicht das Wort reden will,
hervorgerufen. Und dann richten sie sich in der Regel weniger gegen das
Christentum als gegen das Ausländertum. Die Herren Missionare sind wohl
auch oft nicht gerade angetan, Achtung für sich und ihre Lehre zu erwecken.
Selbst wenn sie, was keineswegs immer der Fall, in entsagungsvoller Aus¬
übung ihres Amtes durch ihr lebendiges Beispiel wirken, müssen die Chinesen
doch ihre nicht ganz unberechtigten Skrupel betreffs einer Lehre haben, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/539>, abgerufen am 03.07.2024.