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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Der Untergang des alten Bcamtenstcmts

indem sie an und in den Beamten die Grundlagen zerstörten, auf denen die
Führerschaft des Beamten im alten Staat erwachsen war und mit diesen Grund¬
lagen das Gebäude selbst in Trümmer stürzten. --

Wir haben die vierfache Grundlage der Führerstellung des alten Beamten¬
tums früher kennen gelernt: geschlossene Einheit der Verwaltung in jeder
Hinsicht -- Stellung der Beamten über den einzelnen Landesteilen, Ständen
und Klassen -- hervorragende Tüchtigkeit der einzelnen Beamten, namentlich
auch ein lebendiges Staatsgefühl -- ein unerschütterliches Ansehen und ein
gewaltiges Maß von Vertrauen beim Volke.

Die erste dieser Grundlagen, die Einheit in der Verwaltung, wurde schon
durch die bunte Zusammensetzung der Beamtenschaft bedenklich geschwächt, indem
man unter dem Einfluß des aufkommenden Stümpertums neben geschulten Ver¬
waltungsbeamten unzähligen Juristen und Laien den Zutritt in die Verwaltung
eröffnete und so der Verwaltungslaufbahn das Gepräge eines abgeschlossenen,
in sich einheitlichen Berufs nahm, das ihr auch in langer, mühsamer Lebensarbeit
zwei große Herrscher verliehen hatten.

Verhängnisvoller ist freilich die Zerstörung der Einheit der Verwaltung,
die von der Günstlingswirtschaft ausging. Diese hat, wie es nicht anders sein
konnte, zu einer ganz verschiedenen persönlichen und dienstlichen Behandlung
der einzelnen Beamten geführt und so verschuldet, daß jetzt eine tiefe und
breite Kluft durch die Beamten geht und sie in zwei scharf geschiedene Gruppen
trennt. Zur einen, die bei weitem die Minderheit der Beamten umfaßt,
gehören die Beamten, die durch ihre Beziehungen oder durch sonstige glückliche
Zufälligkeiten aus der herrschenden Günstlingswirtschaft Vorteil haben. Die
andere, weit zahlreichere Gruppe wird von den Beamten gebildet, denen der
Zufall nicht hilft. Je nach der zufälligen Zugehörigkeit zur einen oder zur
anderen dieser beiden Gruppen sind das persönliche Schicksal und die dienstliche
Laufbahn der einzelnen Beamten so verschieden, daß man jetzt von Verwaltungs-
beamten erster und zweiter Klasse sprechen kann.

Die Angehörigen der glücklichen Minderheit haben es überall besser als
die anderen. Schon ihre Aufnahme in die Verwaltung ist sicher oder doch
mindestens wesentlich erleichtert. Auch später werden sie immer bevorzugt. Sie
kommen in die Gegenden und Orte mit angenehmen Lebensverhältnissen, und
hat man hierbei einmal ihre Wünsche nicht getroffen, dann ist man gern bereit,
die Entscheidung abzuändern. Ferner werden sie allein oder doch vorweg berück¬
sichtigt bei der Besetzung der Behörden und der Dezernate, die besonders gesucht
werden, weil sie an sich eine angenehme Tätigkeit gewähren, oder weil sie die
Möglichkeit geben, Kenntnisse und Erfahrungen auf wichtigen Verwaltungsgebieten
zu sammeln oder die Brauchbarkeit für schwierigere Stellungen und Aufgaben
zu erweisen, oder schließlich auch schon deshalb, weil sie Gelegenheit bieten, dort,
wo über das weitere Fortkommen der Beamten entschieden wird, bekannt und
empfohlen zu werden. Dabei greift man ihnen zuliebe gelegentlich auch in das


Grenzboten IV 1911 41
Der Untergang des alten Bcamtenstcmts

indem sie an und in den Beamten die Grundlagen zerstörten, auf denen die
Führerschaft des Beamten im alten Staat erwachsen war und mit diesen Grund¬
lagen das Gebäude selbst in Trümmer stürzten. —

Wir haben die vierfache Grundlage der Führerstellung des alten Beamten¬
tums früher kennen gelernt: geschlossene Einheit der Verwaltung in jeder
Hinsicht — Stellung der Beamten über den einzelnen Landesteilen, Ständen
und Klassen — hervorragende Tüchtigkeit der einzelnen Beamten, namentlich
auch ein lebendiges Staatsgefühl — ein unerschütterliches Ansehen und ein
gewaltiges Maß von Vertrauen beim Volke.

Die erste dieser Grundlagen, die Einheit in der Verwaltung, wurde schon
durch die bunte Zusammensetzung der Beamtenschaft bedenklich geschwächt, indem
man unter dem Einfluß des aufkommenden Stümpertums neben geschulten Ver¬
waltungsbeamten unzähligen Juristen und Laien den Zutritt in die Verwaltung
eröffnete und so der Verwaltungslaufbahn das Gepräge eines abgeschlossenen,
in sich einheitlichen Berufs nahm, das ihr auch in langer, mühsamer Lebensarbeit
zwei große Herrscher verliehen hatten.

Verhängnisvoller ist freilich die Zerstörung der Einheit der Verwaltung,
die von der Günstlingswirtschaft ausging. Diese hat, wie es nicht anders sein
konnte, zu einer ganz verschiedenen persönlichen und dienstlichen Behandlung
der einzelnen Beamten geführt und so verschuldet, daß jetzt eine tiefe und
breite Kluft durch die Beamten geht und sie in zwei scharf geschiedene Gruppen
trennt. Zur einen, die bei weitem die Minderheit der Beamten umfaßt,
gehören die Beamten, die durch ihre Beziehungen oder durch sonstige glückliche
Zufälligkeiten aus der herrschenden Günstlingswirtschaft Vorteil haben. Die
andere, weit zahlreichere Gruppe wird von den Beamten gebildet, denen der
Zufall nicht hilft. Je nach der zufälligen Zugehörigkeit zur einen oder zur
anderen dieser beiden Gruppen sind das persönliche Schicksal und die dienstliche
Laufbahn der einzelnen Beamten so verschieden, daß man jetzt von Verwaltungs-
beamten erster und zweiter Klasse sprechen kann.

Die Angehörigen der glücklichen Minderheit haben es überall besser als
die anderen. Schon ihre Aufnahme in die Verwaltung ist sicher oder doch
mindestens wesentlich erleichtert. Auch später werden sie immer bevorzugt. Sie
kommen in die Gegenden und Orte mit angenehmen Lebensverhältnissen, und
hat man hierbei einmal ihre Wünsche nicht getroffen, dann ist man gern bereit,
die Entscheidung abzuändern. Ferner werden sie allein oder doch vorweg berück¬
sichtigt bei der Besetzung der Behörden und der Dezernate, die besonders gesucht
werden, weil sie an sich eine angenehme Tätigkeit gewähren, oder weil sie die
Möglichkeit geben, Kenntnisse und Erfahrungen auf wichtigen Verwaltungsgebieten
zu sammeln oder die Brauchbarkeit für schwierigere Stellungen und Aufgaben
zu erweisen, oder schließlich auch schon deshalb, weil sie Gelegenheit bieten, dort,
wo über das weitere Fortkommen der Beamten entschieden wird, bekannt und
empfohlen zu werden. Dabei greift man ihnen zuliebe gelegentlich auch in das


Grenzboten IV 1911 41
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[0329] Der Untergang des alten Bcamtenstcmts indem sie an und in den Beamten die Grundlagen zerstörten, auf denen die Führerschaft des Beamten im alten Staat erwachsen war und mit diesen Grund¬ lagen das Gebäude selbst in Trümmer stürzten. — Wir haben die vierfache Grundlage der Führerstellung des alten Beamten¬ tums früher kennen gelernt: geschlossene Einheit der Verwaltung in jeder Hinsicht — Stellung der Beamten über den einzelnen Landesteilen, Ständen und Klassen — hervorragende Tüchtigkeit der einzelnen Beamten, namentlich auch ein lebendiges Staatsgefühl — ein unerschütterliches Ansehen und ein gewaltiges Maß von Vertrauen beim Volke. Die erste dieser Grundlagen, die Einheit in der Verwaltung, wurde schon durch die bunte Zusammensetzung der Beamtenschaft bedenklich geschwächt, indem man unter dem Einfluß des aufkommenden Stümpertums neben geschulten Ver¬ waltungsbeamten unzähligen Juristen und Laien den Zutritt in die Verwaltung eröffnete und so der Verwaltungslaufbahn das Gepräge eines abgeschlossenen, in sich einheitlichen Berufs nahm, das ihr auch in langer, mühsamer Lebensarbeit zwei große Herrscher verliehen hatten. Verhängnisvoller ist freilich die Zerstörung der Einheit der Verwaltung, die von der Günstlingswirtschaft ausging. Diese hat, wie es nicht anders sein konnte, zu einer ganz verschiedenen persönlichen und dienstlichen Behandlung der einzelnen Beamten geführt und so verschuldet, daß jetzt eine tiefe und breite Kluft durch die Beamten geht und sie in zwei scharf geschiedene Gruppen trennt. Zur einen, die bei weitem die Minderheit der Beamten umfaßt, gehören die Beamten, die durch ihre Beziehungen oder durch sonstige glückliche Zufälligkeiten aus der herrschenden Günstlingswirtschaft Vorteil haben. Die andere, weit zahlreichere Gruppe wird von den Beamten gebildet, denen der Zufall nicht hilft. Je nach der zufälligen Zugehörigkeit zur einen oder zur anderen dieser beiden Gruppen sind das persönliche Schicksal und die dienstliche Laufbahn der einzelnen Beamten so verschieden, daß man jetzt von Verwaltungs- beamten erster und zweiter Klasse sprechen kann. Die Angehörigen der glücklichen Minderheit haben es überall besser als die anderen. Schon ihre Aufnahme in die Verwaltung ist sicher oder doch mindestens wesentlich erleichtert. Auch später werden sie immer bevorzugt. Sie kommen in die Gegenden und Orte mit angenehmen Lebensverhältnissen, und hat man hierbei einmal ihre Wünsche nicht getroffen, dann ist man gern bereit, die Entscheidung abzuändern. Ferner werden sie allein oder doch vorweg berück¬ sichtigt bei der Besetzung der Behörden und der Dezernate, die besonders gesucht werden, weil sie an sich eine angenehme Tätigkeit gewähren, oder weil sie die Möglichkeit geben, Kenntnisse und Erfahrungen auf wichtigen Verwaltungsgebieten zu sammeln oder die Brauchbarkeit für schwierigere Stellungen und Aufgaben zu erweisen, oder schließlich auch schon deshalb, weil sie Gelegenheit bieten, dort, wo über das weitere Fortkommen der Beamten entschieden wird, bekannt und empfohlen zu werden. Dabei greift man ihnen zuliebe gelegentlich auch in das Grenzboten IV 1911 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/329>, abgerufen am 23.07.2024.