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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang dos alten Beamtenstaats

sonst heilig gehaltene Bestimmungsrecht der Regierungspräsidenten ein. Besonders
tritt die Bevorzugung der Minderheit natürlich bei Beförderungen hervor. Ihre
Befähigung dazu wird, wenn überhaupt, mild und wohlwollend geprüft. Die
Hauptsache ist jedoch, daß sie allein die Verwaltungsstellen erhalten, die wirklich
regieren und demgemäß ihren Inhabern eine persönlich oder dienstlich angenehme
und angesehene Stellung sowie eine selbständige, vielseitige und befriedigende
Tätigkeit gewähren, wie die Stellen der Landräte, Regierungspräsidenten, Ober¬
präsidenten u. tgi. Sind sie aber selbst bei wohlwollendster Beurteilung für
eine solche regierende Stellung von vornherein nicht geeignet oder ergibt sich
dies im Laufe ihrer Dienstführung in einer solchen Stellung dann findet sich
für sie immer etwas, womit sie entschädigt werden können.

Bezeichnend für die bevorzugte Stellung dieser Auserwählten ist es weiter,
daß sie sich ruhig und ungestraft und ohne sonstige Nachteile dienstlich und außer¬
dienstlich Sachen erlauben können, die anderen ohne weiteres den Hals brechen,
und daß man ihnen zuliebe mit Leichtigkeit Grundsätze über Bord wirft,
die allen anderen Beamten gegenüber unverbrüchlich festgehalten werden. Dies
gilt namentlich von dem Grundsatz, daß bei der Auswahl für höhere Stellen
zwischen gleichgeeigneten Bewerbern das Dienstalter maßgebend sein soll, was dann
gelegentlich zu recht auffallenden Entscheidungen führt. Während z. B. der Re¬
gierungsrat sonst frühestens mit einem Assessordienstalter von zwanzig Jahren
darauf rechnen kann, Oberregierungsrat zu werden, wurde vor einiger Zeit ein
Regierungsrat, der nur ein Assessordienstalter von etwa zehn Jahren hatte und
infolgedessen noch nicht einmal eine etatsmäßige Regierungsratsstelle bekleidete,
aber sich besonderer Beziehungen erfreute, in eine Oberregierungsratsstelle befördert.
Sein Nachfolger in dieser Stelle mußte dafür wieder zwanzig Jahre auf die
Beförderung warten. Ähnlich ist es zu beurteilen, daß man bei der Beförderung
der Landräte in höhere Stellen der allgemeinen Verwaltung nicht von ihrem
Assessordienstalter ausgeht, sondern von ihrem Patent als Rat vierter Klasse. Da
die Landräte diese Rangstufe in der überwiegenden Mehrheit der Fälle mehrere
Jahre früher erreichen als ihre Dienstaltersgenossen, die nicht Landräte werden, so
bedeutet dieses Verfahren eine besondere Bevorzugung der Kreise, aus denen die
Landräte hervorgehen, für die ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist. Der
Bruch eines feierlichst verkündeten Grundsatzes war es auch, daß man im vorigen
Jahr fast gleichzeitig nicht weniger als drei Landratsämter mit Juristen, einem
Konsistorialrat, einem jungen Amtsrichter und einen: ganz jungen Gerichtsassessor,
besetzte. Bis dahin hatte man nach dem Vorgang des verstorbenen Ministers
v. Hammerstein lange Jahre hindurch die Juristen von den Landratsämtern
grundsätzlich ausgeschlossen, weil man dieses Amt den eigentlichen Verwaltungs¬
beamten vorbehalten wollte, damit diese wenigstens auf einem Gebiet etwas vor
den juristischen Eindringlingen in die Verwaltung voraushätten. In den erwähnten
drei Fällen scheinen allerdings gewisse, auf Besitz oder Wohnsitz gegründete
persönliche Beziehungen zum Kreis bestanden zu haben. Aber man hat früher


Der Untergang dos alten Beamtenstaats

sonst heilig gehaltene Bestimmungsrecht der Regierungspräsidenten ein. Besonders
tritt die Bevorzugung der Minderheit natürlich bei Beförderungen hervor. Ihre
Befähigung dazu wird, wenn überhaupt, mild und wohlwollend geprüft. Die
Hauptsache ist jedoch, daß sie allein die Verwaltungsstellen erhalten, die wirklich
regieren und demgemäß ihren Inhabern eine persönlich oder dienstlich angenehme
und angesehene Stellung sowie eine selbständige, vielseitige und befriedigende
Tätigkeit gewähren, wie die Stellen der Landräte, Regierungspräsidenten, Ober¬
präsidenten u. tgi. Sind sie aber selbst bei wohlwollendster Beurteilung für
eine solche regierende Stellung von vornherein nicht geeignet oder ergibt sich
dies im Laufe ihrer Dienstführung in einer solchen Stellung dann findet sich
für sie immer etwas, womit sie entschädigt werden können.

Bezeichnend für die bevorzugte Stellung dieser Auserwählten ist es weiter,
daß sie sich ruhig und ungestraft und ohne sonstige Nachteile dienstlich und außer¬
dienstlich Sachen erlauben können, die anderen ohne weiteres den Hals brechen,
und daß man ihnen zuliebe mit Leichtigkeit Grundsätze über Bord wirft,
die allen anderen Beamten gegenüber unverbrüchlich festgehalten werden. Dies
gilt namentlich von dem Grundsatz, daß bei der Auswahl für höhere Stellen
zwischen gleichgeeigneten Bewerbern das Dienstalter maßgebend sein soll, was dann
gelegentlich zu recht auffallenden Entscheidungen führt. Während z. B. der Re¬
gierungsrat sonst frühestens mit einem Assessordienstalter von zwanzig Jahren
darauf rechnen kann, Oberregierungsrat zu werden, wurde vor einiger Zeit ein
Regierungsrat, der nur ein Assessordienstalter von etwa zehn Jahren hatte und
infolgedessen noch nicht einmal eine etatsmäßige Regierungsratsstelle bekleidete,
aber sich besonderer Beziehungen erfreute, in eine Oberregierungsratsstelle befördert.
Sein Nachfolger in dieser Stelle mußte dafür wieder zwanzig Jahre auf die
Beförderung warten. Ähnlich ist es zu beurteilen, daß man bei der Beförderung
der Landräte in höhere Stellen der allgemeinen Verwaltung nicht von ihrem
Assessordienstalter ausgeht, sondern von ihrem Patent als Rat vierter Klasse. Da
die Landräte diese Rangstufe in der überwiegenden Mehrheit der Fälle mehrere
Jahre früher erreichen als ihre Dienstaltersgenossen, die nicht Landräte werden, so
bedeutet dieses Verfahren eine besondere Bevorzugung der Kreise, aus denen die
Landräte hervorgehen, für die ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist. Der
Bruch eines feierlichst verkündeten Grundsatzes war es auch, daß man im vorigen
Jahr fast gleichzeitig nicht weniger als drei Landratsämter mit Juristen, einem
Konsistorialrat, einem jungen Amtsrichter und einen: ganz jungen Gerichtsassessor,
besetzte. Bis dahin hatte man nach dem Vorgang des verstorbenen Ministers
v. Hammerstein lange Jahre hindurch die Juristen von den Landratsämtern
grundsätzlich ausgeschlossen, weil man dieses Amt den eigentlichen Verwaltungs¬
beamten vorbehalten wollte, damit diese wenigstens auf einem Gebiet etwas vor
den juristischen Eindringlingen in die Verwaltung voraushätten. In den erwähnten
drei Fällen scheinen allerdings gewisse, auf Besitz oder Wohnsitz gegründete
persönliche Beziehungen zum Kreis bestanden zu haben. Aber man hat früher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/330>, abgerufen am 23.07.2024.