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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Noch einen dritten Stoffkreis, den der
biblischen Idyllen, vermochte der Dichter zu
beleben. Aber trotz dieser Triumphe seiner
Urkraft fehlte diesem großen Talent eins:
zu der Fülle einer sinnlichen Natur die feste
geistige Richtung und die großen Ziele.
Zwischen Dichtung und Malerei hin und her
gezogen und allzu leicht am äußerlich
Charakteristischen klebend, ist er versandet und
trotz späterer Werke ohne die rechte Ent¬
wicklung geblieben. Darum zögert man
natürlich schließlich doch, Namen wie den
Böcklins neben dem seinen zu nennen, und
läßt Müller nur als ein Unikum gelten. Das
war er freilich auch, und nicht nur an Selt¬
samkeit, sondern an Kraft und Fülle. Wir
dürfen uns seiner als eines interessanten
Mannes erinnern, der in der Jugend ein
echter Poet und im Alter jedenfalls noch eine
originelle Gestalt war. Kein Zweifel, daß
die Gegenwart, die andere Stürmer und
Dränger zu Ehren bringt, sich auch seiner
wieder bemächtigen wird.

allem Böcklin erfreut haben. Auch die Lyrik
Müllers bringt engverwandte sinnenfreudige
Bilder, das Liebestreiben des Meergesindes
hat schon er in übermütigen Versen realistisch
geschildert. Das war eine Welt, die er mit
der Vollkraft seines Naturells erfüllen konnte
wie kein deutscher Dichter vor ihm und
nach ihm.

Bei Böcklin erscheinen nicht nur Faune
und Meernixen, sondern auch der deutsche
Landsknecht, der auf der Heimkehr sein
abendlich besonntes Dorf sinnend betrachtet.
So kennen wir Müller auch als deutschen
Romantiker und nicht nur als Dichter des
antiken Stoffkreises. Er ist hier wieder
Jdyllendichter und Lyriker, dann auch
Dramatiker. Die Werke des jungen Müller
sind nicht so zahl- und umfangreich, als daß
er den betretenen romantischen Stoffkreis
einigermaßen erschöpfen könnte. Warum nun
wirken bei ihm Motive, die später von
anderen tausendfach variiert sind, wie etwa
in der Idylle "Die Schafschur" die kurze
Schilderung eines sommerlichen Liebesabends
auf einer alten Burg, so stark und unver¬
geßlich? Wohl weil das erste literarische
Aufkommen solcher Stimmungen und Tnt¬
sachen fühlbar aus einem Urerlebnis hervor¬
quillt, mit allem Reiz ersten Schaffensduftes.
Auch die kunstvollste spätere Schilderung
erreicht das nicht wieder. Ebenso rühmliches
ist von der düsteren kleinen Dorfgeschichte zu
sagen, die neben anderen Erzählungen in die
Idylle "DaS Nußkernen" eingeflochten ist.
Und voll von Szenen, auf die unsere Worte
"volkstümlich, deutsch, romantisch" Passen, ist
auch Müllers großes Schauspiel "Golo und
Genoveva", das gegen den Schluß an Poesie
und Kraft mehr und mehr gewinnt. Nur
als Bruchstück auf uns gekommen ist Müllers
in der Jugend verfaßtes romantisches Prosa¬
drama "Fausts Leben" -- es ist nicht so zu
loben wie die "Genoveva", obwohl sich
einzelne Szenen und Situationen sehen lassen
können und der Dichter sein Werk mit einer
äußerst blutvollen Borrede in die Welt sandte.
Aber hier ist alles zu breit. Bühnendramatiker
ist Müller überhaupt in keiner Weise, auch
die "Genoveva" kann nicht aufgeführt
werden, obwohl sie Müllers schönstes
Werk ist.


Dr. Karl Fre^

Die Zeit, da Goethe jung war und so
häufig mit den anderen "Genies" verwechselt
wurde, die im Jahrzehnt 1770 bis 1780 als
stürmende Revolutionäre eine neue Zeit herauf¬
führen wollten, jene "inhaltsreiche Epoche",
für die das schattenhafte Klingersche Schauspiel
"Sturm und Drang" das Schlagwort hergab,
läßt uns der Verfasser des vorstehenden Auf¬
satzes wieder lebendig werden in seiner zwei¬
bändigen Sammlung "Sturm und Drang.
Dichtungen aus der Geniezeit". (Mit sechs
Porträts und zahlreichen Vignetten. Goldene
Klassikerbibliothek. Berlin, Deutsches Verlags¬
haus Borg u. Co. Preis 5 M.) Es war eine
gute Idee, Gerstenberg, Leisewitz, Lenz, Wagner,
Klinger und den Maler Müller so zu ver¬
einigen, daß sie nur mit den Werken, die für
sie als Stürmer und Dränger charakteristisch
sind, vertreten waren. Auf diese Weise ergab
sich ein umfassendes Bild der Geniezeit, in
dessen Verständnis Karl Freyes feinsinnige
Einleitung trefflich einführt.

Aulturgeschichte

Einer, der das Gruseln lehrte. Schon i"
der Zeit, als Lukian schrieb, besaß man in
Griechenland zahlreiche kräftige Gruselinärchen,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Noch einen dritten Stoffkreis, den der
biblischen Idyllen, vermochte der Dichter zu
beleben. Aber trotz dieser Triumphe seiner
Urkraft fehlte diesem großen Talent eins:
zu der Fülle einer sinnlichen Natur die feste
geistige Richtung und die großen Ziele.
Zwischen Dichtung und Malerei hin und her
gezogen und allzu leicht am äußerlich
Charakteristischen klebend, ist er versandet und
trotz späterer Werke ohne die rechte Ent¬
wicklung geblieben. Darum zögert man
natürlich schließlich doch, Namen wie den
Böcklins neben dem seinen zu nennen, und
läßt Müller nur als ein Unikum gelten. Das
war er freilich auch, und nicht nur an Selt¬
samkeit, sondern an Kraft und Fülle. Wir
dürfen uns seiner als eines interessanten
Mannes erinnern, der in der Jugend ein
echter Poet und im Alter jedenfalls noch eine
originelle Gestalt war. Kein Zweifel, daß
die Gegenwart, die andere Stürmer und
Dränger zu Ehren bringt, sich auch seiner
wieder bemächtigen wird.

allem Böcklin erfreut haben. Auch die Lyrik
Müllers bringt engverwandte sinnenfreudige
Bilder, das Liebestreiben des Meergesindes
hat schon er in übermütigen Versen realistisch
geschildert. Das war eine Welt, die er mit
der Vollkraft seines Naturells erfüllen konnte
wie kein deutscher Dichter vor ihm und
nach ihm.

Bei Böcklin erscheinen nicht nur Faune
und Meernixen, sondern auch der deutsche
Landsknecht, der auf der Heimkehr sein
abendlich besonntes Dorf sinnend betrachtet.
So kennen wir Müller auch als deutschen
Romantiker und nicht nur als Dichter des
antiken Stoffkreises. Er ist hier wieder
Jdyllendichter und Lyriker, dann auch
Dramatiker. Die Werke des jungen Müller
sind nicht so zahl- und umfangreich, als daß
er den betretenen romantischen Stoffkreis
einigermaßen erschöpfen könnte. Warum nun
wirken bei ihm Motive, die später von
anderen tausendfach variiert sind, wie etwa
in der Idylle „Die Schafschur" die kurze
Schilderung eines sommerlichen Liebesabends
auf einer alten Burg, so stark und unver¬
geßlich? Wohl weil das erste literarische
Aufkommen solcher Stimmungen und Tnt¬
sachen fühlbar aus einem Urerlebnis hervor¬
quillt, mit allem Reiz ersten Schaffensduftes.
Auch die kunstvollste spätere Schilderung
erreicht das nicht wieder. Ebenso rühmliches
ist von der düsteren kleinen Dorfgeschichte zu
sagen, die neben anderen Erzählungen in die
Idylle „DaS Nußkernen" eingeflochten ist.
Und voll von Szenen, auf die unsere Worte
„volkstümlich, deutsch, romantisch" Passen, ist
auch Müllers großes Schauspiel „Golo und
Genoveva", das gegen den Schluß an Poesie
und Kraft mehr und mehr gewinnt. Nur
als Bruchstück auf uns gekommen ist Müllers
in der Jugend verfaßtes romantisches Prosa¬
drama „Fausts Leben" — es ist nicht so zu
loben wie die „Genoveva", obwohl sich
einzelne Szenen und Situationen sehen lassen
können und der Dichter sein Werk mit einer
äußerst blutvollen Borrede in die Welt sandte.
Aber hier ist alles zu breit. Bühnendramatiker
ist Müller überhaupt in keiner Weise, auch
die „Genoveva" kann nicht aufgeführt
werden, obwohl sie Müllers schönstes
Werk ist.


Dr. Karl Fre^

Die Zeit, da Goethe jung war und so
häufig mit den anderen „Genies" verwechselt
wurde, die im Jahrzehnt 1770 bis 1780 als
stürmende Revolutionäre eine neue Zeit herauf¬
führen wollten, jene „inhaltsreiche Epoche",
für die das schattenhafte Klingersche Schauspiel
„Sturm und Drang" das Schlagwort hergab,
läßt uns der Verfasser des vorstehenden Auf¬
satzes wieder lebendig werden in seiner zwei¬
bändigen Sammlung „Sturm und Drang.
Dichtungen aus der Geniezeit". (Mit sechs
Porträts und zahlreichen Vignetten. Goldene
Klassikerbibliothek. Berlin, Deutsches Verlags¬
haus Borg u. Co. Preis 5 M.) Es war eine
gute Idee, Gerstenberg, Leisewitz, Lenz, Wagner,
Klinger und den Maler Müller so zu ver¬
einigen, daß sie nur mit den Werken, die für
sie als Stürmer und Dränger charakteristisch
sind, vertreten waren. Auf diese Weise ergab
sich ein umfassendes Bild der Geniezeit, in
dessen Verständnis Karl Freyes feinsinnige
Einleitung trefflich einführt.

Aulturgeschichte

Einer, der das Gruseln lehrte. Schon i»
der Zeit, als Lukian schrieb, besaß man in
Griechenland zahlreiche kräftige Gruselinärchen,


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[0299] Maßgebliches und Unmaßgebliches Noch einen dritten Stoffkreis, den der biblischen Idyllen, vermochte der Dichter zu beleben. Aber trotz dieser Triumphe seiner Urkraft fehlte diesem großen Talent eins: zu der Fülle einer sinnlichen Natur die feste geistige Richtung und die großen Ziele. Zwischen Dichtung und Malerei hin und her gezogen und allzu leicht am äußerlich Charakteristischen klebend, ist er versandet und trotz späterer Werke ohne die rechte Ent¬ wicklung geblieben. Darum zögert man natürlich schließlich doch, Namen wie den Böcklins neben dem seinen zu nennen, und läßt Müller nur als ein Unikum gelten. Das war er freilich auch, und nicht nur an Selt¬ samkeit, sondern an Kraft und Fülle. Wir dürfen uns seiner als eines interessanten Mannes erinnern, der in der Jugend ein echter Poet und im Alter jedenfalls noch eine originelle Gestalt war. Kein Zweifel, daß die Gegenwart, die andere Stürmer und Dränger zu Ehren bringt, sich auch seiner wieder bemächtigen wird. allem Böcklin erfreut haben. Auch die Lyrik Müllers bringt engverwandte sinnenfreudige Bilder, das Liebestreiben des Meergesindes hat schon er in übermütigen Versen realistisch geschildert. Das war eine Welt, die er mit der Vollkraft seines Naturells erfüllen konnte wie kein deutscher Dichter vor ihm und nach ihm. Bei Böcklin erscheinen nicht nur Faune und Meernixen, sondern auch der deutsche Landsknecht, der auf der Heimkehr sein abendlich besonntes Dorf sinnend betrachtet. So kennen wir Müller auch als deutschen Romantiker und nicht nur als Dichter des antiken Stoffkreises. Er ist hier wieder Jdyllendichter und Lyriker, dann auch Dramatiker. Die Werke des jungen Müller sind nicht so zahl- und umfangreich, als daß er den betretenen romantischen Stoffkreis einigermaßen erschöpfen könnte. Warum nun wirken bei ihm Motive, die später von anderen tausendfach variiert sind, wie etwa in der Idylle „Die Schafschur" die kurze Schilderung eines sommerlichen Liebesabends auf einer alten Burg, so stark und unver¬ geßlich? Wohl weil das erste literarische Aufkommen solcher Stimmungen und Tnt¬ sachen fühlbar aus einem Urerlebnis hervor¬ quillt, mit allem Reiz ersten Schaffensduftes. Auch die kunstvollste spätere Schilderung erreicht das nicht wieder. Ebenso rühmliches ist von der düsteren kleinen Dorfgeschichte zu sagen, die neben anderen Erzählungen in die Idylle „DaS Nußkernen" eingeflochten ist. Und voll von Szenen, auf die unsere Worte „volkstümlich, deutsch, romantisch" Passen, ist auch Müllers großes Schauspiel „Golo und Genoveva", das gegen den Schluß an Poesie und Kraft mehr und mehr gewinnt. Nur als Bruchstück auf uns gekommen ist Müllers in der Jugend verfaßtes romantisches Prosa¬ drama „Fausts Leben" — es ist nicht so zu loben wie die „Genoveva", obwohl sich einzelne Szenen und Situationen sehen lassen können und der Dichter sein Werk mit einer äußerst blutvollen Borrede in die Welt sandte. Aber hier ist alles zu breit. Bühnendramatiker ist Müller überhaupt in keiner Weise, auch die „Genoveva" kann nicht aufgeführt werden, obwohl sie Müllers schönstes Werk ist. Dr. Karl Fre^ Die Zeit, da Goethe jung war und so häufig mit den anderen „Genies" verwechselt wurde, die im Jahrzehnt 1770 bis 1780 als stürmende Revolutionäre eine neue Zeit herauf¬ führen wollten, jene „inhaltsreiche Epoche", für die das schattenhafte Klingersche Schauspiel „Sturm und Drang" das Schlagwort hergab, läßt uns der Verfasser des vorstehenden Auf¬ satzes wieder lebendig werden in seiner zwei¬ bändigen Sammlung „Sturm und Drang. Dichtungen aus der Geniezeit". (Mit sechs Porträts und zahlreichen Vignetten. Goldene Klassikerbibliothek. Berlin, Deutsches Verlags¬ haus Borg u. Co. Preis 5 M.) Es war eine gute Idee, Gerstenberg, Leisewitz, Lenz, Wagner, Klinger und den Maler Müller so zu ver¬ einigen, daß sie nur mit den Werken, die für sie als Stürmer und Dränger charakteristisch sind, vertreten waren. Auf diese Weise ergab sich ein umfassendes Bild der Geniezeit, in dessen Verständnis Karl Freyes feinsinnige Einleitung trefflich einführt. Aulturgeschichte Einer, der das Gruseln lehrte. Schon i» der Zeit, als Lukian schrieb, besaß man in Griechenland zahlreiche kräftige Gruselinärchen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/299>, abgerufen am 23.07.2024.