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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

An dieser Tatsache war schon im Frühjahr dieses Jahres nicht zu zweifeln, nur
daß die vorhandene Überspekulation an der Börse und später die politischen
Verwicklungen dem Aufstieg starke Hemmungen bereiteten, ja sogar die Gefahr
eines Umschwunges hervorriefen. Ist doch von mehr als einer Seite bei den
starken .Kursrückgängen dieser wirtschaftliche Umschwung schon als eine voll
endete Tatsache angesehen worden! Und doch zeigt sich, daß die wirtschaftliche
Entwicklung stark und gesund genug war, selbst eine so gefährliche Krisis zu
überwinden!

Aus diesem Gefühl heraus erklärt sich der an der Börse zur Schau
getragene Optimismus, die geflissentliche Nichtbeachtung etwa noch vorhandener
Gefahren. Haben wir so schwierige Verhältnisse wie die des letzten Sommers
ohne Schaden überwunden, welche Nachteile sollen uns aus dem Pseudokrieg
im Mittelmeer erwachsen können? Ist nicht der Geldmarkt in günstiger Ver¬
fassung, zeigt sich nicht allenthalben wieder vermehrte Unternehmungslust, wie
sie in den Fusionsprojekteu der Eisenindustrie Aumetz-Mannstädt und Hösch-
Wittener Stahlröhrenwerke zutage tritt? -- Alles das ist unzweifelhaft richtig,
und doch ist gerade vom Standpunkt der Börse ein großes Fragezeichen hinter
die Schlußfolgerung zu setzen, daß nunmehr ein unbesorgtes und lustiges Kurs¬
treiben beginnen könne. Man vergißt, daß die Kurse nach der inzwischen voll¬
zogenen Erholung bereits wieder ein Niveau erklommen haben, das auch die
günstigste Konjunktur des nächsten Jahres eskomptiert. Es besteht also die
Gefahr, daß die Börse den kaum gebüßten Fehler wieder begeht, durch eine
maßlose Haussespekulation sich selbst und vielleicht auch der Konjunktur das
Grab zu graben. Schon zeigt sich bei der Ultimoprolongation, wie sehr die
spekulativen Haussepositionen gewachsen sind; eine weitere Vermehrung müßte
bei der noch unsicheren politischen Lage trotz aller Gunst der Konjunktur un¬
mittelbar wieder zu kritischen Zuständen führen.

Einstweilen darf man über die günstige Situation des Geldmarktes auf-
richtige Befriedigung empfinden. Die Erleichterung ist eine internationale und
besonders deshalb allenthalben fühlbar, weil die fatale Geldnot in Paris sich
wieder in einen Überfluß verwandelt hat. Freilich wird der Strom des letzteren
einstweilen nur zögernd in das alte Bett nach Deutschland zurückgeleitet; aber
indirekt auf den Weg über London und Wien sind schon recht ansehnliche Beträge
wieder an den Berliner Markt gelangt und auch der unmittelbare frcundnachbar-
Uche Verkehr, kraft dessen Deutschland seine Wechsel in französische "Pension" zu
geben pflegte, beginnt sich wieder herzustellen. Hoffentlich beherzigt aber unsere
Finanzwelt die bittere Erfahrung, welche sie mit diesen ausländischen Guthaben
in dem verflossenen Sommer des Mißvergnügens hat machen müssen und mi߬
traut einer scheinbaren Flüssigkeit des Geldmarkts, die nur aus fremden, leicht
versiegbaren Quellen gespeist wird. Die fremden Gelder haben unzweifelhaft
dazu beigetragen, am offenen Markt den Rückgang der Zinssätze zu beschleunigen.
Der Satz für tägliches Geld hat sich in der letzten Woche auf einen Stand von


Reichsspiegel

An dieser Tatsache war schon im Frühjahr dieses Jahres nicht zu zweifeln, nur
daß die vorhandene Überspekulation an der Börse und später die politischen
Verwicklungen dem Aufstieg starke Hemmungen bereiteten, ja sogar die Gefahr
eines Umschwunges hervorriefen. Ist doch von mehr als einer Seite bei den
starken .Kursrückgängen dieser wirtschaftliche Umschwung schon als eine voll
endete Tatsache angesehen worden! Und doch zeigt sich, daß die wirtschaftliche
Entwicklung stark und gesund genug war, selbst eine so gefährliche Krisis zu
überwinden!

Aus diesem Gefühl heraus erklärt sich der an der Börse zur Schau
getragene Optimismus, die geflissentliche Nichtbeachtung etwa noch vorhandener
Gefahren. Haben wir so schwierige Verhältnisse wie die des letzten Sommers
ohne Schaden überwunden, welche Nachteile sollen uns aus dem Pseudokrieg
im Mittelmeer erwachsen können? Ist nicht der Geldmarkt in günstiger Ver¬
fassung, zeigt sich nicht allenthalben wieder vermehrte Unternehmungslust, wie
sie in den Fusionsprojekteu der Eisenindustrie Aumetz-Mannstädt und Hösch-
Wittener Stahlröhrenwerke zutage tritt? — Alles das ist unzweifelhaft richtig,
und doch ist gerade vom Standpunkt der Börse ein großes Fragezeichen hinter
die Schlußfolgerung zu setzen, daß nunmehr ein unbesorgtes und lustiges Kurs¬
treiben beginnen könne. Man vergißt, daß die Kurse nach der inzwischen voll¬
zogenen Erholung bereits wieder ein Niveau erklommen haben, das auch die
günstigste Konjunktur des nächsten Jahres eskomptiert. Es besteht also die
Gefahr, daß die Börse den kaum gebüßten Fehler wieder begeht, durch eine
maßlose Haussespekulation sich selbst und vielleicht auch der Konjunktur das
Grab zu graben. Schon zeigt sich bei der Ultimoprolongation, wie sehr die
spekulativen Haussepositionen gewachsen sind; eine weitere Vermehrung müßte
bei der noch unsicheren politischen Lage trotz aller Gunst der Konjunktur un¬
mittelbar wieder zu kritischen Zuständen führen.

Einstweilen darf man über die günstige Situation des Geldmarktes auf-
richtige Befriedigung empfinden. Die Erleichterung ist eine internationale und
besonders deshalb allenthalben fühlbar, weil die fatale Geldnot in Paris sich
wieder in einen Überfluß verwandelt hat. Freilich wird der Strom des letzteren
einstweilen nur zögernd in das alte Bett nach Deutschland zurückgeleitet; aber
indirekt auf den Weg über London und Wien sind schon recht ansehnliche Beträge
wieder an den Berliner Markt gelangt und auch der unmittelbare frcundnachbar-
Uche Verkehr, kraft dessen Deutschland seine Wechsel in französische „Pension" zu
geben pflegte, beginnt sich wieder herzustellen. Hoffentlich beherzigt aber unsere
Finanzwelt die bittere Erfahrung, welche sie mit diesen ausländischen Guthaben
in dem verflossenen Sommer des Mißvergnügens hat machen müssen und mi߬
traut einer scheinbaren Flüssigkeit des Geldmarkts, die nur aus fremden, leicht
versiegbaren Quellen gespeist wird. Die fremden Gelder haben unzweifelhaft
dazu beigetragen, am offenen Markt den Rückgang der Zinssätze zu beschleunigen.
Der Satz für tägliches Geld hat sich in der letzten Woche auf einen Stand von


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[0471] Reichsspiegel An dieser Tatsache war schon im Frühjahr dieses Jahres nicht zu zweifeln, nur daß die vorhandene Überspekulation an der Börse und später die politischen Verwicklungen dem Aufstieg starke Hemmungen bereiteten, ja sogar die Gefahr eines Umschwunges hervorriefen. Ist doch von mehr als einer Seite bei den starken .Kursrückgängen dieser wirtschaftliche Umschwung schon als eine voll endete Tatsache angesehen worden! Und doch zeigt sich, daß die wirtschaftliche Entwicklung stark und gesund genug war, selbst eine so gefährliche Krisis zu überwinden! Aus diesem Gefühl heraus erklärt sich der an der Börse zur Schau getragene Optimismus, die geflissentliche Nichtbeachtung etwa noch vorhandener Gefahren. Haben wir so schwierige Verhältnisse wie die des letzten Sommers ohne Schaden überwunden, welche Nachteile sollen uns aus dem Pseudokrieg im Mittelmeer erwachsen können? Ist nicht der Geldmarkt in günstiger Ver¬ fassung, zeigt sich nicht allenthalben wieder vermehrte Unternehmungslust, wie sie in den Fusionsprojekteu der Eisenindustrie Aumetz-Mannstädt und Hösch- Wittener Stahlröhrenwerke zutage tritt? — Alles das ist unzweifelhaft richtig, und doch ist gerade vom Standpunkt der Börse ein großes Fragezeichen hinter die Schlußfolgerung zu setzen, daß nunmehr ein unbesorgtes und lustiges Kurs¬ treiben beginnen könne. Man vergißt, daß die Kurse nach der inzwischen voll¬ zogenen Erholung bereits wieder ein Niveau erklommen haben, das auch die günstigste Konjunktur des nächsten Jahres eskomptiert. Es besteht also die Gefahr, daß die Börse den kaum gebüßten Fehler wieder begeht, durch eine maßlose Haussespekulation sich selbst und vielleicht auch der Konjunktur das Grab zu graben. Schon zeigt sich bei der Ultimoprolongation, wie sehr die spekulativen Haussepositionen gewachsen sind; eine weitere Vermehrung müßte bei der noch unsicheren politischen Lage trotz aller Gunst der Konjunktur un¬ mittelbar wieder zu kritischen Zuständen führen. Einstweilen darf man über die günstige Situation des Geldmarktes auf- richtige Befriedigung empfinden. Die Erleichterung ist eine internationale und besonders deshalb allenthalben fühlbar, weil die fatale Geldnot in Paris sich wieder in einen Überfluß verwandelt hat. Freilich wird der Strom des letzteren einstweilen nur zögernd in das alte Bett nach Deutschland zurückgeleitet; aber indirekt auf den Weg über London und Wien sind schon recht ansehnliche Beträge wieder an den Berliner Markt gelangt und auch der unmittelbare frcundnachbar- Uche Verkehr, kraft dessen Deutschland seine Wechsel in französische „Pension" zu geben pflegte, beginnt sich wieder herzustellen. Hoffentlich beherzigt aber unsere Finanzwelt die bittere Erfahrung, welche sie mit diesen ausländischen Guthaben in dem verflossenen Sommer des Mißvergnügens hat machen müssen und mi߬ traut einer scheinbaren Flüssigkeit des Geldmarkts, die nur aus fremden, leicht versiegbaren Quellen gespeist wird. Die fremden Gelder haben unzweifelhaft dazu beigetragen, am offenen Markt den Rückgang der Zinssätze zu beschleunigen. Der Satz für tägliches Geld hat sich in der letzten Woche auf einen Stand von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/471>, abgerufen am 23.07.2024.