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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht offenbar, denen die Unterhändler gefolgt
sind. Es ist richtig erkannt, daß, wie die Dinge nun einmal zwischen Deutschland
und Frankreich liegen, eine Gemeinsamkeit von deutschen und französischen Inter¬
essen nur durch Vermittlung des internationalen Großkapitals hergestellt werden
konnte, daß es somit galt, deutsche und französische Kapitalien sür einen Zweck
zusammenzubringen und ihren Besitzern dadurch die Solidarität ihrer Interessen
praktisch vor Augen zu führen. Dies Ziel verfolgte Herr v. Kiderlen auch, wenn
er den Herren Mannesmann zuredete, sich den internationalen Finanzierungs¬
unternehmungen anzuschließen, diesem Ziel dienten die Krupp und Mendelssohn,
die bereitwilligst jeder Anregung zur Kapitalbeteiligung folgten, mochte sie vom
Fürsten Bülow oder vom Staatssekretär von Richthofen ausgehen. Dadurch er¬
hält die Stellung der Staatsbank einen ganz besonderen Wert für die Zukunft
unseres Handels in Marokko und der wirtschaftliche Teil des Vertrages darf als
ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustande betrachtet werden, wenigstens
im Hinblick auf alle die, die bereit sind, ihre egoistischen Ziels dem Wohle des
Ganzen unterzuordnen.




Wir kommen damit zur politischen Seite des Vertrages.

Darf man auch sie als einen Fortschritt bezeichnen?

Für eine einwandfreie Beantwortung dieser Frage ist die Heranziehung so
vieler Momente notwendig, die auf subjektiver Bewertung der Tatsachen und Neben¬
umstände beruhen, daß wir uns zunächst einmal vor Augen führen müssen, welche
Verhältnisse denn überhaupt durch den Vertrag berührt werden. Zunächst seien
wir uns klar darüber, daß hier ein internationaler Vertrag vorliegt, der belastet
wird durch die Interessen von zwölf Staaten, wenn wir Marokko selbst
nicht rechnen. Sodann handelt es sich um den ersten Schritt, mit dem die deutsch¬
französischen Annäherungs- und Verständigungsversuche auf eine praktische Basis
geraten, und drittens geht es um eine Verschiebung der Machtverhältnisse
am Mittelländischen Meer, die nicht ohne Rückwirkung aus die weltgebietende
Stellung Großbritanniens bleiben kann. Zwei Dinge hat Herr v. Kiderlen
faktisch erreicht. Frankreich ist auf die praktische Basis getreten und zwar in einer
Form, die uns den weiteren Zielen der deutschen Friedenspolitik weit sicherer zuführt,
wie etwa interparlamentarische Verbrüderungen oder sozialistische Friedensdemonstra¬
tionen, und dann hat er neun Mächte, nämlich Österreich-Ungarn, Belgien, Spanien,
Großbritannien, Italien, Holland, Portugal, Nußland und Schweden als Aktien¬
zeichner der Marokkanischen Staatsbank hinter die deutschen Marokkointeressentm
gestellt, solange diese für die offene Tür auf der Grundlage des Vertrages ein¬
treten; man erinnere sich der Konstellation in Algeciras und man wird zugeben,
daß es Herrn v. Kiderlen um einen Schritt mehr gelungen ist, aus dem Ringe
herauszukommen, mit dem Eduard des Siebenten Politik uns zu erdrosseln hoffte.
Wegen der künftigen Stellung Großbritanniens genüge der Hinweis; eine Erörte-
rung darüber beansprucht einen Artikel für sich, der alle Kräfteverhältnisse am
Mittelmeer zu untersuchen hätte.


Reichssviegel

in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht offenbar, denen die Unterhändler gefolgt
sind. Es ist richtig erkannt, daß, wie die Dinge nun einmal zwischen Deutschland
und Frankreich liegen, eine Gemeinsamkeit von deutschen und französischen Inter¬
essen nur durch Vermittlung des internationalen Großkapitals hergestellt werden
konnte, daß es somit galt, deutsche und französische Kapitalien sür einen Zweck
zusammenzubringen und ihren Besitzern dadurch die Solidarität ihrer Interessen
praktisch vor Augen zu führen. Dies Ziel verfolgte Herr v. Kiderlen auch, wenn
er den Herren Mannesmann zuredete, sich den internationalen Finanzierungs¬
unternehmungen anzuschließen, diesem Ziel dienten die Krupp und Mendelssohn,
die bereitwilligst jeder Anregung zur Kapitalbeteiligung folgten, mochte sie vom
Fürsten Bülow oder vom Staatssekretär von Richthofen ausgehen. Dadurch er¬
hält die Stellung der Staatsbank einen ganz besonderen Wert für die Zukunft
unseres Handels in Marokko und der wirtschaftliche Teil des Vertrages darf als
ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustande betrachtet werden, wenigstens
im Hinblick auf alle die, die bereit sind, ihre egoistischen Ziels dem Wohle des
Ganzen unterzuordnen.




Wir kommen damit zur politischen Seite des Vertrages.

Darf man auch sie als einen Fortschritt bezeichnen?

Für eine einwandfreie Beantwortung dieser Frage ist die Heranziehung so
vieler Momente notwendig, die auf subjektiver Bewertung der Tatsachen und Neben¬
umstände beruhen, daß wir uns zunächst einmal vor Augen führen müssen, welche
Verhältnisse denn überhaupt durch den Vertrag berührt werden. Zunächst seien
wir uns klar darüber, daß hier ein internationaler Vertrag vorliegt, der belastet
wird durch die Interessen von zwölf Staaten, wenn wir Marokko selbst
nicht rechnen. Sodann handelt es sich um den ersten Schritt, mit dem die deutsch¬
französischen Annäherungs- und Verständigungsversuche auf eine praktische Basis
geraten, und drittens geht es um eine Verschiebung der Machtverhältnisse
am Mittelländischen Meer, die nicht ohne Rückwirkung aus die weltgebietende
Stellung Großbritanniens bleiben kann. Zwei Dinge hat Herr v. Kiderlen
faktisch erreicht. Frankreich ist auf die praktische Basis getreten und zwar in einer
Form, die uns den weiteren Zielen der deutschen Friedenspolitik weit sicherer zuführt,
wie etwa interparlamentarische Verbrüderungen oder sozialistische Friedensdemonstra¬
tionen, und dann hat er neun Mächte, nämlich Österreich-Ungarn, Belgien, Spanien,
Großbritannien, Italien, Holland, Portugal, Nußland und Schweden als Aktien¬
zeichner der Marokkanischen Staatsbank hinter die deutschen Marokkointeressentm
gestellt, solange diese für die offene Tür auf der Grundlage des Vertrages ein¬
treten; man erinnere sich der Konstellation in Algeciras und man wird zugeben,
daß es Herrn v. Kiderlen um einen Schritt mehr gelungen ist, aus dem Ringe
herauszukommen, mit dem Eduard des Siebenten Politik uns zu erdrosseln hoffte.
Wegen der künftigen Stellung Großbritanniens genüge der Hinweis; eine Erörte-
rung darüber beansprucht einen Artikel für sich, der alle Kräfteverhältnisse am
Mittelmeer zu untersuchen hätte.


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[0307] Reichssviegel in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht offenbar, denen die Unterhändler gefolgt sind. Es ist richtig erkannt, daß, wie die Dinge nun einmal zwischen Deutschland und Frankreich liegen, eine Gemeinsamkeit von deutschen und französischen Inter¬ essen nur durch Vermittlung des internationalen Großkapitals hergestellt werden konnte, daß es somit galt, deutsche und französische Kapitalien sür einen Zweck zusammenzubringen und ihren Besitzern dadurch die Solidarität ihrer Interessen praktisch vor Augen zu führen. Dies Ziel verfolgte Herr v. Kiderlen auch, wenn er den Herren Mannesmann zuredete, sich den internationalen Finanzierungs¬ unternehmungen anzuschließen, diesem Ziel dienten die Krupp und Mendelssohn, die bereitwilligst jeder Anregung zur Kapitalbeteiligung folgten, mochte sie vom Fürsten Bülow oder vom Staatssekretär von Richthofen ausgehen. Dadurch er¬ hält die Stellung der Staatsbank einen ganz besonderen Wert für die Zukunft unseres Handels in Marokko und der wirtschaftliche Teil des Vertrages darf als ein Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustande betrachtet werden, wenigstens im Hinblick auf alle die, die bereit sind, ihre egoistischen Ziels dem Wohle des Ganzen unterzuordnen. Wir kommen damit zur politischen Seite des Vertrages. Darf man auch sie als einen Fortschritt bezeichnen? Für eine einwandfreie Beantwortung dieser Frage ist die Heranziehung so vieler Momente notwendig, die auf subjektiver Bewertung der Tatsachen und Neben¬ umstände beruhen, daß wir uns zunächst einmal vor Augen führen müssen, welche Verhältnisse denn überhaupt durch den Vertrag berührt werden. Zunächst seien wir uns klar darüber, daß hier ein internationaler Vertrag vorliegt, der belastet wird durch die Interessen von zwölf Staaten, wenn wir Marokko selbst nicht rechnen. Sodann handelt es sich um den ersten Schritt, mit dem die deutsch¬ französischen Annäherungs- und Verständigungsversuche auf eine praktische Basis geraten, und drittens geht es um eine Verschiebung der Machtverhältnisse am Mittelländischen Meer, die nicht ohne Rückwirkung aus die weltgebietende Stellung Großbritanniens bleiben kann. Zwei Dinge hat Herr v. Kiderlen faktisch erreicht. Frankreich ist auf die praktische Basis getreten und zwar in einer Form, die uns den weiteren Zielen der deutschen Friedenspolitik weit sicherer zuführt, wie etwa interparlamentarische Verbrüderungen oder sozialistische Friedensdemonstra¬ tionen, und dann hat er neun Mächte, nämlich Österreich-Ungarn, Belgien, Spanien, Großbritannien, Italien, Holland, Portugal, Nußland und Schweden als Aktien¬ zeichner der Marokkanischen Staatsbank hinter die deutschen Marokkointeressentm gestellt, solange diese für die offene Tür auf der Grundlage des Vertrages ein¬ treten; man erinnere sich der Konstellation in Algeciras und man wird zugeben, daß es Herrn v. Kiderlen um einen Schritt mehr gelungen ist, aus dem Ringe herauszukommen, mit dem Eduard des Siebenten Politik uns zu erdrosseln hoffte. Wegen der künftigen Stellung Großbritanniens genüge der Hinweis; eine Erörte- rung darüber beansprucht einen Artikel für sich, der alle Kräfteverhältnisse am Mittelmeer zu untersuchen hätte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/307>, abgerufen am 23.07.2024.