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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus China

wird dadurch die Verwendung der Beamten Nur nach Befähigung, Kenntnissen
und Leistungen erschwert oder vereitelt. Infolge dieser Scheidung gelten nun
manche Geschäftszweige in den Beamtenkreisen als nicht vornehm. Es handelt
sich dabei um recht wichtige Geschäftszweige: z. B. Steuer- und Schulsachen,
den Bezirksausschuß, das Kassenratsdezernat, das Militärdepartement, das
Schiedsgericht für Arbeiterversicherung u. tgi. Niemand will mehr auf diesen
Geschäftsgebieten tätig sein und jeder strebt danach, ihnen zu entgehen.
Gesucht sind dagegen besonders das Polizei- und das Kommunaldezernat,
denn diese Angelegenheiten unterstehen dem Ministerium des Innern, in dem
auch über das persönliche Schicksal der Beamten entschieden wird. Eine
Ironie des Schicksals ist es übrigens, daß man manche jener allgemein
gering geschätzten Geschäftszweige und Dezernate mit einem besonderen Glanz
umgeben mußte, um die unglückselige Erfindung der "gehobenen" Stellen durch¬
führen zu können. Ich werde auf diese Einrichtung noch zurückkommen.




Briefe aus (Lhina weiland Professor Dr, Wilhelm Grub vonII.

Peking, 15. Sept. 1897.

An seine Schwester.

... Da es jetzt angenehm kühl ist, arbeite ich täglich vier bis fünf Stunden
mit meinem Chinesen und dann noch für mich allein, und ich kann wohl sagen,
daß ich noch nie ein solches Glück in der Arbeit, im freien, durch keine äußeren
Hindernisse gehemmten Forschen gekannt habe. Dreimal glücklich sind diejenigen,
denen solches ihr Lebelang beschieden ist -- und nur wer dieses Glück wie ich
sein ganzes Lebenlang entbehren mußte, weiß es voll zu würdigen. Ich befasse
mich jetzt ganz speziell mit den Pekinger Volksbräuchen*) und habe an meinen:
I^ettrs für dieses Gebiet gerade den rechten Mann gefunden. Jeder Tag bringt
mir neues, und ich komme mir oft vor wie ein kalifornischer Goldgräber, von
der fehlenden Romantik abgesehen. . . .




Peking, 30. Sept. 1897.

An feinen Bruder Carl.


Lieber Carl!

Erst heute komme ich zur Beantwortung Deines lieben Briefes, für den
ich Dir auch in Lillys Namen herzlich danke.



*) Aus diesem Studium ist Grubes Werk "Zur Pekinger Volkskunde" (Veröffentlichungen
aus dem Kömgl. Museum für Völkerkunde Bd. VII, 1901) erwachsen.
Briefe aus China

wird dadurch die Verwendung der Beamten Nur nach Befähigung, Kenntnissen
und Leistungen erschwert oder vereitelt. Infolge dieser Scheidung gelten nun
manche Geschäftszweige in den Beamtenkreisen als nicht vornehm. Es handelt
sich dabei um recht wichtige Geschäftszweige: z. B. Steuer- und Schulsachen,
den Bezirksausschuß, das Kassenratsdezernat, das Militärdepartement, das
Schiedsgericht für Arbeiterversicherung u. tgi. Niemand will mehr auf diesen
Geschäftsgebieten tätig sein und jeder strebt danach, ihnen zu entgehen.
Gesucht sind dagegen besonders das Polizei- und das Kommunaldezernat,
denn diese Angelegenheiten unterstehen dem Ministerium des Innern, in dem
auch über das persönliche Schicksal der Beamten entschieden wird. Eine
Ironie des Schicksals ist es übrigens, daß man manche jener allgemein
gering geschätzten Geschäftszweige und Dezernate mit einem besonderen Glanz
umgeben mußte, um die unglückselige Erfindung der „gehobenen" Stellen durch¬
führen zu können. Ich werde auf diese Einrichtung noch zurückkommen.




Briefe aus (Lhina weiland Professor Dr, Wilhelm Grub vonII.

Peking, 15. Sept. 1897.

An seine Schwester.

... Da es jetzt angenehm kühl ist, arbeite ich täglich vier bis fünf Stunden
mit meinem Chinesen und dann noch für mich allein, und ich kann wohl sagen,
daß ich noch nie ein solches Glück in der Arbeit, im freien, durch keine äußeren
Hindernisse gehemmten Forschen gekannt habe. Dreimal glücklich sind diejenigen,
denen solches ihr Lebelang beschieden ist — und nur wer dieses Glück wie ich
sein ganzes Lebenlang entbehren mußte, weiß es voll zu würdigen. Ich befasse
mich jetzt ganz speziell mit den Pekinger Volksbräuchen*) und habe an meinen:
I^ettrs für dieses Gebiet gerade den rechten Mann gefunden. Jeder Tag bringt
mir neues, und ich komme mir oft vor wie ein kalifornischer Goldgräber, von
der fehlenden Romantik abgesehen. . . .




Peking, 30. Sept. 1897.

An feinen Bruder Carl.


Lieber Carl!

Erst heute komme ich zur Beantwortung Deines lieben Briefes, für den
ich Dir auch in Lillys Namen herzlich danke.



*) Aus diesem Studium ist Grubes Werk „Zur Pekinger Volkskunde" (Veröffentlichungen
aus dem Kömgl. Museum für Völkerkunde Bd. VII, 1901) erwachsen.
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[0338] Briefe aus China wird dadurch die Verwendung der Beamten Nur nach Befähigung, Kenntnissen und Leistungen erschwert oder vereitelt. Infolge dieser Scheidung gelten nun manche Geschäftszweige in den Beamtenkreisen als nicht vornehm. Es handelt sich dabei um recht wichtige Geschäftszweige: z. B. Steuer- und Schulsachen, den Bezirksausschuß, das Kassenratsdezernat, das Militärdepartement, das Schiedsgericht für Arbeiterversicherung u. tgi. Niemand will mehr auf diesen Geschäftsgebieten tätig sein und jeder strebt danach, ihnen zu entgehen. Gesucht sind dagegen besonders das Polizei- und das Kommunaldezernat, denn diese Angelegenheiten unterstehen dem Ministerium des Innern, in dem auch über das persönliche Schicksal der Beamten entschieden wird. Eine Ironie des Schicksals ist es übrigens, daß man manche jener allgemein gering geschätzten Geschäftszweige und Dezernate mit einem besonderen Glanz umgeben mußte, um die unglückselige Erfindung der „gehobenen" Stellen durch¬ führen zu können. Ich werde auf diese Einrichtung noch zurückkommen. Briefe aus (Lhina weiland Professor Dr, Wilhelm Grub vonII. Peking, 15. Sept. 1897. An seine Schwester. ... Da es jetzt angenehm kühl ist, arbeite ich täglich vier bis fünf Stunden mit meinem Chinesen und dann noch für mich allein, und ich kann wohl sagen, daß ich noch nie ein solches Glück in der Arbeit, im freien, durch keine äußeren Hindernisse gehemmten Forschen gekannt habe. Dreimal glücklich sind diejenigen, denen solches ihr Lebelang beschieden ist — und nur wer dieses Glück wie ich sein ganzes Lebenlang entbehren mußte, weiß es voll zu würdigen. Ich befasse mich jetzt ganz speziell mit den Pekinger Volksbräuchen*) und habe an meinen: I^ettrs für dieses Gebiet gerade den rechten Mann gefunden. Jeder Tag bringt mir neues, und ich komme mir oft vor wie ein kalifornischer Goldgräber, von der fehlenden Romantik abgesehen. . . . Peking, 30. Sept. 1897. An feinen Bruder Carl. Lieber Carl! Erst heute komme ich zur Beantwortung Deines lieben Briefes, für den ich Dir auch in Lillys Namen herzlich danke. *) Aus diesem Studium ist Grubes Werk „Zur Pekinger Volkskunde" (Veröffentlichungen aus dem Kömgl. Museum für Völkerkunde Bd. VII, 1901) erwachsen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/338>, abgerufen am 26.08.2024.