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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Jntelligenzprüfungen an Schulkindern

danken leichter und verständlicher ausdrücken; 3) Schulbildung ist hauptsächlich
Übermittlung von Wissen, Unterschiede in der Schulbildung berühren daher die
eigentliche Intelligenz kaum.

Zu der zweiten Frage, der Verteilung der Begabungsunterschiede, ist folgendes
zu bemerken. Wenn man eine größere Anzahl, d. h. mehrere hundert Kinder
geprüft hat, so findet man, daß die Zahlen der Kinder, deren Intelligenz normal
oder um bestimmte Maße (Jahre) über- oder unternormal ist, in ihrer Ver¬
teilung einer gewissen Gesetzmäßigkeit folgen. Es zeigt sich, daß auf jeder
Altersstufe die genau normalen Kinder, bei denen physisches und Jntelligenzalter
gleich sind, die Majorität bilden, daß diese Majorität aber mit zunehmendem
Alter sich vermindert. Wichtiger als dies, was eigentlich zu erwarten war, ist
folgendes: Man erhält auf jeder Altersstufe außer den genau normalen Kindern
gewisse Prozentsätze von Kindern, die um ein, um zwei Jahr zurück, oder um
ein, um zwei Jahr voraus sind; größere Abweichungen von der Norm sind in der
Volksschule sehr selten. Wenn man nun jene Prozentsätze miteinander vergleicht,
so findet man -- bei großen Versuchszahlen! -- daß sie sich symmetrisch um die
Mitte des Normalen herum verteilen, d. h. das Resultat "um ein Jahr zurück"
ist etwa ebenso häufig wie das "um ein Jahr voraus", "um zwei Jahre zurück"
etwa ebenso häufig wie "um zwei Jahre voraus". Je größer die Beträge des
Zurück und Voraus werden, desto unsicherer wird eine solche Feststellung natürlich,
denn die Prozentsätze werden schnell kleiner, und dazu kommt noch die Tendenz
zur Abwanderung aus der Volksschule, einerseits zur Hilfs-, andererseits zur
höheren Schule. Dieses Resultat ist in verschiedenen Hinsichten nicht ohne
Interesse. Hier sei nur erwähnt, daß es in Übereinstimmung steht mit einer
einst von Francis Galton gemachten Annahme über die Verteilung der Be-
gabuugsgrade, nämlich, daß sie analog sei der Häufigkeitsverteilung von
Messungsdaten auf körperlichem Gebiet, wie sie z. B. iubezug auf die Körperlängen¬
maße festgestellt ist. Galton berechnete demgemäß eine der sogenannten Gaußscheu
Fehlerkurve (für die Häufigkeit von Beobachtungsfehlern geltend) entsprechende
Häufigkeitskurve der Begabungsgrade und knüpfte hieran gewisse Erwägungen,
die seine Beobachtungen über das Auftreten genial begabter Menschen verständlich
machen sollten.

Zum Schluß einiges von den Ergebnissen der Untersuchung abnormer
Kinder, unter denen in der Hauptsache zwei Kategorien zu unterscheiden sind.
Erstens solche, die nach längerem erfolglosen Besuch der Volksschule einer Hilfs¬
schule überwiesen werden: sie sind zum größten Teil acht bis neun Jahr alt.
Zweitens solche, meist ältere, die wegen sittlicher Verwahrlosung einer Fürsorge¬
anstalt zugeführt werden. Es wurde weiter oben bereits darauf hingewiesen,
daß man der Entscheidung, ob ein acht- bis neunjähriges Kind in die Hilfs¬
schule gehört, die Tatsache zugrunde zu legen hat, daß sich unter den in der
Schule fortkommenden Kindern dieses Alters keines befindet, dessen Intelligenz-
alter um zwei Jahre oder mehr hinter seinem physischen Alter zurückbleibt. Die


Jntelligenzprüfungen an Schulkindern

danken leichter und verständlicher ausdrücken; 3) Schulbildung ist hauptsächlich
Übermittlung von Wissen, Unterschiede in der Schulbildung berühren daher die
eigentliche Intelligenz kaum.

Zu der zweiten Frage, der Verteilung der Begabungsunterschiede, ist folgendes
zu bemerken. Wenn man eine größere Anzahl, d. h. mehrere hundert Kinder
geprüft hat, so findet man, daß die Zahlen der Kinder, deren Intelligenz normal
oder um bestimmte Maße (Jahre) über- oder unternormal ist, in ihrer Ver¬
teilung einer gewissen Gesetzmäßigkeit folgen. Es zeigt sich, daß auf jeder
Altersstufe die genau normalen Kinder, bei denen physisches und Jntelligenzalter
gleich sind, die Majorität bilden, daß diese Majorität aber mit zunehmendem
Alter sich vermindert. Wichtiger als dies, was eigentlich zu erwarten war, ist
folgendes: Man erhält auf jeder Altersstufe außer den genau normalen Kindern
gewisse Prozentsätze von Kindern, die um ein, um zwei Jahr zurück, oder um
ein, um zwei Jahr voraus sind; größere Abweichungen von der Norm sind in der
Volksschule sehr selten. Wenn man nun jene Prozentsätze miteinander vergleicht,
so findet man — bei großen Versuchszahlen! — daß sie sich symmetrisch um die
Mitte des Normalen herum verteilen, d. h. das Resultat „um ein Jahr zurück"
ist etwa ebenso häufig wie das „um ein Jahr voraus", „um zwei Jahre zurück"
etwa ebenso häufig wie „um zwei Jahre voraus". Je größer die Beträge des
Zurück und Voraus werden, desto unsicherer wird eine solche Feststellung natürlich,
denn die Prozentsätze werden schnell kleiner, und dazu kommt noch die Tendenz
zur Abwanderung aus der Volksschule, einerseits zur Hilfs-, andererseits zur
höheren Schule. Dieses Resultat ist in verschiedenen Hinsichten nicht ohne
Interesse. Hier sei nur erwähnt, daß es in Übereinstimmung steht mit einer
einst von Francis Galton gemachten Annahme über die Verteilung der Be-
gabuugsgrade, nämlich, daß sie analog sei der Häufigkeitsverteilung von
Messungsdaten auf körperlichem Gebiet, wie sie z. B. iubezug auf die Körperlängen¬
maße festgestellt ist. Galton berechnete demgemäß eine der sogenannten Gaußscheu
Fehlerkurve (für die Häufigkeit von Beobachtungsfehlern geltend) entsprechende
Häufigkeitskurve der Begabungsgrade und knüpfte hieran gewisse Erwägungen,
die seine Beobachtungen über das Auftreten genial begabter Menschen verständlich
machen sollten.

Zum Schluß einiges von den Ergebnissen der Untersuchung abnormer
Kinder, unter denen in der Hauptsache zwei Kategorien zu unterscheiden sind.
Erstens solche, die nach längerem erfolglosen Besuch der Volksschule einer Hilfs¬
schule überwiesen werden: sie sind zum größten Teil acht bis neun Jahr alt.
Zweitens solche, meist ältere, die wegen sittlicher Verwahrlosung einer Fürsorge¬
anstalt zugeführt werden. Es wurde weiter oben bereits darauf hingewiesen,
daß man der Entscheidung, ob ein acht- bis neunjähriges Kind in die Hilfs¬
schule gehört, die Tatsache zugrunde zu legen hat, daß sich unter den in der
Schule fortkommenden Kindern dieses Alters keines befindet, dessen Intelligenz-
alter um zwei Jahre oder mehr hinter seinem physischen Alter zurückbleibt. Die


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[0394] Jntelligenzprüfungen an Schulkindern danken leichter und verständlicher ausdrücken; 3) Schulbildung ist hauptsächlich Übermittlung von Wissen, Unterschiede in der Schulbildung berühren daher die eigentliche Intelligenz kaum. Zu der zweiten Frage, der Verteilung der Begabungsunterschiede, ist folgendes zu bemerken. Wenn man eine größere Anzahl, d. h. mehrere hundert Kinder geprüft hat, so findet man, daß die Zahlen der Kinder, deren Intelligenz normal oder um bestimmte Maße (Jahre) über- oder unternormal ist, in ihrer Ver¬ teilung einer gewissen Gesetzmäßigkeit folgen. Es zeigt sich, daß auf jeder Altersstufe die genau normalen Kinder, bei denen physisches und Jntelligenzalter gleich sind, die Majorität bilden, daß diese Majorität aber mit zunehmendem Alter sich vermindert. Wichtiger als dies, was eigentlich zu erwarten war, ist folgendes: Man erhält auf jeder Altersstufe außer den genau normalen Kindern gewisse Prozentsätze von Kindern, die um ein, um zwei Jahr zurück, oder um ein, um zwei Jahr voraus sind; größere Abweichungen von der Norm sind in der Volksschule sehr selten. Wenn man nun jene Prozentsätze miteinander vergleicht, so findet man — bei großen Versuchszahlen! — daß sie sich symmetrisch um die Mitte des Normalen herum verteilen, d. h. das Resultat „um ein Jahr zurück" ist etwa ebenso häufig wie das „um ein Jahr voraus", „um zwei Jahre zurück" etwa ebenso häufig wie „um zwei Jahre voraus". Je größer die Beträge des Zurück und Voraus werden, desto unsicherer wird eine solche Feststellung natürlich, denn die Prozentsätze werden schnell kleiner, und dazu kommt noch die Tendenz zur Abwanderung aus der Volksschule, einerseits zur Hilfs-, andererseits zur höheren Schule. Dieses Resultat ist in verschiedenen Hinsichten nicht ohne Interesse. Hier sei nur erwähnt, daß es in Übereinstimmung steht mit einer einst von Francis Galton gemachten Annahme über die Verteilung der Be- gabuugsgrade, nämlich, daß sie analog sei der Häufigkeitsverteilung von Messungsdaten auf körperlichem Gebiet, wie sie z. B. iubezug auf die Körperlängen¬ maße festgestellt ist. Galton berechnete demgemäß eine der sogenannten Gaußscheu Fehlerkurve (für die Häufigkeit von Beobachtungsfehlern geltend) entsprechende Häufigkeitskurve der Begabungsgrade und knüpfte hieran gewisse Erwägungen, die seine Beobachtungen über das Auftreten genial begabter Menschen verständlich machen sollten. Zum Schluß einiges von den Ergebnissen der Untersuchung abnormer Kinder, unter denen in der Hauptsache zwei Kategorien zu unterscheiden sind. Erstens solche, die nach längerem erfolglosen Besuch der Volksschule einer Hilfs¬ schule überwiesen werden: sie sind zum größten Teil acht bis neun Jahr alt. Zweitens solche, meist ältere, die wegen sittlicher Verwahrlosung einer Fürsorge¬ anstalt zugeführt werden. Es wurde weiter oben bereits darauf hingewiesen, daß man der Entscheidung, ob ein acht- bis neunjähriges Kind in die Hilfs¬ schule gehört, die Tatsache zugrunde zu legen hat, daß sich unter den in der Schule fortkommenden Kindern dieses Alters keines befindet, dessen Intelligenz- alter um zwei Jahre oder mehr hinter seinem physischen Alter zurückbleibt. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/394>, abgerufen am 23.07.2024.