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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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der einzelnen Fragen vielfach nicht bloß von einem Schema zum anderen,
sondern, je nach dem Verhalten des Geprüften, oft auch von einer Prüfung
zur anderen; zweitens ist die Entscheidung über den Ausfall der Prüfung, die
Beurteilung der Antworten, gänzlich von dem subjektiven Ermessen des Unter¬
suchers abhängig. Daß hierdurch die Verwertbarkeit der Ergebnisse solcher
Prüfungen über den einzelnen Fall hinaus sehr beeinträchtigt werden muß, ist
leicht einzusehen. Besonders ernst werden aber diese Bedenken, wenn es sich
um Kinder handelt, da bei ihnen die Verschiedenheit des Alters eine weitere
Komplikation bedeutet. Wir werden später sehen, auf welchem Wege man
gerade von hier aus die Methodik der Jntelligenzprüfung zu vervollkommnen
gesucht hat. Vorher wollen wir uns klar machen, wie man von nichtmedizinischer,
nämlich von pädagogisch-psychologischer Seite dazu gelangt ist, sich mit dem
Problem der Jntelligenzprüfung zu beschäftigen.

Zunächst waren es, namentlich in Amerika, einzelne Psychologen, die mit
ihren im Laboratorium ausgedachten Experimenten hinauszogen auf die Suche
nach einer größeren Anzahl von Personen, mit denen sie ihre Versuche an¬
stellen konnten. Daß sie hierbei sehr bald in den Volksschulen landeten, war
ganz natürlich: hier verfügten sie über beliebige Mengen von Versuchspersonen,
mit denen sehr leicht umzugehen war. Die Experimente selbst, jetzt allgemein
mit den: englischen Worte ,,^L8es" (Prüfungsmittel) bezeichnet, waren meist
sehr einfacher Art und hatten mit der Intelligenz wenig oder gar nichts zu
tun, z. B. Messung der Unterschiedsempfindlichkeit für verschiedene Sinnes¬
eindrücke, der sogenannten Reaktionszeit (Zeit, die vergeht, bis auf eine
Empfindung möglichst schnell mit einer Bewegung reagiert wird), der
Geschwindigkeit oder der Sicherheit, mit der bestimmte Bewegungen ausgeführt
werden können und dergleichen mehr. Um nun in die hierbei erhaltenen
Versuchsresultate eine Ordnung zu bringen, gruppierte man, was ja sehr nahe
lag, die untersuchten Kinder nach verschiedenen Gesichtspunkten, so auch nach
ihrer Begabung, indem man sie etwa in gute, mittelmäßige und schlechte teilte.
Es ergab sich dann natürlich meistens, daß die "guten" Kinder die höchsten,
die "schlechten" die niedrigsten Testleistungen aufwiesen. Aus verschiedenen
Gründen - ungeeignete Tests, ungenaue Schätzung der Begabung, zu kleine
Zahl von Versuchspersonen usw. -- war die Ausbeute an sicheren und
verwertbaren Ergebnissen bei dieser Art von Experimenten äußerst geringfügig.
Ein wesentlicher Fortschritt wurde erst erreicht, als man dazu überging, die
Methodik solcher Untersuchungen in doppelter Beziehung auszubauen und
exakter zu gestalten.

Erstens nämlich bemühte man sich, statt solcher Tests wie die vorhin
erwähnten, bei deren Ausführung die Intelligenz kaum eine Rolle spielt, andere
aufzufinden, die geeigneter wären, als Proben auf die höheren geistigen
Funktionen zu dienen. So kam z. B. Ebbinghaus auf Grund des Gedankens,
daß die Kombinationsgabe -- die Fähigkeit zum Ergänzen eines lückenhaft


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der einzelnen Fragen vielfach nicht bloß von einem Schema zum anderen,
sondern, je nach dem Verhalten des Geprüften, oft auch von einer Prüfung
zur anderen; zweitens ist die Entscheidung über den Ausfall der Prüfung, die
Beurteilung der Antworten, gänzlich von dem subjektiven Ermessen des Unter¬
suchers abhängig. Daß hierdurch die Verwertbarkeit der Ergebnisse solcher
Prüfungen über den einzelnen Fall hinaus sehr beeinträchtigt werden muß, ist
leicht einzusehen. Besonders ernst werden aber diese Bedenken, wenn es sich
um Kinder handelt, da bei ihnen die Verschiedenheit des Alters eine weitere
Komplikation bedeutet. Wir werden später sehen, auf welchem Wege man
gerade von hier aus die Methodik der Jntelligenzprüfung zu vervollkommnen
gesucht hat. Vorher wollen wir uns klar machen, wie man von nichtmedizinischer,
nämlich von pädagogisch-psychologischer Seite dazu gelangt ist, sich mit dem
Problem der Jntelligenzprüfung zu beschäftigen.

Zunächst waren es, namentlich in Amerika, einzelne Psychologen, die mit
ihren im Laboratorium ausgedachten Experimenten hinauszogen auf die Suche
nach einer größeren Anzahl von Personen, mit denen sie ihre Versuche an¬
stellen konnten. Daß sie hierbei sehr bald in den Volksschulen landeten, war
ganz natürlich: hier verfügten sie über beliebige Mengen von Versuchspersonen,
mit denen sehr leicht umzugehen war. Die Experimente selbst, jetzt allgemein
mit den: englischen Worte ,,^L8es" (Prüfungsmittel) bezeichnet, waren meist
sehr einfacher Art und hatten mit der Intelligenz wenig oder gar nichts zu
tun, z. B. Messung der Unterschiedsempfindlichkeit für verschiedene Sinnes¬
eindrücke, der sogenannten Reaktionszeit (Zeit, die vergeht, bis auf eine
Empfindung möglichst schnell mit einer Bewegung reagiert wird), der
Geschwindigkeit oder der Sicherheit, mit der bestimmte Bewegungen ausgeführt
werden können und dergleichen mehr. Um nun in die hierbei erhaltenen
Versuchsresultate eine Ordnung zu bringen, gruppierte man, was ja sehr nahe
lag, die untersuchten Kinder nach verschiedenen Gesichtspunkten, so auch nach
ihrer Begabung, indem man sie etwa in gute, mittelmäßige und schlechte teilte.
Es ergab sich dann natürlich meistens, daß die „guten" Kinder die höchsten,
die „schlechten" die niedrigsten Testleistungen aufwiesen. Aus verschiedenen
Gründen - ungeeignete Tests, ungenaue Schätzung der Begabung, zu kleine
Zahl von Versuchspersonen usw. — war die Ausbeute an sicheren und
verwertbaren Ergebnissen bei dieser Art von Experimenten äußerst geringfügig.
Ein wesentlicher Fortschritt wurde erst erreicht, als man dazu überging, die
Methodik solcher Untersuchungen in doppelter Beziehung auszubauen und
exakter zu gestalten.

Erstens nämlich bemühte man sich, statt solcher Tests wie die vorhin
erwähnten, bei deren Ausführung die Intelligenz kaum eine Rolle spielt, andere
aufzufinden, die geeigneter wären, als Proben auf die höheren geistigen
Funktionen zu dienen. So kam z. B. Ebbinghaus auf Grund des Gedankens,
daß die Kombinationsgabe — die Fähigkeit zum Ergänzen eines lückenhaft


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[0388] Jntclligenzprüfungen an Schulkinder» der einzelnen Fragen vielfach nicht bloß von einem Schema zum anderen, sondern, je nach dem Verhalten des Geprüften, oft auch von einer Prüfung zur anderen; zweitens ist die Entscheidung über den Ausfall der Prüfung, die Beurteilung der Antworten, gänzlich von dem subjektiven Ermessen des Unter¬ suchers abhängig. Daß hierdurch die Verwertbarkeit der Ergebnisse solcher Prüfungen über den einzelnen Fall hinaus sehr beeinträchtigt werden muß, ist leicht einzusehen. Besonders ernst werden aber diese Bedenken, wenn es sich um Kinder handelt, da bei ihnen die Verschiedenheit des Alters eine weitere Komplikation bedeutet. Wir werden später sehen, auf welchem Wege man gerade von hier aus die Methodik der Jntelligenzprüfung zu vervollkommnen gesucht hat. Vorher wollen wir uns klar machen, wie man von nichtmedizinischer, nämlich von pädagogisch-psychologischer Seite dazu gelangt ist, sich mit dem Problem der Jntelligenzprüfung zu beschäftigen. Zunächst waren es, namentlich in Amerika, einzelne Psychologen, die mit ihren im Laboratorium ausgedachten Experimenten hinauszogen auf die Suche nach einer größeren Anzahl von Personen, mit denen sie ihre Versuche an¬ stellen konnten. Daß sie hierbei sehr bald in den Volksschulen landeten, war ganz natürlich: hier verfügten sie über beliebige Mengen von Versuchspersonen, mit denen sehr leicht umzugehen war. Die Experimente selbst, jetzt allgemein mit den: englischen Worte ,,^L8es" (Prüfungsmittel) bezeichnet, waren meist sehr einfacher Art und hatten mit der Intelligenz wenig oder gar nichts zu tun, z. B. Messung der Unterschiedsempfindlichkeit für verschiedene Sinnes¬ eindrücke, der sogenannten Reaktionszeit (Zeit, die vergeht, bis auf eine Empfindung möglichst schnell mit einer Bewegung reagiert wird), der Geschwindigkeit oder der Sicherheit, mit der bestimmte Bewegungen ausgeführt werden können und dergleichen mehr. Um nun in die hierbei erhaltenen Versuchsresultate eine Ordnung zu bringen, gruppierte man, was ja sehr nahe lag, die untersuchten Kinder nach verschiedenen Gesichtspunkten, so auch nach ihrer Begabung, indem man sie etwa in gute, mittelmäßige und schlechte teilte. Es ergab sich dann natürlich meistens, daß die „guten" Kinder die höchsten, die „schlechten" die niedrigsten Testleistungen aufwiesen. Aus verschiedenen Gründen - ungeeignete Tests, ungenaue Schätzung der Begabung, zu kleine Zahl von Versuchspersonen usw. — war die Ausbeute an sicheren und verwertbaren Ergebnissen bei dieser Art von Experimenten äußerst geringfügig. Ein wesentlicher Fortschritt wurde erst erreicht, als man dazu überging, die Methodik solcher Untersuchungen in doppelter Beziehung auszubauen und exakter zu gestalten. Erstens nämlich bemühte man sich, statt solcher Tests wie die vorhin erwähnten, bei deren Ausführung die Intelligenz kaum eine Rolle spielt, andere aufzufinden, die geeigneter wären, als Proben auf die höheren geistigen Funktionen zu dienen. So kam z. B. Ebbinghaus auf Grund des Gedankens, daß die Kombinationsgabe — die Fähigkeit zum Ergänzen eines lückenhaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/388>, abgerufen am 26.08.2024.