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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das literarische Leben der Deutschen in und aus Böhmen

Der si. Franz von Assisi könnte nicht schöner schwärmen und schwelgen. Lister
weiß oft nicht mehr, was Traum und Wirklichkeit ist, so tief versenkt er sich
in das Leben der Natur. Seine andere Liebe aber heißt Elisabeth. Die
Menschwerdung beider im höheren Sinn bildet den Inhalt des köstlichen Buches:
Eine wunderbar innige Naturanschauung, Führich und Schwind vergleichbar,
eine berauschende Sprache voll ossianischer Gewalt, ein Hymnus auf Leben,
Liebe und Schönheit! Ein anderes Werk, Horschicks Novellen und Skizzen
"Reif ini Frühling" (1907 bei Amelang in Leipzig), beweist eben so sehr den
eigentlich lyrischen Charakter unseres Dichters, der mit romantischen "Lieder"
des Wanderers" im Sinne Hardenbergs begonnen hat. Sein Stoff ist immer
nur das Psychische, aber dessen Umkreis kennt ja keine Grenzen. Dunkel und
schwerfällig erscheint uus manchmal sein Stil. Dann aber leuchtet wieder wie
ein blendender Blitz die überraschendste Klarheit im Ausdruck aus dem phan¬
tastischen Labyrinth seiner Sprache hervor. Novalis hat ähnlich geschrieben,
Musik in Worte gegossen. Man muß Horschick laut lesen, wenn man ihn
genießen will. Er ist ein Tonkünstler der deutschen Sprache. Ju den Novellen
ist einigemal von Prag und von Böhmen die Rede. Eine Schilderung der
heimischen Landschaft wird uns darin nicht gegeben, obwohl viele eingestreute
Naturbilder beseelt und voll Farbenglut Horschicks Stimmungen erfüllen. Aber
die eigenartige Seele des alten Prag, die schwärmerische Melancholie, die aus
Steinen und hängenden Gärten, vom stolzen Hradschin, vom fliederumbuschten
Laurenziberg und aus der langsam leise rauschenden Moldau zu jedem flüstert,
der diese Sprache versteht, also Heimatkultur der Seele lebt und webt in dem
Neuromantiker Horschick. In der Novelle "Wenn die Blätter fallen" vernehmen
wir den vollen Nachhall jener wehmütig schönen Empfindung. Und wie Naabes
"Alter Proteus" etwa ein wunderlicher Kauz ist mit seinen Schnurren und
Märchen, die der selige Jean Paul nicht herrlicher hätte träumen können, ebenso
freundlich und liebenswürdig weist uns Horschicks pensionierter Waldheger
Wunibald Strumpel irgendwo im Deutschböhmischen den märchenhaften "Weg
zum Prinzen Jgilo". Aber Horschick vermag auch den sozialen Masseninstinkt
der Gegenwart zu begreisen. Er ist kein bloßer Träumer. "Morgen werden
sie siegen", schreibt er als Titel über eine andere Novelle. Und er meint damit
die Arbeiter, die Arbeiter des Geistes nicht minder als die Tagwerker der
allmächtigen Industrie. Und dann wird er wieder ganz altmodisch. "Malvi",
dem getreuen Hund, widmet er eine Geschichte. Darin kommt kein modernes
Problem zur Austragung. Die Liebe zur Tierwelt ist alt, uralt, aber darum
auch ewig neu. "Malvi" bedeutet eine Perle der ganzen Sammlung. Stimmungen
und Gestalten aus Stifters "Mappe meines Urgroßvaters" tauchen wieder auf.
Die tiefe Wirkung der dramatisch knappen Sprache erinnert an dessen "Berg¬
kristall".

Von den deutschböhmischen Schriftstellern außerhalb Böhmens verdienten
viele an dieser Stelle charakterisiert zu werden: Anton Ohorn, Viktor Hadwiger,


Das literarische Leben der Deutschen in und aus Böhmen

Der si. Franz von Assisi könnte nicht schöner schwärmen und schwelgen. Lister
weiß oft nicht mehr, was Traum und Wirklichkeit ist, so tief versenkt er sich
in das Leben der Natur. Seine andere Liebe aber heißt Elisabeth. Die
Menschwerdung beider im höheren Sinn bildet den Inhalt des köstlichen Buches:
Eine wunderbar innige Naturanschauung, Führich und Schwind vergleichbar,
eine berauschende Sprache voll ossianischer Gewalt, ein Hymnus auf Leben,
Liebe und Schönheit! Ein anderes Werk, Horschicks Novellen und Skizzen
„Reif ini Frühling" (1907 bei Amelang in Leipzig), beweist eben so sehr den
eigentlich lyrischen Charakter unseres Dichters, der mit romantischen „Lieder»
des Wanderers" im Sinne Hardenbergs begonnen hat. Sein Stoff ist immer
nur das Psychische, aber dessen Umkreis kennt ja keine Grenzen. Dunkel und
schwerfällig erscheint uus manchmal sein Stil. Dann aber leuchtet wieder wie
ein blendender Blitz die überraschendste Klarheit im Ausdruck aus dem phan¬
tastischen Labyrinth seiner Sprache hervor. Novalis hat ähnlich geschrieben,
Musik in Worte gegossen. Man muß Horschick laut lesen, wenn man ihn
genießen will. Er ist ein Tonkünstler der deutschen Sprache. Ju den Novellen
ist einigemal von Prag und von Böhmen die Rede. Eine Schilderung der
heimischen Landschaft wird uns darin nicht gegeben, obwohl viele eingestreute
Naturbilder beseelt und voll Farbenglut Horschicks Stimmungen erfüllen. Aber
die eigenartige Seele des alten Prag, die schwärmerische Melancholie, die aus
Steinen und hängenden Gärten, vom stolzen Hradschin, vom fliederumbuschten
Laurenziberg und aus der langsam leise rauschenden Moldau zu jedem flüstert,
der diese Sprache versteht, also Heimatkultur der Seele lebt und webt in dem
Neuromantiker Horschick. In der Novelle „Wenn die Blätter fallen" vernehmen
wir den vollen Nachhall jener wehmütig schönen Empfindung. Und wie Naabes
„Alter Proteus" etwa ein wunderlicher Kauz ist mit seinen Schnurren und
Märchen, die der selige Jean Paul nicht herrlicher hätte träumen können, ebenso
freundlich und liebenswürdig weist uns Horschicks pensionierter Waldheger
Wunibald Strumpel irgendwo im Deutschböhmischen den märchenhaften „Weg
zum Prinzen Jgilo". Aber Horschick vermag auch den sozialen Masseninstinkt
der Gegenwart zu begreisen. Er ist kein bloßer Träumer. „Morgen werden
sie siegen", schreibt er als Titel über eine andere Novelle. Und er meint damit
die Arbeiter, die Arbeiter des Geistes nicht minder als die Tagwerker der
allmächtigen Industrie. Und dann wird er wieder ganz altmodisch. „Malvi",
dem getreuen Hund, widmet er eine Geschichte. Darin kommt kein modernes
Problem zur Austragung. Die Liebe zur Tierwelt ist alt, uralt, aber darum
auch ewig neu. „Malvi" bedeutet eine Perle der ganzen Sammlung. Stimmungen
und Gestalten aus Stifters „Mappe meines Urgroßvaters" tauchen wieder auf.
Die tiefe Wirkung der dramatisch knappen Sprache erinnert an dessen „Berg¬
kristall".

Von den deutschböhmischen Schriftstellern außerhalb Böhmens verdienten
viele an dieser Stelle charakterisiert zu werden: Anton Ohorn, Viktor Hadwiger,


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[0438] Das literarische Leben der Deutschen in und aus Böhmen Der si. Franz von Assisi könnte nicht schöner schwärmen und schwelgen. Lister weiß oft nicht mehr, was Traum und Wirklichkeit ist, so tief versenkt er sich in das Leben der Natur. Seine andere Liebe aber heißt Elisabeth. Die Menschwerdung beider im höheren Sinn bildet den Inhalt des köstlichen Buches: Eine wunderbar innige Naturanschauung, Führich und Schwind vergleichbar, eine berauschende Sprache voll ossianischer Gewalt, ein Hymnus auf Leben, Liebe und Schönheit! Ein anderes Werk, Horschicks Novellen und Skizzen „Reif ini Frühling" (1907 bei Amelang in Leipzig), beweist eben so sehr den eigentlich lyrischen Charakter unseres Dichters, der mit romantischen „Lieder» des Wanderers" im Sinne Hardenbergs begonnen hat. Sein Stoff ist immer nur das Psychische, aber dessen Umkreis kennt ja keine Grenzen. Dunkel und schwerfällig erscheint uus manchmal sein Stil. Dann aber leuchtet wieder wie ein blendender Blitz die überraschendste Klarheit im Ausdruck aus dem phan¬ tastischen Labyrinth seiner Sprache hervor. Novalis hat ähnlich geschrieben, Musik in Worte gegossen. Man muß Horschick laut lesen, wenn man ihn genießen will. Er ist ein Tonkünstler der deutschen Sprache. Ju den Novellen ist einigemal von Prag und von Böhmen die Rede. Eine Schilderung der heimischen Landschaft wird uns darin nicht gegeben, obwohl viele eingestreute Naturbilder beseelt und voll Farbenglut Horschicks Stimmungen erfüllen. Aber die eigenartige Seele des alten Prag, die schwärmerische Melancholie, die aus Steinen und hängenden Gärten, vom stolzen Hradschin, vom fliederumbuschten Laurenziberg und aus der langsam leise rauschenden Moldau zu jedem flüstert, der diese Sprache versteht, also Heimatkultur der Seele lebt und webt in dem Neuromantiker Horschick. In der Novelle „Wenn die Blätter fallen" vernehmen wir den vollen Nachhall jener wehmütig schönen Empfindung. Und wie Naabes „Alter Proteus" etwa ein wunderlicher Kauz ist mit seinen Schnurren und Märchen, die der selige Jean Paul nicht herrlicher hätte träumen können, ebenso freundlich und liebenswürdig weist uns Horschicks pensionierter Waldheger Wunibald Strumpel irgendwo im Deutschböhmischen den märchenhaften „Weg zum Prinzen Jgilo". Aber Horschick vermag auch den sozialen Masseninstinkt der Gegenwart zu begreisen. Er ist kein bloßer Träumer. „Morgen werden sie siegen", schreibt er als Titel über eine andere Novelle. Und er meint damit die Arbeiter, die Arbeiter des Geistes nicht minder als die Tagwerker der allmächtigen Industrie. Und dann wird er wieder ganz altmodisch. „Malvi", dem getreuen Hund, widmet er eine Geschichte. Darin kommt kein modernes Problem zur Austragung. Die Liebe zur Tierwelt ist alt, uralt, aber darum auch ewig neu. „Malvi" bedeutet eine Perle der ganzen Sammlung. Stimmungen und Gestalten aus Stifters „Mappe meines Urgroßvaters" tauchen wieder auf. Die tiefe Wirkung der dramatisch knappen Sprache erinnert an dessen „Berg¬ kristall". Von den deutschböhmischen Schriftstellern außerhalb Böhmens verdienten viele an dieser Stelle charakterisiert zu werden: Anton Ohorn, Viktor Hadwiger,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/438>, abgerufen am 23.07.2024.