gewesen zu sein, denn dazu gehörte doch eine Menschenkenntnis, die in so zartem Alter ziemlich selten vorzukommen pflegt.
Neulich habe ich eine halbstündige Audienz bei Li-Hung-chang gehabt. Ein Herr Bauer aus Tientsin, Agent bei Krupp, den ich von Berlin her flüchtig kannte, hatte ihm von mir erzählt, und daraufhin bat Li-Hung-chang ihn, mich am folgenden Tage mitzubringen. Ich glaube, er hatte mich nur zu sich bitten lassen, in der Hoffnung, daß ich die Vermittlerrolle zwischen ihm und Herrn v. H. übernehmen würde. Der Gimpelfang mißglückte ihm indessen, und ich erklärte kurzweg, ich befaßte mich nur mit wissenschaftlichen Dingen und verstünde nichts von Staatsgeschäften. Er meinte, ich wäre ihm als deutscher Minister lieber als Herr v. H., und richtete seiner Gewohnheit gemäß lauter indiskrete Fragen über meine Verinögensverhültnisse an mich und schien es gar nicht begreifen zu können, wie jemand chinesisch studieren könne, ohne irgend einen praktischen Zweck damit zu verbinden. Sicherlich Hütte ich im stillen die Absicht, bei Kiaochou Grundbesitz zu erwerben. Als ich ihm beim Abschied sagte, daß sein Besuch bei Bismarck in Deutschland allgemein die größte Freude hervorgerufen habe, strahlte er übers ganze Gesicht und fragte mich, ob ich auch schou einmal in persönliche Berührung mit dem Fürsten gekommen wäre. Leute, die dem alten Fuchs persönlich sehr nahe stehen, versicherten mir, daß Bismarck der einzige Mensch in der Welt sei, für den er eine aufrichtige und geradezu abgöttische Verehrung und Bewunderung hege. In seinem eben erschienenen Reisetagebuch erzählt er auch, daß sein Besuch in Friedrichsruh die einzige Gelegenheit gewesen sei, bei der er die gelbe Jacke angehabt habe. Ganz scheußlich war übrigens der Champagner, den er kredenzen ließ, statt des sonst üblichen Tees. Da man nach den Vorschriften der chinesischen Etikette nur ein wenig am Glase nippen darf, werden offenbar später die Reste wieder in die Flasche zurückgegossen, mir bei ähnlichen Gelegenheiten anderen Ehrengästen vorgesetzt zu werden. Ilonn^ 8vit qui mal ^ psnse.
Herr v. H. hat mich in liebenswürdiger Weise eingeladen, an der Neu¬ jahrsaudienz, die im Februar stattfindet, teilzunehmen, sodaß ich also vielleicht noch den Himmelssohn von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekomme. Fataler¬ weise findet just am chinesischen Neujahrstage eine Sonnenfinsternis statt, die, wie es scheint, nicht auf einen anderen Tag verschoben werden kann, da Struve nicht hier ist. Zum Glück kennen die Chinesen ein probates Mittel, Sonnen¬ finsternisse unschädlich zu machen: sie schießen einfach auf den Hund, der die Sonne frißt -- ein Hund, auf den die europäische Astronomie noch immer nicht gekommen ist.
Es wird Dich vielleicht interessieren, daß Herr v. H. auch Livone ist und neulich durch sein Telegramm: "Gott schütze Livonia" die russischen Zeitungen in die größte Aufregung versetzt hat. Wie kann man aber auch den lieben Gott Pobedonoszeff gegenüber so kompromittieren?! Unbegreiflich. . , .
Lriefe aus China
gewesen zu sein, denn dazu gehörte doch eine Menschenkenntnis, die in so zartem Alter ziemlich selten vorzukommen pflegt.
Neulich habe ich eine halbstündige Audienz bei Li-Hung-chang gehabt. Ein Herr Bauer aus Tientsin, Agent bei Krupp, den ich von Berlin her flüchtig kannte, hatte ihm von mir erzählt, und daraufhin bat Li-Hung-chang ihn, mich am folgenden Tage mitzubringen. Ich glaube, er hatte mich nur zu sich bitten lassen, in der Hoffnung, daß ich die Vermittlerrolle zwischen ihm und Herrn v. H. übernehmen würde. Der Gimpelfang mißglückte ihm indessen, und ich erklärte kurzweg, ich befaßte mich nur mit wissenschaftlichen Dingen und verstünde nichts von Staatsgeschäften. Er meinte, ich wäre ihm als deutscher Minister lieber als Herr v. H., und richtete seiner Gewohnheit gemäß lauter indiskrete Fragen über meine Verinögensverhültnisse an mich und schien es gar nicht begreifen zu können, wie jemand chinesisch studieren könne, ohne irgend einen praktischen Zweck damit zu verbinden. Sicherlich Hütte ich im stillen die Absicht, bei Kiaochou Grundbesitz zu erwerben. Als ich ihm beim Abschied sagte, daß sein Besuch bei Bismarck in Deutschland allgemein die größte Freude hervorgerufen habe, strahlte er übers ganze Gesicht und fragte mich, ob ich auch schou einmal in persönliche Berührung mit dem Fürsten gekommen wäre. Leute, die dem alten Fuchs persönlich sehr nahe stehen, versicherten mir, daß Bismarck der einzige Mensch in der Welt sei, für den er eine aufrichtige und geradezu abgöttische Verehrung und Bewunderung hege. In seinem eben erschienenen Reisetagebuch erzählt er auch, daß sein Besuch in Friedrichsruh die einzige Gelegenheit gewesen sei, bei der er die gelbe Jacke angehabt habe. Ganz scheußlich war übrigens der Champagner, den er kredenzen ließ, statt des sonst üblichen Tees. Da man nach den Vorschriften der chinesischen Etikette nur ein wenig am Glase nippen darf, werden offenbar später die Reste wieder in die Flasche zurückgegossen, mir bei ähnlichen Gelegenheiten anderen Ehrengästen vorgesetzt zu werden. Ilonn^ 8vit qui mal ^ psnse.
Herr v. H. hat mich in liebenswürdiger Weise eingeladen, an der Neu¬ jahrsaudienz, die im Februar stattfindet, teilzunehmen, sodaß ich also vielleicht noch den Himmelssohn von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekomme. Fataler¬ weise findet just am chinesischen Neujahrstage eine Sonnenfinsternis statt, die, wie es scheint, nicht auf einen anderen Tag verschoben werden kann, da Struve nicht hier ist. Zum Glück kennen die Chinesen ein probates Mittel, Sonnen¬ finsternisse unschädlich zu machen: sie schießen einfach auf den Hund, der die Sonne frißt — ein Hund, auf den die europäische Astronomie noch immer nicht gekommen ist.
Es wird Dich vielleicht interessieren, daß Herr v. H. auch Livone ist und neulich durch sein Telegramm: „Gott schütze Livonia" die russischen Zeitungen in die größte Aufregung versetzt hat. Wie kann man aber auch den lieben Gott Pobedonoszeff gegenüber so kompromittieren?! Unbegreiflich. . , .
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[0536]
Lriefe aus China
gewesen zu sein, denn dazu gehörte doch eine Menschenkenntnis, die in so zartem
Alter ziemlich selten vorzukommen pflegt.
Neulich habe ich eine halbstündige Audienz bei Li-Hung-chang gehabt. Ein
Herr Bauer aus Tientsin, Agent bei Krupp, den ich von Berlin her flüchtig
kannte, hatte ihm von mir erzählt, und daraufhin bat Li-Hung-chang ihn, mich
am folgenden Tage mitzubringen. Ich glaube, er hatte mich nur zu sich bitten
lassen, in der Hoffnung, daß ich die Vermittlerrolle zwischen ihm und Herrn
v. H. übernehmen würde. Der Gimpelfang mißglückte ihm indessen, und ich
erklärte kurzweg, ich befaßte mich nur mit wissenschaftlichen Dingen und verstünde
nichts von Staatsgeschäften. Er meinte, ich wäre ihm als deutscher Minister
lieber als Herr v. H., und richtete seiner Gewohnheit gemäß lauter indiskrete
Fragen über meine Verinögensverhültnisse an mich und schien es gar nicht begreifen
zu können, wie jemand chinesisch studieren könne, ohne irgend einen praktischen
Zweck damit zu verbinden. Sicherlich Hütte ich im stillen die Absicht, bei
Kiaochou Grundbesitz zu erwerben. Als ich ihm beim Abschied sagte, daß sein
Besuch bei Bismarck in Deutschland allgemein die größte Freude hervorgerufen
habe, strahlte er übers ganze Gesicht und fragte mich, ob ich auch schou einmal in
persönliche Berührung mit dem Fürsten gekommen wäre. Leute, die dem alten
Fuchs persönlich sehr nahe stehen, versicherten mir, daß Bismarck der einzige
Mensch in der Welt sei, für den er eine aufrichtige und geradezu abgöttische
Verehrung und Bewunderung hege. In seinem eben erschienenen Reisetagebuch
erzählt er auch, daß sein Besuch in Friedrichsruh die einzige Gelegenheit gewesen
sei, bei der er die gelbe Jacke angehabt habe. Ganz scheußlich war übrigens
der Champagner, den er kredenzen ließ, statt des sonst üblichen Tees. Da man
nach den Vorschriften der chinesischen Etikette nur ein wenig am Glase nippen
darf, werden offenbar später die Reste wieder in die Flasche zurückgegossen, mir
bei ähnlichen Gelegenheiten anderen Ehrengästen vorgesetzt zu werden. Ilonn^
8vit qui mal ^ psnse.
Herr v. H. hat mich in liebenswürdiger Weise eingeladen, an der Neu¬
jahrsaudienz, die im Februar stattfindet, teilzunehmen, sodaß ich also vielleicht
noch den Himmelssohn von Angesicht zu Angesicht zu sehen bekomme. Fataler¬
weise findet just am chinesischen Neujahrstage eine Sonnenfinsternis statt, die,
wie es scheint, nicht auf einen anderen Tag verschoben werden kann, da Struve
nicht hier ist. Zum Glück kennen die Chinesen ein probates Mittel, Sonnen¬
finsternisse unschädlich zu machen: sie schießen einfach auf den Hund, der die
Sonne frißt — ein Hund, auf den die europäische Astronomie noch immer nicht
gekommen ist.
Es wird Dich vielleicht interessieren, daß Herr v. H. auch Livone ist und
neulich durch sein Telegramm: „Gott schütze Livonia" die russischen Zeitungen
in die größte Aufregung versetzt hat. Wie kann man aber auch den lieben Gott
Pobedonoszeff gegenüber so kompromittieren?! Unbegreiflich. . , .
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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/536>, abgerufen am 24.01.2025.
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