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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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französischen Abmachungen zu sagen hat. Sollten die übrigens am Sonntag
bereits widerrufenen Blättermeldungen sich bestätigen, wonach die englische Re¬
gierung gegen eine Besitznahme von Spanisch-Guinea durch Deutschland protestieren
wolle, dann bekäme die Sache ein ernsteres Gesicht, dann lieferte Gro߬
britannien einen neuen Beweis für sein Streben, unsere Entwicklung aufhalten
zu wollen. Ob es darum einen Krieg führen würde, wäre freilich eine andere
Frage.

Interessant und lehrreich zugleich ist die Haltung der englischen Presse
während des eben ablaufenden Zwischenakts. Trotz der scharfen Angriffe, die
Herrn v. Kioerlens Ausführungen auf die englische Politik enthalten, und obwohl
Sir Edward Greys Politik in England selbst zahlreiche Gegner hat, tönt kein
lautes Wort herüber, das irgendwie geeignet wäre, den Minister zu kränken und
seinem deutschen Gegner zu zeigen, daß die Nation nicht geschlossen hinter ihm
stände. Man hat den Eindruck, als hätten sämtliche Publizisten und Journalisten
der vereinigten Königreiche, die über deutsch-englische Politik schreiben, die Feder
fortgelegt, um sich für die Ausnahme der bevorstehenden Rede des Leiters der
auswärtigen Politik gehörig vorzubereiten. Kein Drohwort an Deutschland,
keine Kombinationen, kein Sturm auf Downingstreet! Der Minister hat das
Wort. Es handelt sich um eine Frage der auswärtigen Politik; die gesamte
Presse ist mit einem Schlage "offiziös". Diese Haltung imponiert um so mehr,
je mehr sie mit der der deutschen Presse kontrastiert. Ähnliches ruhiges Schweigen
und Abwarten kann in Deutschland eigentlich nur bei der Presse beobachtet
werden, die mit dem Klischee "offiziös" belegt wird, ohne es zu fein. Die
sogenannte "unabhängige" und "nationale" Presse kennt solche versammelnde
Ruhe nicht. Sie schlägt blind darauf los, und da sie in ihrer Raserei den
wirklichen Gegner bald aus dem Blick verliert, fällt sie unter dem Vorgeben, ihr
den Rücken stärken zu müssen, mit Knütteln über die eigene Negierung her.
Wir erleben es sogar, daß ein Blatt, das sich eines ganz besonders fein ent¬
wickelten nationalen Bewußtseins rühmt, daß die Tägliche Rundschau dem
Staatssekretär droht: na warte, nach der Rede Grens da gibts was! Solange
solche Dinge, die in der Psyche der Beteiligten, aber auch in der historischen
Entwicklung unserer nationalen Presse begründet sind, möglich bleiben, dürfen
wir uns nicht wundern, daß der Leiter der auswärtigen Politik mit der
Information gewisser Blätter zurückhaltender ist, als es vielleicht notwendig
erscheint. Setzt er sich doch womöglich der Gefahr aus, im gespanntesten Augen¬
blick einen' Stoß in den Rücken zu erhalten und seinen kunstvoll gefügten
diplomatischen Schleier zerrissen zu sehen.




Herr Paul Cambon, Frankreichs Botschafter zu London, mag es im November
1906 nicht für möglich gehalten haben, daß schon fünf Jahre später sein Bruder
Jules mit Deutschland Abreden treffen könnte, die den von ihm gefeierten Ver-


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französischen Abmachungen zu sagen hat. Sollten die übrigens am Sonntag
bereits widerrufenen Blättermeldungen sich bestätigen, wonach die englische Re¬
gierung gegen eine Besitznahme von Spanisch-Guinea durch Deutschland protestieren
wolle, dann bekäme die Sache ein ernsteres Gesicht, dann lieferte Gro߬
britannien einen neuen Beweis für sein Streben, unsere Entwicklung aufhalten
zu wollen. Ob es darum einen Krieg führen würde, wäre freilich eine andere
Frage.

Interessant und lehrreich zugleich ist die Haltung der englischen Presse
während des eben ablaufenden Zwischenakts. Trotz der scharfen Angriffe, die
Herrn v. Kioerlens Ausführungen auf die englische Politik enthalten, und obwohl
Sir Edward Greys Politik in England selbst zahlreiche Gegner hat, tönt kein
lautes Wort herüber, das irgendwie geeignet wäre, den Minister zu kränken und
seinem deutschen Gegner zu zeigen, daß die Nation nicht geschlossen hinter ihm
stände. Man hat den Eindruck, als hätten sämtliche Publizisten und Journalisten
der vereinigten Königreiche, die über deutsch-englische Politik schreiben, die Feder
fortgelegt, um sich für die Ausnahme der bevorstehenden Rede des Leiters der
auswärtigen Politik gehörig vorzubereiten. Kein Drohwort an Deutschland,
keine Kombinationen, kein Sturm auf Downingstreet! Der Minister hat das
Wort. Es handelt sich um eine Frage der auswärtigen Politik; die gesamte
Presse ist mit einem Schlage „offiziös". Diese Haltung imponiert um so mehr,
je mehr sie mit der der deutschen Presse kontrastiert. Ähnliches ruhiges Schweigen
und Abwarten kann in Deutschland eigentlich nur bei der Presse beobachtet
werden, die mit dem Klischee „offiziös" belegt wird, ohne es zu fein. Die
sogenannte „unabhängige" und „nationale" Presse kennt solche versammelnde
Ruhe nicht. Sie schlägt blind darauf los, und da sie in ihrer Raserei den
wirklichen Gegner bald aus dem Blick verliert, fällt sie unter dem Vorgeben, ihr
den Rücken stärken zu müssen, mit Knütteln über die eigene Negierung her.
Wir erleben es sogar, daß ein Blatt, das sich eines ganz besonders fein ent¬
wickelten nationalen Bewußtseins rühmt, daß die Tägliche Rundschau dem
Staatssekretär droht: na warte, nach der Rede Grens da gibts was! Solange
solche Dinge, die in der Psyche der Beteiligten, aber auch in der historischen
Entwicklung unserer nationalen Presse begründet sind, möglich bleiben, dürfen
wir uns nicht wundern, daß der Leiter der auswärtigen Politik mit der
Information gewisser Blätter zurückhaltender ist, als es vielleicht notwendig
erscheint. Setzt er sich doch womöglich der Gefahr aus, im gespanntesten Augen¬
blick einen' Stoß in den Rücken zu erhalten und seinen kunstvoll gefügten
diplomatischen Schleier zerrissen zu sehen.




Herr Paul Cambon, Frankreichs Botschafter zu London, mag es im November
1906 nicht für möglich gehalten haben, daß schon fünf Jahre später sein Bruder
Jules mit Deutschland Abreden treffen könnte, die den von ihm gefeierten Ver-


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[0461] Reichsspiegel französischen Abmachungen zu sagen hat. Sollten die übrigens am Sonntag bereits widerrufenen Blättermeldungen sich bestätigen, wonach die englische Re¬ gierung gegen eine Besitznahme von Spanisch-Guinea durch Deutschland protestieren wolle, dann bekäme die Sache ein ernsteres Gesicht, dann lieferte Gro߬ britannien einen neuen Beweis für sein Streben, unsere Entwicklung aufhalten zu wollen. Ob es darum einen Krieg führen würde, wäre freilich eine andere Frage. Interessant und lehrreich zugleich ist die Haltung der englischen Presse während des eben ablaufenden Zwischenakts. Trotz der scharfen Angriffe, die Herrn v. Kioerlens Ausführungen auf die englische Politik enthalten, und obwohl Sir Edward Greys Politik in England selbst zahlreiche Gegner hat, tönt kein lautes Wort herüber, das irgendwie geeignet wäre, den Minister zu kränken und seinem deutschen Gegner zu zeigen, daß die Nation nicht geschlossen hinter ihm stände. Man hat den Eindruck, als hätten sämtliche Publizisten und Journalisten der vereinigten Königreiche, die über deutsch-englische Politik schreiben, die Feder fortgelegt, um sich für die Ausnahme der bevorstehenden Rede des Leiters der auswärtigen Politik gehörig vorzubereiten. Kein Drohwort an Deutschland, keine Kombinationen, kein Sturm auf Downingstreet! Der Minister hat das Wort. Es handelt sich um eine Frage der auswärtigen Politik; die gesamte Presse ist mit einem Schlage „offiziös". Diese Haltung imponiert um so mehr, je mehr sie mit der der deutschen Presse kontrastiert. Ähnliches ruhiges Schweigen und Abwarten kann in Deutschland eigentlich nur bei der Presse beobachtet werden, die mit dem Klischee „offiziös" belegt wird, ohne es zu fein. Die sogenannte „unabhängige" und „nationale" Presse kennt solche versammelnde Ruhe nicht. Sie schlägt blind darauf los, und da sie in ihrer Raserei den wirklichen Gegner bald aus dem Blick verliert, fällt sie unter dem Vorgeben, ihr den Rücken stärken zu müssen, mit Knütteln über die eigene Negierung her. Wir erleben es sogar, daß ein Blatt, das sich eines ganz besonders fein ent¬ wickelten nationalen Bewußtseins rühmt, daß die Tägliche Rundschau dem Staatssekretär droht: na warte, nach der Rede Grens da gibts was! Solange solche Dinge, die in der Psyche der Beteiligten, aber auch in der historischen Entwicklung unserer nationalen Presse begründet sind, möglich bleiben, dürfen wir uns nicht wundern, daß der Leiter der auswärtigen Politik mit der Information gewisser Blätter zurückhaltender ist, als es vielleicht notwendig erscheint. Setzt er sich doch womöglich der Gefahr aus, im gespanntesten Augen¬ blick einen' Stoß in den Rücken zu erhalten und seinen kunstvoll gefügten diplomatischen Schleier zerrissen zu sehen. Herr Paul Cambon, Frankreichs Botschafter zu London, mag es im November 1906 nicht für möglich gehalten haben, daß schon fünf Jahre später sein Bruder Jules mit Deutschland Abreden treffen könnte, die den von ihm gefeierten Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/461>, abgerufen am 23.07.2024.