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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Staatsangehörigkeit

genatsgesetze unmöglich. Wir müssen uns daher genügen lassen, eine Lösung
zu finden, die dem gewünschten Ziele, soweit angängig, nahe kommt.

Würde es sich lediglich darum handeln, dem Reiche so viele Angehörige
wie nur möglich zu erhalten, so wäre es das einfachste, den alten englischen
Grundsatz, daß die Staatsangehörigkeit unverlierbar sei, aufzunehmen. Dieser
an sich idealen Forderung können wir jedoch deshalb nicht zustimmen, da sie
notwendig zu einer ungeheuren Zunahme der 8ujet8 mixts8 sichren müßte.
Hinzu kommt, daß dem Satze once a 8ubject, aI^v-^8 a 8ubjeLt eine gewisse,
unangebrachte Härte anhaftet. Scharf durchgeführt würde er nämlich die
Möglichkeit, die jemandem ursprünglich zukommende Staatsangehörigkeit aufzu¬
geben, ausschließen. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine Person, die den
Wunsch hat, einem Staatsverbande nicht mehr anzugehören, zwangsweise an
ihn gefesselt bleiben soll. Das englische Prinzip ist daher aus diesen und anderen
Gründen abzulehnen. M. E. müssen wir überhaupt davon absehen, die ganze
Angelegenheit durch eine Formel erledigen zu wollen. Das Leben bietet so
außerordentlich mannigfaltige praktische Fälle dar, daß wir sie nicht in einem
Satze meistern können, sondern uns anschicken müssen -- allerdings unter Fest¬
haltung einer grundsätzlichen Idee -- eine verschiedene Regelung für die ver¬
schiedenen Fälle zu finden. Ich bin weit davon entfernt, hier alle nur erdenklichen
Kombinationen aufzustellen; ich beschränke mich vielmehr auf einige prinzipielle
Ausführungen.

Unser heutiger § 21 beruht auf der allerdings unausgesprochenen, aber
tatsächlich unverkennbaren Annahme, daß "der Verlustwille und die Nichtunter-
brechung der (zehnjährigen) Frist die Regel, der Verbleib beim Reiche aber und
die Eintragung die Ausnahme sei" (Ratjen). Diese Annahme war schon in den
sechziger Jahren falsch, sie ist aber ganz unhaltbar geworden zu einer Zeit, die
eine Verkehrsentwicklung wie die heutige aufweist. Statt von der "Vermutung
des Verlustwillens" müssen wir in Zukunft von der gegenteiligen Annahme
ausgehen: der Deutsche, der sein Vaterland verläßt, will mit dem Überschreiten
der Landesgrenze im allgemeinen weder seine persönlichen Beziehungen zuni
Heimatland abbrechen noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit, das
ihn mit dem Reiche verbindet, zerschneiden. Das muß die leitende Idee sein,
die unser zukünftiges Staatsangehörigkeitsgesetz beherrscht. Aus ihr würde sich
als erster und wichtigster Satz ergeben: Die deutsche Staatsangehörigkeit bleibt
im Prinzip so lange bestehen, bis ein im Ausland lebender Deutscher mit seinem
eigenen Willen eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt. Mit dem auf eigenen
Willen beruhenden Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit geht die deutsche
Staatsangehörigkeit grundsätzlich verloren. Die Folge der Annahme dieses Satzes
würde sein: 1. daß dem Reiche Tausende seiner Bürger erhalten werden, da ja
bei weitem nicht alle Auswanderer eine fremde Staatsangehörigkeit erwerben
und Auslandsaufenthalt von irgendwelcher Dauer allein nicht hinreicht, das
deutsche Bürgerrecht zu verlieren; 2. daß die Zahl der Heimatlosen wesentlich


Staatsangehörigkeit

genatsgesetze unmöglich. Wir müssen uns daher genügen lassen, eine Lösung
zu finden, die dem gewünschten Ziele, soweit angängig, nahe kommt.

Würde es sich lediglich darum handeln, dem Reiche so viele Angehörige
wie nur möglich zu erhalten, so wäre es das einfachste, den alten englischen
Grundsatz, daß die Staatsangehörigkeit unverlierbar sei, aufzunehmen. Dieser
an sich idealen Forderung können wir jedoch deshalb nicht zustimmen, da sie
notwendig zu einer ungeheuren Zunahme der 8ujet8 mixts8 sichren müßte.
Hinzu kommt, daß dem Satze once a 8ubject, aI^v-^8 a 8ubjeLt eine gewisse,
unangebrachte Härte anhaftet. Scharf durchgeführt würde er nämlich die
Möglichkeit, die jemandem ursprünglich zukommende Staatsangehörigkeit aufzu¬
geben, ausschließen. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine Person, die den
Wunsch hat, einem Staatsverbande nicht mehr anzugehören, zwangsweise an
ihn gefesselt bleiben soll. Das englische Prinzip ist daher aus diesen und anderen
Gründen abzulehnen. M. E. müssen wir überhaupt davon absehen, die ganze
Angelegenheit durch eine Formel erledigen zu wollen. Das Leben bietet so
außerordentlich mannigfaltige praktische Fälle dar, daß wir sie nicht in einem
Satze meistern können, sondern uns anschicken müssen — allerdings unter Fest¬
haltung einer grundsätzlichen Idee — eine verschiedene Regelung für die ver¬
schiedenen Fälle zu finden. Ich bin weit davon entfernt, hier alle nur erdenklichen
Kombinationen aufzustellen; ich beschränke mich vielmehr auf einige prinzipielle
Ausführungen.

Unser heutiger § 21 beruht auf der allerdings unausgesprochenen, aber
tatsächlich unverkennbaren Annahme, daß „der Verlustwille und die Nichtunter-
brechung der (zehnjährigen) Frist die Regel, der Verbleib beim Reiche aber und
die Eintragung die Ausnahme sei" (Ratjen). Diese Annahme war schon in den
sechziger Jahren falsch, sie ist aber ganz unhaltbar geworden zu einer Zeit, die
eine Verkehrsentwicklung wie die heutige aufweist. Statt von der „Vermutung
des Verlustwillens" müssen wir in Zukunft von der gegenteiligen Annahme
ausgehen: der Deutsche, der sein Vaterland verläßt, will mit dem Überschreiten
der Landesgrenze im allgemeinen weder seine persönlichen Beziehungen zuni
Heimatland abbrechen noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit, das
ihn mit dem Reiche verbindet, zerschneiden. Das muß die leitende Idee sein,
die unser zukünftiges Staatsangehörigkeitsgesetz beherrscht. Aus ihr würde sich
als erster und wichtigster Satz ergeben: Die deutsche Staatsangehörigkeit bleibt
im Prinzip so lange bestehen, bis ein im Ausland lebender Deutscher mit seinem
eigenen Willen eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt. Mit dem auf eigenen
Willen beruhenden Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit geht die deutsche
Staatsangehörigkeit grundsätzlich verloren. Die Folge der Annahme dieses Satzes
würde sein: 1. daß dem Reiche Tausende seiner Bürger erhalten werden, da ja
bei weitem nicht alle Auswanderer eine fremde Staatsangehörigkeit erwerben
und Auslandsaufenthalt von irgendwelcher Dauer allein nicht hinreicht, das
deutsche Bürgerrecht zu verlieren; 2. daß die Zahl der Heimatlosen wesentlich


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[0231] Staatsangehörigkeit genatsgesetze unmöglich. Wir müssen uns daher genügen lassen, eine Lösung zu finden, die dem gewünschten Ziele, soweit angängig, nahe kommt. Würde es sich lediglich darum handeln, dem Reiche so viele Angehörige wie nur möglich zu erhalten, so wäre es das einfachste, den alten englischen Grundsatz, daß die Staatsangehörigkeit unverlierbar sei, aufzunehmen. Dieser an sich idealen Forderung können wir jedoch deshalb nicht zustimmen, da sie notwendig zu einer ungeheuren Zunahme der 8ujet8 mixts8 sichren müßte. Hinzu kommt, daß dem Satze once a 8ubject, aI^v-^8 a 8ubjeLt eine gewisse, unangebrachte Härte anhaftet. Scharf durchgeführt würde er nämlich die Möglichkeit, die jemandem ursprünglich zukommende Staatsangehörigkeit aufzu¬ geben, ausschließen. Es ist aber nicht einzusehen, warum eine Person, die den Wunsch hat, einem Staatsverbande nicht mehr anzugehören, zwangsweise an ihn gefesselt bleiben soll. Das englische Prinzip ist daher aus diesen und anderen Gründen abzulehnen. M. E. müssen wir überhaupt davon absehen, die ganze Angelegenheit durch eine Formel erledigen zu wollen. Das Leben bietet so außerordentlich mannigfaltige praktische Fälle dar, daß wir sie nicht in einem Satze meistern können, sondern uns anschicken müssen — allerdings unter Fest¬ haltung einer grundsätzlichen Idee — eine verschiedene Regelung für die ver¬ schiedenen Fälle zu finden. Ich bin weit davon entfernt, hier alle nur erdenklichen Kombinationen aufzustellen; ich beschränke mich vielmehr auf einige prinzipielle Ausführungen. Unser heutiger § 21 beruht auf der allerdings unausgesprochenen, aber tatsächlich unverkennbaren Annahme, daß „der Verlustwille und die Nichtunter- brechung der (zehnjährigen) Frist die Regel, der Verbleib beim Reiche aber und die Eintragung die Ausnahme sei" (Ratjen). Diese Annahme war schon in den sechziger Jahren falsch, sie ist aber ganz unhaltbar geworden zu einer Zeit, die eine Verkehrsentwicklung wie die heutige aufweist. Statt von der „Vermutung des Verlustwillens" müssen wir in Zukunft von der gegenteiligen Annahme ausgehen: der Deutsche, der sein Vaterland verläßt, will mit dem Überschreiten der Landesgrenze im allgemeinen weder seine persönlichen Beziehungen zuni Heimatland abbrechen noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit, das ihn mit dem Reiche verbindet, zerschneiden. Das muß die leitende Idee sein, die unser zukünftiges Staatsangehörigkeitsgesetz beherrscht. Aus ihr würde sich als erster und wichtigster Satz ergeben: Die deutsche Staatsangehörigkeit bleibt im Prinzip so lange bestehen, bis ein im Ausland lebender Deutscher mit seinem eigenen Willen eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt. Mit dem auf eigenen Willen beruhenden Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit geht die deutsche Staatsangehörigkeit grundsätzlich verloren. Die Folge der Annahme dieses Satzes würde sein: 1. daß dem Reiche Tausende seiner Bürger erhalten werden, da ja bei weitem nicht alle Auswanderer eine fremde Staatsangehörigkeit erwerben und Auslandsaufenthalt von irgendwelcher Dauer allein nicht hinreicht, das deutsche Bürgerrecht zu verlieren; 2. daß die Zahl der Heimatlosen wesentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/231>, abgerufen am 23.07.2024.