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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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staatlicher Imperialismus und Individualismus

auf Basis dieser wirtschaftlichen Jnteressenverwandtschaften sehr natürlichen
Freundschaft und der Schaffung eines nntteleuropäisch-vorderasiatischen Impe¬
riums. Derartige Weltmachtpläne sind ohne jede Frage den leitenden Kreisen
von Berlin sowohl als von Wien absolut fremd; und wer sie ihnen unterschiebt,
kann damit, bewußt oder unbewußt, nur das eine Ziel verfolgen, durch Weckung
von Mißtrauen daran zu arbeiten, daß die natürlichen, überwiegend wirtschaft¬
lichen Jnteressenverbindungen möglichst wenig politische Geltung erhalten; daß
im Gegenteil, was durch eine Fülle natürlicher Beziehungen auf Freundschaft
miteinander angewiesen wäre, in gespanntes Mißtrauen und dadurch schließlich
in Feindschaft gerät.

Mit Bezug auf die südöstlichen Teile jenes großen Territoriums, das
Sir Harm Johnston als mitteleuropäisches Zukunftsimperium ausmalt, haben
die weltpolitischen Ereignisse der jüngsten Zeit wieder mit besonders krasser
Deutlichkeit daran erinnert, in welchem Umfange die weltpolitischen Geschäfte
gestützt werden aus die Tätigkeit des Bankiers als Kreditgeber.

Deutschland hat sich hier und da veranlaßt gesehen, wenigstens den Versuch
zu unternehmen, am internationalen Wettkampfe der Kreditgeber Anteil zu haben.
Nicht ohne Erfolg hat es eingegriffen, wo andere Kreditgeber durch harte
Bedingungen hohe politische und zugleich wirtschaftliche Gewinne einzustreichen
suchten -- mit auf Kosten Deutschlands, dessen wirtschaftlicher Wettbewerb an
den betreffenden Stellen möglichst lahmgelegt werden sollte. Nun weiß man
aber, daß es Deutschland außerordentlich schwerfällt, auf dem Gebiete des
Kreditgebens auch nur in vereinzelten Fällen Schritt zu halten mit Frankreich
und England, die in so hervorragendem Maße als Bankiers politische Geschäfte
zu machen wissen. Es könnte das leicht zu falschen Rückschlüssen führen, zumal
ja auch das Deutsche Reich selbst als Kreditsucher verhältnismäßig recht ungünstig
dasteht, wie im Kurse seiner Renten zum Ausdruck kommt.

Man soll aber im Auslande doch nicht etwa meinen, daß Deutschland
nicht über die Mittel verfüge, eine große Spartätigkeit zu entfalten und Jahr
für Jahr Milliarden flüssig zu machen: nicht Mittel fehlen ihm, sondern es fehlt
ihm die Zeit! Deutschland ist in jeder Beziehung ein außerordentlich produktives
Land -- es hat alle Hände voll zu tun mit -- Kindererziehen und Schaffung
neuer Beschäftigungsgelegenheit für seinen starken Zuwachs. Für diese Zwecke
braucht es in weitaus erster Linie seine Ersparnisse, die kaum geringer sind als
die Ersparnisse irgendeines andern Landes.

Wenn nahezu eine Million Köpfe jährlich neu heranwachsen, so wollen sie
doch womöglich eine Milliarde jährlich neu verdienen. Um hierzu die Möglichkeit
zu schaffen, müssen aber vielleicht 10 Milliarden jährlich neu investiert werden.
Und so werden denn in weitesten Umfange die Ersparnisse für neue Investierungen
im Lande selbst verbraucht, ohne daß die Mittel für reichliches Kreditgeben,
gar an das Ausland, übrig bleiben. In welchem Umfange in Deutschland zu
normalen Zeiten Jahr für Jahr Ersparnisse gesammelt, aber ganz überwiegend


staatlicher Imperialismus und Individualismus

auf Basis dieser wirtschaftlichen Jnteressenverwandtschaften sehr natürlichen
Freundschaft und der Schaffung eines nntteleuropäisch-vorderasiatischen Impe¬
riums. Derartige Weltmachtpläne sind ohne jede Frage den leitenden Kreisen
von Berlin sowohl als von Wien absolut fremd; und wer sie ihnen unterschiebt,
kann damit, bewußt oder unbewußt, nur das eine Ziel verfolgen, durch Weckung
von Mißtrauen daran zu arbeiten, daß die natürlichen, überwiegend wirtschaft¬
lichen Jnteressenverbindungen möglichst wenig politische Geltung erhalten; daß
im Gegenteil, was durch eine Fülle natürlicher Beziehungen auf Freundschaft
miteinander angewiesen wäre, in gespanntes Mißtrauen und dadurch schließlich
in Feindschaft gerät.

Mit Bezug auf die südöstlichen Teile jenes großen Territoriums, das
Sir Harm Johnston als mitteleuropäisches Zukunftsimperium ausmalt, haben
die weltpolitischen Ereignisse der jüngsten Zeit wieder mit besonders krasser
Deutlichkeit daran erinnert, in welchem Umfange die weltpolitischen Geschäfte
gestützt werden aus die Tätigkeit des Bankiers als Kreditgeber.

Deutschland hat sich hier und da veranlaßt gesehen, wenigstens den Versuch
zu unternehmen, am internationalen Wettkampfe der Kreditgeber Anteil zu haben.
Nicht ohne Erfolg hat es eingegriffen, wo andere Kreditgeber durch harte
Bedingungen hohe politische und zugleich wirtschaftliche Gewinne einzustreichen
suchten — mit auf Kosten Deutschlands, dessen wirtschaftlicher Wettbewerb an
den betreffenden Stellen möglichst lahmgelegt werden sollte. Nun weiß man
aber, daß es Deutschland außerordentlich schwerfällt, auf dem Gebiete des
Kreditgebens auch nur in vereinzelten Fällen Schritt zu halten mit Frankreich
und England, die in so hervorragendem Maße als Bankiers politische Geschäfte
zu machen wissen. Es könnte das leicht zu falschen Rückschlüssen führen, zumal
ja auch das Deutsche Reich selbst als Kreditsucher verhältnismäßig recht ungünstig
dasteht, wie im Kurse seiner Renten zum Ausdruck kommt.

Man soll aber im Auslande doch nicht etwa meinen, daß Deutschland
nicht über die Mittel verfüge, eine große Spartätigkeit zu entfalten und Jahr
für Jahr Milliarden flüssig zu machen: nicht Mittel fehlen ihm, sondern es fehlt
ihm die Zeit! Deutschland ist in jeder Beziehung ein außerordentlich produktives
Land — es hat alle Hände voll zu tun mit — Kindererziehen und Schaffung
neuer Beschäftigungsgelegenheit für seinen starken Zuwachs. Für diese Zwecke
braucht es in weitaus erster Linie seine Ersparnisse, die kaum geringer sind als
die Ersparnisse irgendeines andern Landes.

Wenn nahezu eine Million Köpfe jährlich neu heranwachsen, so wollen sie
doch womöglich eine Milliarde jährlich neu verdienen. Um hierzu die Möglichkeit
zu schaffen, müssen aber vielleicht 10 Milliarden jährlich neu investiert werden.
Und so werden denn in weitesten Umfange die Ersparnisse für neue Investierungen
im Lande selbst verbraucht, ohne daß die Mittel für reichliches Kreditgeben,
gar an das Ausland, übrig bleiben. In welchem Umfange in Deutschland zu
normalen Zeiten Jahr für Jahr Ersparnisse gesammelt, aber ganz überwiegend


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[0083] staatlicher Imperialismus und Individualismus auf Basis dieser wirtschaftlichen Jnteressenverwandtschaften sehr natürlichen Freundschaft und der Schaffung eines nntteleuropäisch-vorderasiatischen Impe¬ riums. Derartige Weltmachtpläne sind ohne jede Frage den leitenden Kreisen von Berlin sowohl als von Wien absolut fremd; und wer sie ihnen unterschiebt, kann damit, bewußt oder unbewußt, nur das eine Ziel verfolgen, durch Weckung von Mißtrauen daran zu arbeiten, daß die natürlichen, überwiegend wirtschaft¬ lichen Jnteressenverbindungen möglichst wenig politische Geltung erhalten; daß im Gegenteil, was durch eine Fülle natürlicher Beziehungen auf Freundschaft miteinander angewiesen wäre, in gespanntes Mißtrauen und dadurch schließlich in Feindschaft gerät. Mit Bezug auf die südöstlichen Teile jenes großen Territoriums, das Sir Harm Johnston als mitteleuropäisches Zukunftsimperium ausmalt, haben die weltpolitischen Ereignisse der jüngsten Zeit wieder mit besonders krasser Deutlichkeit daran erinnert, in welchem Umfange die weltpolitischen Geschäfte gestützt werden aus die Tätigkeit des Bankiers als Kreditgeber. Deutschland hat sich hier und da veranlaßt gesehen, wenigstens den Versuch zu unternehmen, am internationalen Wettkampfe der Kreditgeber Anteil zu haben. Nicht ohne Erfolg hat es eingegriffen, wo andere Kreditgeber durch harte Bedingungen hohe politische und zugleich wirtschaftliche Gewinne einzustreichen suchten — mit auf Kosten Deutschlands, dessen wirtschaftlicher Wettbewerb an den betreffenden Stellen möglichst lahmgelegt werden sollte. Nun weiß man aber, daß es Deutschland außerordentlich schwerfällt, auf dem Gebiete des Kreditgebens auch nur in vereinzelten Fällen Schritt zu halten mit Frankreich und England, die in so hervorragendem Maße als Bankiers politische Geschäfte zu machen wissen. Es könnte das leicht zu falschen Rückschlüssen führen, zumal ja auch das Deutsche Reich selbst als Kreditsucher verhältnismäßig recht ungünstig dasteht, wie im Kurse seiner Renten zum Ausdruck kommt. Man soll aber im Auslande doch nicht etwa meinen, daß Deutschland nicht über die Mittel verfüge, eine große Spartätigkeit zu entfalten und Jahr für Jahr Milliarden flüssig zu machen: nicht Mittel fehlen ihm, sondern es fehlt ihm die Zeit! Deutschland ist in jeder Beziehung ein außerordentlich produktives Land — es hat alle Hände voll zu tun mit — Kindererziehen und Schaffung neuer Beschäftigungsgelegenheit für seinen starken Zuwachs. Für diese Zwecke braucht es in weitaus erster Linie seine Ersparnisse, die kaum geringer sind als die Ersparnisse irgendeines andern Landes. Wenn nahezu eine Million Köpfe jährlich neu heranwachsen, so wollen sie doch womöglich eine Milliarde jährlich neu verdienen. Um hierzu die Möglichkeit zu schaffen, müssen aber vielleicht 10 Milliarden jährlich neu investiert werden. Und so werden denn in weitesten Umfange die Ersparnisse für neue Investierungen im Lande selbst verbraucht, ohne daß die Mittel für reichliches Kreditgeben, gar an das Ausland, übrig bleiben. In welchem Umfange in Deutschland zu normalen Zeiten Jahr für Jahr Ersparnisse gesammelt, aber ganz überwiegend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/83>, abgerufen am 01.01.2025.