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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Rlcist und Luise Ivieland

Verweis nicht ertragen konte. In den Jahren wo ich den Vorzug eine so
vortreffliche Mutter zu besitzen erst fühlen und schätzen lernte und wo sie mir
unentbehrlich wurde, hatten wir das Unglück sie zu verlieren-- unser Vater
zu sehr beschäftigt, überhaupt von seinen jüngern Kindern im höheren Grad
verehrt als geliebt, konte mir ihren Verlust in den nächstfolgenden Jahren
nicht ersetzen: und so kam es daß ich mich*) als ich in das jungfräuliche
Alter trat, die erwachenden Gefühle, meine Freuden und Leiden, mit einen
Wort mein ganzes Selbst in mich verschloß; auch die Geschwister verstanden
mich nicht oder wollten es nicht. In dieser Zeit in meinen 14 Jahr, wo
ich, weil wir auf den Lande lebten s^und^ wenig oder beinah gar nichts für
meine moralische Ausbildung gethan werden konte, also im Ganzen vernach¬
lässigt war; aber völlig phisisch ausgebildet und vieleicht in meinen Äußeren
einiges Interesse erregen konte -- wiewohl ich keineswegs Schön genant
werden kann, wie Du zu glauben scheinst. In dieser für mich, ich glaube
für alle jungen Mädchen gefahrvollen Zeit, kam Bruder Ludwig wieder zu
uns, und mit ihm sein Freund Heinrich von Kleist den Du auch persönlich
kenst. Eine Beschreibung von diesen eignen Sterblichen brauche ich Dir daher
nicht zu machen. Dieser Freund eines Bruders den ich liebte machte von
den Augenblick an wo ich ihn sah einen Eindruck auf das Herz Deiner ganz
unerfahrenen Schwester der noch jetz nach 8 Jahren nicht ganz verwischt ist.
Es ist schwehr alle die anscheinenden Kleinigkeiten zu beschreiben die aber
alle von so großen Einfluß waren daß er durch die Umstände begünstiget
mir glauben machte ich sey wieder geliebt -- und ich war zu schwach an
ihr zu zweifelen. Ludwig war ernstlich aufgebracht gegen KpeisH und es
hat, wie ichs erst spät erfuhr, manchen unangenehmen Wortwechsel zwischen
ihnen gegeben. Schwester Amalie haste ihn von ganzer Seele, und dieser
Haß war allein hinreichend mich von ihr zu entfernen: Caroline war selbst
zu sehr von ihm eingenommen um mich zu beobachten; im Ganzen war das
Benehmen aller Drey gegen mich unverzeihlich. Ich hatte Verstand genug
die unglücklichen Folgen dieser Leidenschaft zu begreifen wenn sie mir mit
Verstand und Theilnahme wären vorgestellt worden, was aber nicht geschah. --
Der Vater wüste Anfangs nicht von ihr -- wie er sie aber erfuhr hatte sich
Ksieish schon auf mein und der Caroline Wunsch entschlossen uns zu ver¬
lassen. Er reiste auch würklich ab -- und ich blieb zurück! mein Gemüths¬
zustand mußte nothwendig auch auf meinen Körper einigen Einfluß haben
da ich ohnehin schwächlich war. Jetz erscheint Mir MeiW Betragen gegen
mich freilich in einen Hellem**) Lichte: doch wünschte ich nicht daß Du schlimm
von ihm dachtest. -- Wenn er auch nicht zu den ganz edlen Menschen gehört,
die ja ohnehin eine Ausnahme machen, so ist sein Caracter doch gut; und
er würde sich dieses Leichtsinns gegen mich nicht schuldig gemacht haben, wenn




"1 "mich" ist überschüssig, die Schreiüerin ändert die Wendung,
klareren ist gemeint,, nicht: freundlicherem.
Rlcist und Luise Ivieland

Verweis nicht ertragen konte. In den Jahren wo ich den Vorzug eine so
vortreffliche Mutter zu besitzen erst fühlen und schätzen lernte und wo sie mir
unentbehrlich wurde, hatten wir das Unglück sie zu verlieren— unser Vater
zu sehr beschäftigt, überhaupt von seinen jüngern Kindern im höheren Grad
verehrt als geliebt, konte mir ihren Verlust in den nächstfolgenden Jahren
nicht ersetzen: und so kam es daß ich mich*) als ich in das jungfräuliche
Alter trat, die erwachenden Gefühle, meine Freuden und Leiden, mit einen
Wort mein ganzes Selbst in mich verschloß; auch die Geschwister verstanden
mich nicht oder wollten es nicht. In dieser Zeit in meinen 14 Jahr, wo
ich, weil wir auf den Lande lebten s^und^ wenig oder beinah gar nichts für
meine moralische Ausbildung gethan werden konte, also im Ganzen vernach¬
lässigt war; aber völlig phisisch ausgebildet und vieleicht in meinen Äußeren
einiges Interesse erregen konte — wiewohl ich keineswegs Schön genant
werden kann, wie Du zu glauben scheinst. In dieser für mich, ich glaube
für alle jungen Mädchen gefahrvollen Zeit, kam Bruder Ludwig wieder zu
uns, und mit ihm sein Freund Heinrich von Kleist den Du auch persönlich
kenst. Eine Beschreibung von diesen eignen Sterblichen brauche ich Dir daher
nicht zu machen. Dieser Freund eines Bruders den ich liebte machte von
den Augenblick an wo ich ihn sah einen Eindruck auf das Herz Deiner ganz
unerfahrenen Schwester der noch jetz nach 8 Jahren nicht ganz verwischt ist.
Es ist schwehr alle die anscheinenden Kleinigkeiten zu beschreiben die aber
alle von so großen Einfluß waren daß er durch die Umstände begünstiget
mir glauben machte ich sey wieder geliebt — und ich war zu schwach an
ihr zu zweifelen. Ludwig war ernstlich aufgebracht gegen KpeisH und es
hat, wie ichs erst spät erfuhr, manchen unangenehmen Wortwechsel zwischen
ihnen gegeben. Schwester Amalie haste ihn von ganzer Seele, und dieser
Haß war allein hinreichend mich von ihr zu entfernen: Caroline war selbst
zu sehr von ihm eingenommen um mich zu beobachten; im Ganzen war das
Benehmen aller Drey gegen mich unverzeihlich. Ich hatte Verstand genug
die unglücklichen Folgen dieser Leidenschaft zu begreifen wenn sie mir mit
Verstand und Theilnahme wären vorgestellt worden, was aber nicht geschah. —
Der Vater wüste Anfangs nicht von ihr — wie er sie aber erfuhr hatte sich
Ksieish schon auf mein und der Caroline Wunsch entschlossen uns zu ver¬
lassen. Er reiste auch würklich ab — und ich blieb zurück! mein Gemüths¬
zustand mußte nothwendig auch auf meinen Körper einigen Einfluß haben
da ich ohnehin schwächlich war. Jetz erscheint Mir MeiW Betragen gegen
mich freilich in einen Hellem**) Lichte: doch wünschte ich nicht daß Du schlimm
von ihm dachtest. — Wenn er auch nicht zu den ganz edlen Menschen gehört,
die ja ohnehin eine Ausnahme machen, so ist sein Caracter doch gut; und
er würde sich dieses Leichtsinns gegen mich nicht schuldig gemacht haben, wenn




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klareren ist gemeint,, nicht: freundlicherem.
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[0323] Rlcist und Luise Ivieland Verweis nicht ertragen konte. In den Jahren wo ich den Vorzug eine so vortreffliche Mutter zu besitzen erst fühlen und schätzen lernte und wo sie mir unentbehrlich wurde, hatten wir das Unglück sie zu verlieren— unser Vater zu sehr beschäftigt, überhaupt von seinen jüngern Kindern im höheren Grad verehrt als geliebt, konte mir ihren Verlust in den nächstfolgenden Jahren nicht ersetzen: und so kam es daß ich mich*) als ich in das jungfräuliche Alter trat, die erwachenden Gefühle, meine Freuden und Leiden, mit einen Wort mein ganzes Selbst in mich verschloß; auch die Geschwister verstanden mich nicht oder wollten es nicht. In dieser Zeit in meinen 14 Jahr, wo ich, weil wir auf den Lande lebten s^und^ wenig oder beinah gar nichts für meine moralische Ausbildung gethan werden konte, also im Ganzen vernach¬ lässigt war; aber völlig phisisch ausgebildet und vieleicht in meinen Äußeren einiges Interesse erregen konte — wiewohl ich keineswegs Schön genant werden kann, wie Du zu glauben scheinst. In dieser für mich, ich glaube für alle jungen Mädchen gefahrvollen Zeit, kam Bruder Ludwig wieder zu uns, und mit ihm sein Freund Heinrich von Kleist den Du auch persönlich kenst. Eine Beschreibung von diesen eignen Sterblichen brauche ich Dir daher nicht zu machen. Dieser Freund eines Bruders den ich liebte machte von den Augenblick an wo ich ihn sah einen Eindruck auf das Herz Deiner ganz unerfahrenen Schwester der noch jetz nach 8 Jahren nicht ganz verwischt ist. Es ist schwehr alle die anscheinenden Kleinigkeiten zu beschreiben die aber alle von so großen Einfluß waren daß er durch die Umstände begünstiget mir glauben machte ich sey wieder geliebt — und ich war zu schwach an ihr zu zweifelen. Ludwig war ernstlich aufgebracht gegen KpeisH und es hat, wie ichs erst spät erfuhr, manchen unangenehmen Wortwechsel zwischen ihnen gegeben. Schwester Amalie haste ihn von ganzer Seele, und dieser Haß war allein hinreichend mich von ihr zu entfernen: Caroline war selbst zu sehr von ihm eingenommen um mich zu beobachten; im Ganzen war das Benehmen aller Drey gegen mich unverzeihlich. Ich hatte Verstand genug die unglücklichen Folgen dieser Leidenschaft zu begreifen wenn sie mir mit Verstand und Theilnahme wären vorgestellt worden, was aber nicht geschah. — Der Vater wüste Anfangs nicht von ihr — wie er sie aber erfuhr hatte sich Ksieish schon auf mein und der Caroline Wunsch entschlossen uns zu ver¬ lassen. Er reiste auch würklich ab — und ich blieb zurück! mein Gemüths¬ zustand mußte nothwendig auch auf meinen Körper einigen Einfluß haben da ich ohnehin schwächlich war. Jetz erscheint Mir MeiW Betragen gegen mich freilich in einen Hellem**) Lichte: doch wünschte ich nicht daß Du schlimm von ihm dachtest. — Wenn er auch nicht zu den ganz edlen Menschen gehört, die ja ohnehin eine Ausnahme machen, so ist sein Caracter doch gut; und er würde sich dieses Leichtsinns gegen mich nicht schuldig gemacht haben, wenn "1 „mich" ist überschüssig, die Schreiüerin ändert die Wendung, klareren ist gemeint,, nicht: freundlicherem.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/323>, abgerufen am 23.07.2024.