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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Eine Erinnerung, eine Mahnung und eine Hoffnung

land keinen Helfer würde gefunden haben. Aber geeignet, die Republik unter
unbesonnener Führung in einen Krieg mit uns hineinzusetzen, waren die eng¬
lischen Ministerreden nur allzu sehr. Und den Vorteil hätte bei einem LaiZnsr
ü blane der beiden größten Militärmächte des europäischen Festlandes die eng¬
lische Wirtschafts- und Weltpolitik mit ein paar Kanonenschüssen der britischen
Flotte gehabt.

Nun habe ich wie jeder patriotische Deutsche natürlich so viel Ehrgefühl,
um selbst einen Krieg nicht zu scheuen, wenn Lebensnotwendigkeiten oder die
Ehre der Nation auf dem Spiele stehen. Aber daß eine Lebensnotwendigkeit
des Deutschen Reiches durch die Gründung des europäisch-nordafrikanischen
Reiches Frankreichs auch dann gefährdet sei, wenn Deutschland für den Macht¬
zuwachs der Republik entschädigt werde, das behauptet auch die nationalistische
Presse bei uns nicht. Denn sonst könnte sie überhaupt nicht den Vorschlag
machen, gegen Abtretung des Susgebietes an uns Frankreich Nordmarokko zu
überlassen. Gegen ein Handelsgeschäft in Landgebiet hat jene Presse also grund¬
sätzlich nichts einzuwenden. Nur versteift sie sich auf die Entschädigung gerade
in Marokko. Und da frage ich mit allem Ernst: Ist denn das Susgebiet in
der Tat eine Lebensnotwendigkeit für Deutschland? Sind wir ohne es in unserem
Bestand, in unserer nationalen und politischen Unabhängigkeit bedroht? Kein
richtig Denkender wird darauf mit einem Ja antworten, und ebenso wenig
auf die Frage: Bedeutet der Verzicht auf das Susgebiet eine Beeinträchtigung
unserer nationalen Ehre, wenn wir dafür anderen Ersatz bekommen? Man hat
gesagt, wir seien durch die englischen Drohungen von Marokko zurückgetrieben
worden. Aber die deutsche Regierung hat erklären lassen, daß sie im offiziellen
Verkehr mit Frankreich niemals, auch zu Anfang nicht, das Susgebiet gefordert
habe. Auch der bekannte offiziöse Artikel der Kölnischen Zeitung, der frühzeitig auf
die Forderung der Entschädigung im französischen Kongo vorbereitete, spricht
mit seinem zeitlichen Erscheinen gegen jene Behauptung. Man mag es als
Unehrlichkeit eines Großmoguls tadeln, wenn England durch seine Minister¬
reden den Eindruck hervorzurufen suchte, als habe die britische Diplomatie
Deutschland aus dem Sus verjagt. Aber bloß um sich gegen englisches Protzen-
tum aufzulehnen, das Verlangen nach dem Susgebiet bei Frankreich nachträglich
durchzudrücken, das wäre Sucht nach Prestige ü, Is Napoleon III. und nicht
Bismarcksche Realpolitik.

Es gab nur eine Möglichkeit, die für uns zur Notwendigkeit geworden
wäre, das Schwert zu ziehen: die nämlich, daß sich Frankreich oder Gro߬
britannien überhaupt jeglicher deutschen Forderung, uns für das Gleich¬
gewicht in Europa verschiebende Wachstum der Republik zu entschädigen, ent¬
gegengestemmt hätte. Die Entschädigung selbst war eine Lebensnotwendigkeit
sowohl wie ein Gebot der nationalen Ehre, nachdem sich Frankreich über die
Pflichten, die die Algecirasakte auferlegte, hinweggesetzt hatte. Dieser Lebens-
notwendigkeit wie unserem Ehrgefühl nach seinen Kräften gerecht zu werden,


Eine Erinnerung, eine Mahnung und eine Hoffnung

land keinen Helfer würde gefunden haben. Aber geeignet, die Republik unter
unbesonnener Führung in einen Krieg mit uns hineinzusetzen, waren die eng¬
lischen Ministerreden nur allzu sehr. Und den Vorteil hätte bei einem LaiZnsr
ü blane der beiden größten Militärmächte des europäischen Festlandes die eng¬
lische Wirtschafts- und Weltpolitik mit ein paar Kanonenschüssen der britischen
Flotte gehabt.

Nun habe ich wie jeder patriotische Deutsche natürlich so viel Ehrgefühl,
um selbst einen Krieg nicht zu scheuen, wenn Lebensnotwendigkeiten oder die
Ehre der Nation auf dem Spiele stehen. Aber daß eine Lebensnotwendigkeit
des Deutschen Reiches durch die Gründung des europäisch-nordafrikanischen
Reiches Frankreichs auch dann gefährdet sei, wenn Deutschland für den Macht¬
zuwachs der Republik entschädigt werde, das behauptet auch die nationalistische
Presse bei uns nicht. Denn sonst könnte sie überhaupt nicht den Vorschlag
machen, gegen Abtretung des Susgebietes an uns Frankreich Nordmarokko zu
überlassen. Gegen ein Handelsgeschäft in Landgebiet hat jene Presse also grund¬
sätzlich nichts einzuwenden. Nur versteift sie sich auf die Entschädigung gerade
in Marokko. Und da frage ich mit allem Ernst: Ist denn das Susgebiet in
der Tat eine Lebensnotwendigkeit für Deutschland? Sind wir ohne es in unserem
Bestand, in unserer nationalen und politischen Unabhängigkeit bedroht? Kein
richtig Denkender wird darauf mit einem Ja antworten, und ebenso wenig
auf die Frage: Bedeutet der Verzicht auf das Susgebiet eine Beeinträchtigung
unserer nationalen Ehre, wenn wir dafür anderen Ersatz bekommen? Man hat
gesagt, wir seien durch die englischen Drohungen von Marokko zurückgetrieben
worden. Aber die deutsche Regierung hat erklären lassen, daß sie im offiziellen
Verkehr mit Frankreich niemals, auch zu Anfang nicht, das Susgebiet gefordert
habe. Auch der bekannte offiziöse Artikel der Kölnischen Zeitung, der frühzeitig auf
die Forderung der Entschädigung im französischen Kongo vorbereitete, spricht
mit seinem zeitlichen Erscheinen gegen jene Behauptung. Man mag es als
Unehrlichkeit eines Großmoguls tadeln, wenn England durch seine Minister¬
reden den Eindruck hervorzurufen suchte, als habe die britische Diplomatie
Deutschland aus dem Sus verjagt. Aber bloß um sich gegen englisches Protzen-
tum aufzulehnen, das Verlangen nach dem Susgebiet bei Frankreich nachträglich
durchzudrücken, das wäre Sucht nach Prestige ü, Is Napoleon III. und nicht
Bismarcksche Realpolitik.

Es gab nur eine Möglichkeit, die für uns zur Notwendigkeit geworden
wäre, das Schwert zu ziehen: die nämlich, daß sich Frankreich oder Gro߬
britannien überhaupt jeglicher deutschen Forderung, uns für das Gleich¬
gewicht in Europa verschiebende Wachstum der Republik zu entschädigen, ent¬
gegengestemmt hätte. Die Entschädigung selbst war eine Lebensnotwendigkeit
sowohl wie ein Gebot der nationalen Ehre, nachdem sich Frankreich über die
Pflichten, die die Algecirasakte auferlegte, hinweggesetzt hatte. Dieser Lebens-
notwendigkeit wie unserem Ehrgefühl nach seinen Kräften gerecht zu werden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/168>, abgerufen am 26.06.2024.