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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück des Hauses Rottland

bringt. Der Egoismus genügt vielleicht als Führer für das Alltagsleben,
mancher glaubt auch, daß er für ein Menschenleben ausreicht. Aber über das
Menschenleben hinaus reicht er nie, und darum reicht er nicht aus zur Lenkung
der Taten eines Volkes. Hier herrscht allein der Idealismus. Das möchte ich
noch belegen mit einem Ausspruch, der von einem großen Manne des Geistes
und der Tat stammt, von Gneisenau.

Was war wohl materieller, als der Druck, den Napoleon nach Jena auf
das niedergeworfene Preußen ausübte, und was war wohl realpolitischer als
die Aufgabe, diesen Druck des Blutsaugers abzuwerfen. In einer Denkschrift
darüber schrieb Gneisenau an den König, man solle die Geistlichen auffordern,
in ihren Kirchen über die Makkabäer zu predigen und dadurch das Volk zum
Befreiungskampf aufzurufen. Der König schrieb dazu an den Rand: "als
Poesie gut." Darauf antwortete Gneisenau an seinen König: "Religion, Gebet.
Treue zum König, Liebe zum Vaterland und zur Jugend, alles das ist Poesie.
Auf Poesie ist die Festigkeit der Throne gegründet." Ebenso wie die Festigkeit
der Throne ist auch die wirtschaftliche Zukunft eines Volkes auf Poesie gegründet.
Die tausend Eisenbahnschienen, die ein großes Volk legt, um damit das Land
der Zukunft zu befahren und wirtschaftlich zu erobern, sind auch Poesie. Aus
dichten wird trachten. In der Politik sind die Ideen gewaltige Realitäten,
welche wirken, Mächte der Wirklichkeit.




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
von Julius R. Haarhaus IV.

Der Holzheimer Pastor war, was das Predigen anlangte, weder ein Bour-
daloue noch ein Abraham a Santa Clara, und wenn er in der Rottländer Kapelle
nach der Messe die Kanzel bestieg, durfte er bei der kleinen Gemeinde nur auf
ein sehr bescheidenes Maß von Aufmerksamkeit rechnen. Heute -- es war am
Sonntag nach des Freiherrn glücklicher Brautfahrt, -- gab er sich ganz besondere
Mühe, und doch hätte man unter den Teilnehmern am Gottesdienste wohl nicht
einen einzigen gefunden, dem ein Gedanke oder auch nur ein Wort aus der
Predigt im Gedächtnis haften geblieben wäre.

Denn heute gab es in der Kapelle etwas zu sehen, was wunderbarer war
als alle Mirakel des Alten und des Neuen Testaments: im Gestühl der Patronats¬
herrschast saß zwischen den beiden alten Damen die Merge aus Holzheim I Die
Männer betrachteten sie mit einer Art von heiterem Wohlwollen, denn sie kannten
die Schwäche ihres Gebieters für glatte Gesichter und rote Wangen und ahnten


Grenzbotsn IV 1911 16
Das Glück des Hauses Rottland

bringt. Der Egoismus genügt vielleicht als Führer für das Alltagsleben,
mancher glaubt auch, daß er für ein Menschenleben ausreicht. Aber über das
Menschenleben hinaus reicht er nie, und darum reicht er nicht aus zur Lenkung
der Taten eines Volkes. Hier herrscht allein der Idealismus. Das möchte ich
noch belegen mit einem Ausspruch, der von einem großen Manne des Geistes
und der Tat stammt, von Gneisenau.

Was war wohl materieller, als der Druck, den Napoleon nach Jena auf
das niedergeworfene Preußen ausübte, und was war wohl realpolitischer als
die Aufgabe, diesen Druck des Blutsaugers abzuwerfen. In einer Denkschrift
darüber schrieb Gneisenau an den König, man solle die Geistlichen auffordern,
in ihren Kirchen über die Makkabäer zu predigen und dadurch das Volk zum
Befreiungskampf aufzurufen. Der König schrieb dazu an den Rand: „als
Poesie gut." Darauf antwortete Gneisenau an seinen König: „Religion, Gebet.
Treue zum König, Liebe zum Vaterland und zur Jugend, alles das ist Poesie.
Auf Poesie ist die Festigkeit der Throne gegründet." Ebenso wie die Festigkeit
der Throne ist auch die wirtschaftliche Zukunft eines Volkes auf Poesie gegründet.
Die tausend Eisenbahnschienen, die ein großes Volk legt, um damit das Land
der Zukunft zu befahren und wirtschaftlich zu erobern, sind auch Poesie. Aus
dichten wird trachten. In der Politik sind die Ideen gewaltige Realitäten,
welche wirken, Mächte der Wirklichkeit.




Das Glück des Hauses Rottland
Roman
von Julius R. Haarhaus IV.

Der Holzheimer Pastor war, was das Predigen anlangte, weder ein Bour-
daloue noch ein Abraham a Santa Clara, und wenn er in der Rottländer Kapelle
nach der Messe die Kanzel bestieg, durfte er bei der kleinen Gemeinde nur auf
ein sehr bescheidenes Maß von Aufmerksamkeit rechnen. Heute — es war am
Sonntag nach des Freiherrn glücklicher Brautfahrt, — gab er sich ganz besondere
Mühe, und doch hätte man unter den Teilnehmern am Gottesdienste wohl nicht
einen einzigen gefunden, dem ein Gedanke oder auch nur ein Wort aus der
Predigt im Gedächtnis haften geblieben wäre.

Denn heute gab es in der Kapelle etwas zu sehen, was wunderbarer war
als alle Mirakel des Alten und des Neuen Testaments: im Gestühl der Patronats¬
herrschast saß zwischen den beiden alten Damen die Merge aus Holzheim I Die
Männer betrachteten sie mit einer Art von heiterem Wohlwollen, denn sie kannten
die Schwäche ihres Gebieters für glatte Gesichter und rote Wangen und ahnten


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[0133] Das Glück des Hauses Rottland bringt. Der Egoismus genügt vielleicht als Führer für das Alltagsleben, mancher glaubt auch, daß er für ein Menschenleben ausreicht. Aber über das Menschenleben hinaus reicht er nie, und darum reicht er nicht aus zur Lenkung der Taten eines Volkes. Hier herrscht allein der Idealismus. Das möchte ich noch belegen mit einem Ausspruch, der von einem großen Manne des Geistes und der Tat stammt, von Gneisenau. Was war wohl materieller, als der Druck, den Napoleon nach Jena auf das niedergeworfene Preußen ausübte, und was war wohl realpolitischer als die Aufgabe, diesen Druck des Blutsaugers abzuwerfen. In einer Denkschrift darüber schrieb Gneisenau an den König, man solle die Geistlichen auffordern, in ihren Kirchen über die Makkabäer zu predigen und dadurch das Volk zum Befreiungskampf aufzurufen. Der König schrieb dazu an den Rand: „als Poesie gut." Darauf antwortete Gneisenau an seinen König: „Religion, Gebet. Treue zum König, Liebe zum Vaterland und zur Jugend, alles das ist Poesie. Auf Poesie ist die Festigkeit der Throne gegründet." Ebenso wie die Festigkeit der Throne ist auch die wirtschaftliche Zukunft eines Volkes auf Poesie gegründet. Die tausend Eisenbahnschienen, die ein großes Volk legt, um damit das Land der Zukunft zu befahren und wirtschaftlich zu erobern, sind auch Poesie. Aus dichten wird trachten. In der Politik sind die Ideen gewaltige Realitäten, welche wirken, Mächte der Wirklichkeit. Das Glück des Hauses Rottland Roman von Julius R. Haarhaus IV. Der Holzheimer Pastor war, was das Predigen anlangte, weder ein Bour- daloue noch ein Abraham a Santa Clara, und wenn er in der Rottländer Kapelle nach der Messe die Kanzel bestieg, durfte er bei der kleinen Gemeinde nur auf ein sehr bescheidenes Maß von Aufmerksamkeit rechnen. Heute — es war am Sonntag nach des Freiherrn glücklicher Brautfahrt, — gab er sich ganz besondere Mühe, und doch hätte man unter den Teilnehmern am Gottesdienste wohl nicht einen einzigen gefunden, dem ein Gedanke oder auch nur ein Wort aus der Predigt im Gedächtnis haften geblieben wäre. Denn heute gab es in der Kapelle etwas zu sehen, was wunderbarer war als alle Mirakel des Alten und des Neuen Testaments: im Gestühl der Patronats¬ herrschast saß zwischen den beiden alten Damen die Merge aus Holzheim I Die Männer betrachteten sie mit einer Art von heiterem Wohlwollen, denn sie kannten die Schwäche ihres Gebieters für glatte Gesichter und rote Wangen und ahnten Grenzbotsn IV 1911 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/133>, abgerufen am 23.07.2024.