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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus Lhimi

Endlich kamen wir nach einem Ritt von weiteren fünfeinviertel Stunden
in Ch'a-tao an, wo wir mit Herrn und Frau v. P. ein frohes Wiedersehen
feierten. Wir logierten dort in einem sehr netten und sauberen chinesischen
Gasthofe. Am nächsten Morgen ritten wir nach Nan-k'on zurück, machten jedoch
zweimal längere Station: zuerst an der Mauer, die wir erklommen; sie ist so
breit, daß auf ihr bequem zwei Zweispänner nebeneinander fahren könnten.
Natürlich wurde fleißig photographiert, und hinterdrein frühstückten wir unter
freiem Himmel am Fuße der Mauer. Dann machten wir noch einmal Halt bei
Kiü-yung-tuam, wo Frau v. P. malte. Unsere Maultiere mit dem Gepäck, Koch
und Boys schickten wir nach Nan-k'on voraus und ritten selbst erst nach eineinhalb
Stunden weiter. Kaum hatte ich dann später mein Maultier bestiegen, als es
auch sofort mit mir durchging: es sehnte sich offenbar nach seinen lieben An¬
gehörigen. Da half kein Zureden: offenbar verstand es mein Chinesisch nicht,
auch waren mir die Laute damals noch unbekannt, durch die man Maultiere
zum Stehen bringt, denn unser heimatliches "Prrr" hat hier wie alles die ent¬
gegengesetzte Bedeutung. So gab ich denn als der Klügere nach, und in sausendem
Galopp ging es weiter bis Nan-k'on, wo das Tier dann auch gleich den Gasthof
herausfand, wo die Seinen eingekehrt waren. Ich war ganz zufrieden mit
meiner Husarenleistung und fühlte mich reif für den Zirkus.

Am Morgen brach ich mit Frau v. P. und Lilly nach den Ming-Gräbern
auf, während Herr v. P. nach Peking zurückritt. Diese Gräber sind kolossale
Tempelbauten, eines wie das andere, und leider fast alle in ganz deplorablem
Zustande. Grandios ist aber die Anlage des Ganzen. Es ist ein halbkreis¬
förmiges Tal, amphitheatralisch von mäßig hohen kahlen Bergen umrahmt, an
deren Fuße die Grabstätten liegen. Die Größenverhältnisse sind so kolossal,
daß die Gräber, dreizehn an der Zahl, ungefähr je einen Kilometer voneinander
entfernt sind; eine mehrere Kilometer lange Straße führt in dieses Tal des
Todes, die mit prachtvollen Marmortoren mit schönen Reliefs geschmückt ist,
und zu beiden Seiten desselben sind überlebensgroße Marmorstatuen von
Mandarinen, Pferden, Kamelen, Elefanten und allerhand Fabeltieren aufgestellt.
Es fiel uns auf, daß einer der Elefanten mit zahllosen kleinen Steinchen bedeckt
war, und daß unsere Kukis und Boys ebenfalls damit beschäftigt waren, ihn
mit Steinen zu bombardieren. Ich fragte also unseren Boy, was der tiefere
Sinn dieser Zeremonie sei, worauf er mir im reinsten ?in!Zu-enZ1i8k ant¬
wortete: "suppose xvÄntclieö LateKso baby". Das war also des Pudels Kern,
und daraufhin beteiligten wir uns natürlich auch daran. Hinterdrein konnten
Lilly und Frau v. P. sich nicht darüber einigen, wieviel jede von ihnen
"geworfen" hatte. Ich finde, man darf weder Störchen, noch Elefanten vor¬
greifen. Übrigens machte ich meinen Boy etwas stutzig, indem ich ihm zu
bedenken gab: "Lud LUppc>8ö LatcKss little elsx>laut8?"

Von den Ming-Gräbern, wo abermals viel gemalt und photographiert
wurde, ging es am nächsten Tage nach T'eng-shan, wo genächtigt wurde, und


Briefe aus Lhimi

Endlich kamen wir nach einem Ritt von weiteren fünfeinviertel Stunden
in Ch'a-tao an, wo wir mit Herrn und Frau v. P. ein frohes Wiedersehen
feierten. Wir logierten dort in einem sehr netten und sauberen chinesischen
Gasthofe. Am nächsten Morgen ritten wir nach Nan-k'on zurück, machten jedoch
zweimal längere Station: zuerst an der Mauer, die wir erklommen; sie ist so
breit, daß auf ihr bequem zwei Zweispänner nebeneinander fahren könnten.
Natürlich wurde fleißig photographiert, und hinterdrein frühstückten wir unter
freiem Himmel am Fuße der Mauer. Dann machten wir noch einmal Halt bei
Kiü-yung-tuam, wo Frau v. P. malte. Unsere Maultiere mit dem Gepäck, Koch
und Boys schickten wir nach Nan-k'on voraus und ritten selbst erst nach eineinhalb
Stunden weiter. Kaum hatte ich dann später mein Maultier bestiegen, als es
auch sofort mit mir durchging: es sehnte sich offenbar nach seinen lieben An¬
gehörigen. Da half kein Zureden: offenbar verstand es mein Chinesisch nicht,
auch waren mir die Laute damals noch unbekannt, durch die man Maultiere
zum Stehen bringt, denn unser heimatliches „Prrr" hat hier wie alles die ent¬
gegengesetzte Bedeutung. So gab ich denn als der Klügere nach, und in sausendem
Galopp ging es weiter bis Nan-k'on, wo das Tier dann auch gleich den Gasthof
herausfand, wo die Seinen eingekehrt waren. Ich war ganz zufrieden mit
meiner Husarenleistung und fühlte mich reif für den Zirkus.

Am Morgen brach ich mit Frau v. P. und Lilly nach den Ming-Gräbern
auf, während Herr v. P. nach Peking zurückritt. Diese Gräber sind kolossale
Tempelbauten, eines wie das andere, und leider fast alle in ganz deplorablem
Zustande. Grandios ist aber die Anlage des Ganzen. Es ist ein halbkreis¬
förmiges Tal, amphitheatralisch von mäßig hohen kahlen Bergen umrahmt, an
deren Fuße die Grabstätten liegen. Die Größenverhältnisse sind so kolossal,
daß die Gräber, dreizehn an der Zahl, ungefähr je einen Kilometer voneinander
entfernt sind; eine mehrere Kilometer lange Straße führt in dieses Tal des
Todes, die mit prachtvollen Marmortoren mit schönen Reliefs geschmückt ist,
und zu beiden Seiten desselben sind überlebensgroße Marmorstatuen von
Mandarinen, Pferden, Kamelen, Elefanten und allerhand Fabeltieren aufgestellt.
Es fiel uns auf, daß einer der Elefanten mit zahllosen kleinen Steinchen bedeckt
war, und daß unsere Kukis und Boys ebenfalls damit beschäftigt waren, ihn
mit Steinen zu bombardieren. Ich fragte also unseren Boy, was der tiefere
Sinn dieser Zeremonie sei, worauf er mir im reinsten ?in!Zu-enZ1i8k ant¬
wortete: „suppose xvÄntclieö LateKso baby". Das war also des Pudels Kern,
und daraufhin beteiligten wir uns natürlich auch daran. Hinterdrein konnten
Lilly und Frau v. P. sich nicht darüber einigen, wieviel jede von ihnen
„geworfen" hatte. Ich finde, man darf weder Störchen, noch Elefanten vor¬
greifen. Übrigens machte ich meinen Boy etwas stutzig, indem ich ihm zu
bedenken gab: „Lud LUppc>8ö LatcKss little elsx>laut8?"

Von den Ming-Gräbern, wo abermals viel gemalt und photographiert
wurde, ging es am nächsten Tage nach T'eng-shan, wo genächtigt wurde, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/342>, abgerufen am 03.07.2024.