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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Nebenfaktoren mitgewirkt haben -- Futtcr-
mittelnot, Viehseuchen und infolgedessen eine
geringere Vieh- und Fleischprodukiion --, so
kann doch das eine allen Ernstes behauptet
werden, daß in erster Linie auch hier staat¬
liche Maßnahmen eine allmähliche Steigerung
der Fleischpreise bis zur gegenwärtigen,
drückenden Höhe verschuldet haben. Auch das
ist nicht zu vergessen, daß der Effekt dieser
Maßnahmen vor allein der Landwirtschaft zu
gute kommt. Ganz gewiß kann dem Gesetz
vom 30. Juni 1900, betr. die Schlacht- und
Fleischbeschau, seine Bedeutung in sanitärer
Beziehung nicht bestritten werden, trotzdem
aber muß von ihm gesagt werden, daß es die
Volksernährung ganz bedeutend erschwert und
damit den Fleischpreis in die Höhe getrieben
hat. Auch der am 1. März 1906 mit er¬
höhten Vieh- und Fleischzöllen in Kraft ge¬
tretene Zolltarif hat nach der Richtung seine
Schuldigkeit getan. Ist das amerikanische
Büchsenfleisch, das früher von Tausenden mit
Behagen verzehrt worden ist, ohne der Ge¬
sundheit zu schaden, denn wirklich so schlecht
geworden, daß es deutschen Mägen von Staats-
wegen vorenthalten werden muß? Weshalb
ist denn der Staat für die Gesundheit seiner
Bewohner Plötzlich einem Nahrungsmittel
gegenüber so ängstlich geworden, das erwiese¬
nermaßen in ganz wenigen Ausnahmefällen
gesundheitlich zu beanstanden gewesen ist?
Auch bei deutschem Fleische kann es vor¬
kommen, daß es nicht ganz einwandfrei istl
Warum ist denn die Einfuhr von lebendem
Vieh und Fleisch aus Ländern verboten,
die notorisch einen gesunden und qualitativ
vorzüglichen Viehbestand haben? Ohne Zweifel
würde durch eine derartige Erlaubnis der
knappe Mischbestand im Inlande vermehrt
und durch das erhöhte Angebot von Ware
ein Sinken des hohen Preisstandes bewirkt
werden. Mag vielleicht auch das vom Aus¬
land importierte Fleisch vom Konsumenten
eine gewisse Gewöhnung des Geschmacks ver¬
langen, gesundheitsschädlich soll eS nicht sein
und daher als NotstandsnahrungSmittel sehr
Wohl zu gebrauchen sein. Die Qualität des
von Argentinien, den Vereinigten Staaten
von Amerika, von Australien und Neuseeland
nach England eingeführten gefrorenen Flei¬
sches soll nach Auskunft der die Untersuchung


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vornehmenden Behörden gut sein; es wird
dies darauf zurückgeführt, daß es sich größten¬
eils um Fleisch von Rindvieh handelt, das
den Krankheiten weniger ausgesetzt ist, als
Tiere, die in engbevölkerten Ländern mit
Stallfütterung aufgezogen worden sind. Die
einerzeit vom deutschen Handelstag in Ge¬
meinschaft mit dem deutschen Städtetag nach
England entsandte Kommission, die in London
und Liverpool die in? Verkehr mit gekühltem
und gefrorenem ausländischem Fleisch ge¬
machten Erfahrungen an Ort und Stelle
geprüft hat, hat feststellen können, daß Eng¬
land auf diese Weise 40 Prozent seines
Fleischkonsums aus dein Auslande deckt,
ndem es teils lebendes Vieh, größtenteils
aber gefrorenes und gekühltes Fleisch, daneben
gesalzene und gepökelte Ware einführt, ohne
daß zu irgendwelchen sanitären Bedenken
ein Anlaß vorliegt. Gerade das ausländische
Fleisch hat dazu beigetragen, daß die eng¬
ischen Fleischpreise im Laufe der Jahre sich
nur wenig geändert haben. Warum wollen
wir in Deutschland nicht von diesem Bei¬
piele Englands lernen? Man wende nicht
ein, daß das importierte Fleisch von der Be¬
völkerung nicht gern werde gekauft werden,
wie es die Vorgänge in Österreich-Ungarn
bewiesen. Daß dort dem Fleische mit Wider¬
willen begegnet worden ist, steht zweifellos
est, der Grund liegt aber darin, daß das
Fleisch nicht in der richtigen Weise beim
Transport usw. behandelt worden ist. In
England genügt das importierte Fleisch
erwiesenermassen allen Ansprüchen, die ge¬
rechterweise daran gestellt werden können.
Bei einer gehörigen sanitären Überwachung
der Fleischeinfuhr -- wie sie in England ja
vorhanden ist -- wird sicherlich gekühltes
und gefrorenes Fleisch aus dem Auslande
n Deutschland während dieser Zeit der Not
Absatz finden und zu einer Milderung der
Fleischteuerung beitragen. Diese Linderung
muß aber mit allen Mitteln erstrebt werden,
darum sollte der Staat doch wenigstens den
Versuch machen mit der Einfuhr ausländischen
Fleisches. Diese Maßnahme, die im Bereich
taatlicher Möglichkeit liegt, zu ergreifen und
hre Wirkung zu versuchen, muß in unserer
Zeit von der Negierung verlangt werden!

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Nebenfaktoren mitgewirkt haben — Futtcr-
mittelnot, Viehseuchen und infolgedessen eine
geringere Vieh- und Fleischprodukiion —, so
kann doch das eine allen Ernstes behauptet
werden, daß in erster Linie auch hier staat¬
liche Maßnahmen eine allmähliche Steigerung
der Fleischpreise bis zur gegenwärtigen,
drückenden Höhe verschuldet haben. Auch das
ist nicht zu vergessen, daß der Effekt dieser
Maßnahmen vor allein der Landwirtschaft zu
gute kommt. Ganz gewiß kann dem Gesetz
vom 30. Juni 1900, betr. die Schlacht- und
Fleischbeschau, seine Bedeutung in sanitärer
Beziehung nicht bestritten werden, trotzdem
aber muß von ihm gesagt werden, daß es die
Volksernährung ganz bedeutend erschwert und
damit den Fleischpreis in die Höhe getrieben
hat. Auch der am 1. März 1906 mit er¬
höhten Vieh- und Fleischzöllen in Kraft ge¬
tretene Zolltarif hat nach der Richtung seine
Schuldigkeit getan. Ist das amerikanische
Büchsenfleisch, das früher von Tausenden mit
Behagen verzehrt worden ist, ohne der Ge¬
sundheit zu schaden, denn wirklich so schlecht
geworden, daß es deutschen Mägen von Staats-
wegen vorenthalten werden muß? Weshalb
ist denn der Staat für die Gesundheit seiner
Bewohner Plötzlich einem Nahrungsmittel
gegenüber so ängstlich geworden, das erwiese¬
nermaßen in ganz wenigen Ausnahmefällen
gesundheitlich zu beanstanden gewesen ist?
Auch bei deutschem Fleische kann es vor¬
kommen, daß es nicht ganz einwandfrei istl
Warum ist denn die Einfuhr von lebendem
Vieh und Fleisch aus Ländern verboten,
die notorisch einen gesunden und qualitativ
vorzüglichen Viehbestand haben? Ohne Zweifel
würde durch eine derartige Erlaubnis der
knappe Mischbestand im Inlande vermehrt
und durch das erhöhte Angebot von Ware
ein Sinken des hohen Preisstandes bewirkt
werden. Mag vielleicht auch das vom Aus¬
land importierte Fleisch vom Konsumenten
eine gewisse Gewöhnung des Geschmacks ver¬
langen, gesundheitsschädlich soll eS nicht sein
und daher als NotstandsnahrungSmittel sehr
Wohl zu gebrauchen sein. Die Qualität des
von Argentinien, den Vereinigten Staaten
von Amerika, von Australien und Neuseeland
nach England eingeführten gefrorenen Flei¬
sches soll nach Auskunft der die Untersuchung


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vornehmenden Behörden gut sein; es wird
dies darauf zurückgeführt, daß es sich größten¬
eils um Fleisch von Rindvieh handelt, das
den Krankheiten weniger ausgesetzt ist, als
Tiere, die in engbevölkerten Ländern mit
Stallfütterung aufgezogen worden sind. Die
einerzeit vom deutschen Handelstag in Ge¬
meinschaft mit dem deutschen Städtetag nach
England entsandte Kommission, die in London
und Liverpool die in? Verkehr mit gekühltem
und gefrorenem ausländischem Fleisch ge¬
machten Erfahrungen an Ort und Stelle
geprüft hat, hat feststellen können, daß Eng¬
land auf diese Weise 40 Prozent seines
Fleischkonsums aus dein Auslande deckt,
ndem es teils lebendes Vieh, größtenteils
aber gefrorenes und gekühltes Fleisch, daneben
gesalzene und gepökelte Ware einführt, ohne
daß zu irgendwelchen sanitären Bedenken
ein Anlaß vorliegt. Gerade das ausländische
Fleisch hat dazu beigetragen, daß die eng¬
ischen Fleischpreise im Laufe der Jahre sich
nur wenig geändert haben. Warum wollen
wir in Deutschland nicht von diesem Bei¬
piele Englands lernen? Man wende nicht
ein, daß das importierte Fleisch von der Be¬
völkerung nicht gern werde gekauft werden,
wie es die Vorgänge in Österreich-Ungarn
bewiesen. Daß dort dem Fleische mit Wider¬
willen begegnet worden ist, steht zweifellos
est, der Grund liegt aber darin, daß das
Fleisch nicht in der richtigen Weise beim
Transport usw. behandelt worden ist. In
England genügt das importierte Fleisch
erwiesenermassen allen Ansprüchen, die ge¬
rechterweise daran gestellt werden können.
Bei einer gehörigen sanitären Überwachung
der Fleischeinfuhr — wie sie in England ja
vorhanden ist — wird sicherlich gekühltes
und gefrorenes Fleisch aus dem Auslande
n Deutschland während dieser Zeit der Not
Absatz finden und zu einer Milderung der
Fleischteuerung beitragen. Diese Linderung
muß aber mit allen Mitteln erstrebt werden,
darum sollte der Staat doch wenigstens den
Versuch machen mit der Einfuhr ausländischen
Fleisches. Diese Maßnahme, die im Bereich
taatlicher Möglichkeit liegt, zu ergreifen und
hre Wirkung zu versuchen, muß in unserer
Zeit von der Negierung verlangt werden!

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[0152] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nebenfaktoren mitgewirkt haben — Futtcr- mittelnot, Viehseuchen und infolgedessen eine geringere Vieh- und Fleischprodukiion —, so kann doch das eine allen Ernstes behauptet werden, daß in erster Linie auch hier staat¬ liche Maßnahmen eine allmähliche Steigerung der Fleischpreise bis zur gegenwärtigen, drückenden Höhe verschuldet haben. Auch das ist nicht zu vergessen, daß der Effekt dieser Maßnahmen vor allein der Landwirtschaft zu gute kommt. Ganz gewiß kann dem Gesetz vom 30. Juni 1900, betr. die Schlacht- und Fleischbeschau, seine Bedeutung in sanitärer Beziehung nicht bestritten werden, trotzdem aber muß von ihm gesagt werden, daß es die Volksernährung ganz bedeutend erschwert und damit den Fleischpreis in die Höhe getrieben hat. Auch der am 1. März 1906 mit er¬ höhten Vieh- und Fleischzöllen in Kraft ge¬ tretene Zolltarif hat nach der Richtung seine Schuldigkeit getan. Ist das amerikanische Büchsenfleisch, das früher von Tausenden mit Behagen verzehrt worden ist, ohne der Ge¬ sundheit zu schaden, denn wirklich so schlecht geworden, daß es deutschen Mägen von Staats- wegen vorenthalten werden muß? Weshalb ist denn der Staat für die Gesundheit seiner Bewohner Plötzlich einem Nahrungsmittel gegenüber so ängstlich geworden, das erwiese¬ nermaßen in ganz wenigen Ausnahmefällen gesundheitlich zu beanstanden gewesen ist? Auch bei deutschem Fleische kann es vor¬ kommen, daß es nicht ganz einwandfrei istl Warum ist denn die Einfuhr von lebendem Vieh und Fleisch aus Ländern verboten, die notorisch einen gesunden und qualitativ vorzüglichen Viehbestand haben? Ohne Zweifel würde durch eine derartige Erlaubnis der knappe Mischbestand im Inlande vermehrt und durch das erhöhte Angebot von Ware ein Sinken des hohen Preisstandes bewirkt werden. Mag vielleicht auch das vom Aus¬ land importierte Fleisch vom Konsumenten eine gewisse Gewöhnung des Geschmacks ver¬ langen, gesundheitsschädlich soll eS nicht sein und daher als NotstandsnahrungSmittel sehr Wohl zu gebrauchen sein. Die Qualität des von Argentinien, den Vereinigten Staaten von Amerika, von Australien und Neuseeland nach England eingeführten gefrorenen Flei¬ sches soll nach Auskunft der die Untersuchung vornehmenden Behörden gut sein; es wird dies darauf zurückgeführt, daß es sich größten¬ eils um Fleisch von Rindvieh handelt, das den Krankheiten weniger ausgesetzt ist, als Tiere, die in engbevölkerten Ländern mit Stallfütterung aufgezogen worden sind. Die einerzeit vom deutschen Handelstag in Ge¬ meinschaft mit dem deutschen Städtetag nach England entsandte Kommission, die in London und Liverpool die in? Verkehr mit gekühltem und gefrorenem ausländischem Fleisch ge¬ machten Erfahrungen an Ort und Stelle geprüft hat, hat feststellen können, daß Eng¬ land auf diese Weise 40 Prozent seines Fleischkonsums aus dein Auslande deckt, ndem es teils lebendes Vieh, größtenteils aber gefrorenes und gekühltes Fleisch, daneben gesalzene und gepökelte Ware einführt, ohne daß zu irgendwelchen sanitären Bedenken ein Anlaß vorliegt. Gerade das ausländische Fleisch hat dazu beigetragen, daß die eng¬ ischen Fleischpreise im Laufe der Jahre sich nur wenig geändert haben. Warum wollen wir in Deutschland nicht von diesem Bei¬ piele Englands lernen? Man wende nicht ein, daß das importierte Fleisch von der Be¬ völkerung nicht gern werde gekauft werden, wie es die Vorgänge in Österreich-Ungarn bewiesen. Daß dort dem Fleische mit Wider¬ willen begegnet worden ist, steht zweifellos est, der Grund liegt aber darin, daß das Fleisch nicht in der richtigen Weise beim Transport usw. behandelt worden ist. In England genügt das importierte Fleisch erwiesenermassen allen Ansprüchen, die ge¬ rechterweise daran gestellt werden können. Bei einer gehörigen sanitären Überwachung der Fleischeinfuhr — wie sie in England ja vorhanden ist — wird sicherlich gekühltes und gefrorenes Fleisch aus dem Auslande n Deutschland während dieser Zeit der Not Absatz finden und zu einer Milderung der Fleischteuerung beitragen. Diese Linderung muß aber mit allen Mitteln erstrebt werden, darum sollte der Staat doch wenigstens den Versuch machen mit der Einfuhr ausländischen Fleisches. Diese Maßnahme, die im Bereich taatlicher Möglichkeit liegt, zu ergreifen und hre Wirkung zu versuchen, muß in unserer Zeit von der Negierung verlangt werden! l^andelskammersynd. Beute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/152>, abgerufen am 23.07.2024.