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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Kleist und Luise Wieland

er weniger Adeliches Blut (oder vielmehr unadeliches) in seinen Adern hätte. --
Bald nach seiner Abreise zogen wir nach Weimar*); als ich da ein Jahr
still und höchst eingezogen gelebt, aber leider weder Muth und Kraft gehabt
hatte etwas mehr zu wollen und zu werden: erschien dieser zauberische Kleist
wieder. Noch ganz derselbe liebenswürdige Mensch der durch seinen Geist,
dazumahl noch sehr bescheidenen stillen Caracter und Benehmen, so interessant
war. Mein Vater empfing ihn als einen alten lieben Freund, und ich mit
einer Fassung die ich mühsamen errungen hatte. So erhielt ich mich in dieser
Stimmung auch wie ich mit ihm allein war: bis zu seiner Abreise die wenige
Tage ^später^ erfolgte. Nach diesen kurzen Besuch schrieb Kpeist^ zwey Briefe
an Vater die aber unbeantwortet blieben und so haben wir von ihm selbst
nichts wieder gehört. Hier hast Du meine Charlotte die kleine Geschichte
meiner frühen Liebe die meinen Caracter einen noch ernsthafterer Anstrich
gegeben hat als er wahrscheinlich sonst erhalten hätte, weil ich von Natur
sehr heiterer Gemüthsart bin, die auch zulezt den Sieg über sie getragen;
und was das Beste ist, vor vielen jungend ^ Thorheiten bewahrt hat. Ich
weis nicht hast Du Etwas von Meiste gelesen? ich habe ein Lustspiel von
ihm hier aufführen sehen welches aber gänzlich durchfiel**). Diesen Winter
bekam ich Gelegenheit wieder ein Schauspiel, Käthchen von Heilbronn und
3 Erzählungen von ihm zu lesen. Ich dächte man könte keinen von diesen
seinen Werth absprechen, aber es kann sehr viel an alle getadelt werden,
so wie viel fehlt bis sie vollendet genant werden tönten. Er ist aber einer
von den ausgezeignenden ^ Poetischen Genien dieses Zeitalters gegen die
aber jeder Vernünftige Mensch viel einzuwenden hat: hauptsächlich daß sie
selbst mit ihren Werken so vollkommen zufrieden sind -- und gröstentheils
die verachten die sich anmaßen ein gescheites Urtheil über sie zu fällen. --
Habe die Güte wenn Du mir über diese Eröffnung Deine Gedanken und
Gefühle schreibst, sie allein auf ein Papier zu sagen. Dieser Gegenstand
ist bei uns schon so verjährt als daß ich wünschen könte ihm beim Vater
und besonders bei den Übrigen in Erneuerung zu bringen. -- Wenn Du
nicht schon ermüdet bist, so folge mir wieder nach diesen kleinen Vorsprung
zu der Fortsetzung meiner eignen Beschreibung zu der Du mich nach nieinen
Gefühl in Deinem Brief aufmunterst -- ohne die freimüthigste Mittheilung
gegen die die ich liebe möchte ich nicht leben. Also so zurück im allen
was zur weiblichen Bildung gehört machte ich nur sehr langsamen Fortschritte,
es würde mehr für mich gethan worden seyn wenn es nicht an vielen Mitteln,
und mir an Entschluß gefehlt hätte. Wodurch ich mehrere Menschen für
mich einnahm weis ich nicht, genug ich wurde geliebt und diese Liebe erweckte
vieleicht zum ersten mahl eine Aufmerksammkeit auf mich selbst die nur höchst
nothwendig war. Schwester Julie die dazumahl meine einzige Freundin




") Osmanstätt ging am 1. Mai 1803 an seinen neuen Besitzer über.
**) Die Weimarer Aufführung des "Zerbrochenen Krugs".
Kleist und Luise Wieland

er weniger Adeliches Blut (oder vielmehr unadeliches) in seinen Adern hätte. —
Bald nach seiner Abreise zogen wir nach Weimar*); als ich da ein Jahr
still und höchst eingezogen gelebt, aber leider weder Muth und Kraft gehabt
hatte etwas mehr zu wollen und zu werden: erschien dieser zauberische Kleist
wieder. Noch ganz derselbe liebenswürdige Mensch der durch seinen Geist,
dazumahl noch sehr bescheidenen stillen Caracter und Benehmen, so interessant
war. Mein Vater empfing ihn als einen alten lieben Freund, und ich mit
einer Fassung die ich mühsamen errungen hatte. So erhielt ich mich in dieser
Stimmung auch wie ich mit ihm allein war: bis zu seiner Abreise die wenige
Tage ^später^ erfolgte. Nach diesen kurzen Besuch schrieb Kpeist^ zwey Briefe
an Vater die aber unbeantwortet blieben und so haben wir von ihm selbst
nichts wieder gehört. Hier hast Du meine Charlotte die kleine Geschichte
meiner frühen Liebe die meinen Caracter einen noch ernsthafterer Anstrich
gegeben hat als er wahrscheinlich sonst erhalten hätte, weil ich von Natur
sehr heiterer Gemüthsart bin, die auch zulezt den Sieg über sie getragen;
und was das Beste ist, vor vielen jungend ^ Thorheiten bewahrt hat. Ich
weis nicht hast Du Etwas von Meiste gelesen? ich habe ein Lustspiel von
ihm hier aufführen sehen welches aber gänzlich durchfiel**). Diesen Winter
bekam ich Gelegenheit wieder ein Schauspiel, Käthchen von Heilbronn und
3 Erzählungen von ihm zu lesen. Ich dächte man könte keinen von diesen
seinen Werth absprechen, aber es kann sehr viel an alle getadelt werden,
so wie viel fehlt bis sie vollendet genant werden tönten. Er ist aber einer
von den ausgezeignenden ^ Poetischen Genien dieses Zeitalters gegen die
aber jeder Vernünftige Mensch viel einzuwenden hat: hauptsächlich daß sie
selbst mit ihren Werken so vollkommen zufrieden sind — und gröstentheils
die verachten die sich anmaßen ein gescheites Urtheil über sie zu fällen. —
Habe die Güte wenn Du mir über diese Eröffnung Deine Gedanken und
Gefühle schreibst, sie allein auf ein Papier zu sagen. Dieser Gegenstand
ist bei uns schon so verjährt als daß ich wünschen könte ihm beim Vater
und besonders bei den Übrigen in Erneuerung zu bringen. — Wenn Du
nicht schon ermüdet bist, so folge mir wieder nach diesen kleinen Vorsprung
zu der Fortsetzung meiner eignen Beschreibung zu der Du mich nach nieinen
Gefühl in Deinem Brief aufmunterst — ohne die freimüthigste Mittheilung
gegen die die ich liebe möchte ich nicht leben. Also so zurück im allen
was zur weiblichen Bildung gehört machte ich nur sehr langsamen Fortschritte,
es würde mehr für mich gethan worden seyn wenn es nicht an vielen Mitteln,
und mir an Entschluß gefehlt hätte. Wodurch ich mehrere Menschen für
mich einnahm weis ich nicht, genug ich wurde geliebt und diese Liebe erweckte
vieleicht zum ersten mahl eine Aufmerksammkeit auf mich selbst die nur höchst
nothwendig war. Schwester Julie die dazumahl meine einzige Freundin




") Osmanstätt ging am 1. Mai 1803 an seinen neuen Besitzer über.
**) Die Weimarer Aufführung des „Zerbrochenen Krugs".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/324>, abgerufen am 23.07.2024.