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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf der Bildungsideale

herbeigeführt? Das alles ist doch nur einigermaßen zutreffend, keineswegs
völlig. Gewiß hat das humanistische Gymnasium wesentlich den ersteren der
von uns hingestellten Typen dienen wollen und wirklich gedient, und gewiß hat
es viel zu viele in sich aufzunehmen gehabt, deren günstigste Entwicklungs¬
möglichkeiten anderswo gelegen hätten und die hier zu nichts wirklich schätzens¬
werten gelangten. Aber dasselbige Gymnasium hat sich doch nicht recht in der
ihm bestimmten Eigenart behaupten dürfen, es hat mehr und mehr zugleich
eine Bildungsanstalt für alle werden sollen. Und die Reallehranstalten sind
darüber in der ihnen möglichen Wertentwicklung gehemmt worden. Darüber
nun so endlos viel Unzufriedenheit hüben und drüben, von außen und von
innen! Neuerdings hört man öfter, daß das Gymnasium jedenfalls auch in
Zukunft bestehen bleiben solle, aber nur für eine geistige Elite. Das wird
ganz richtig sein, wenn man sich nicht als solche Elite schlechthin die Auswahl
der Höchstbegabten überhaupt und darum Wertvollsten denkt, sondern eben die
Gruppe derjenigen, für die uach der eigenen Art ihrer Wesensanlage dort das
Rechte zu suchen ist; und welche Art der Anlage, zugleich welche Tendenz der
Bildung hier gemeint ist, braucht uach allem Obigen nicht nochmals dargelegt
zu werden.

Die Bezeichnung einer Einrichtung als "bewährt" wird zwar oft von
solchen gebraucht, die ihrerseits die Einrichtung festhalten möchten und zu diesem
Zweck etwas als bewiesen hinstellen, was andern erst bewiesen werden müßte.
Aber wenn die Freunde der humanistischen Schule von ihr als einer bewährten
sprechen, so dürfen sie das wirklich in dem bestimmten Sinne, daß es für eine
sicher nicht unbeträchtliche Anzahl aus den verschiedenen Generationen, die es
durchlaufen haben, eine sehr gute Ausbildungsgelegenheit gewesen ist, und solche
ehemalige Schüler sind es auch, die von ihren späteren Lebensjahren aus sich eine
andere Ausbildung nicht wünschen und ebensowenig eine andere dem nach¬
wachsenden Geschlecht. Es sind viele ausgezeichnete Männer darunter, führende
Geister auf allerlei Gebieten der Wissenschaft oder des Bildungslebens sonst,
und sie sind keineswegs zu verwechseln mit jenen, natürlich noch zahlreicheren,
die sich des Gymnasiums nur annehmen, weil sie dadurch vornehmer geworden
zu sein glauben, oder weil es ihre dort verbrachte Jugendzeit ist, an die
sie sich als Jugendzeit gern erinnern, oder weil sie nur die Art von Bildung
zu schätzen vermögen, die sie selbst erworben haben. Aber um jener bestimmten
und für das geistige Gesamtleben der Nation sehr wichtigen, auch in aller Zu¬
kunft sehr wichtigen Naturen willen möge man das Gymnasium unbedingt
und in möglichster Echtheit erhalten. Die eindringende (nicht die flüchtige!)
Beschäftigung mit den alten Sprachen und Literaturen im Mittelpunkt des
Bildungsplans hat nach der begründeten Überzeugung der wirklich Sachkundigen
so sicheren Wert, daß der Verzicht darauf in höherem nationalem Interesse
nicht verantwortet werden könnte. Für die meisten anderen Kulturnationen
steht die Frage nicht viel anders. Aber der Zudrang aller beliebigen Söhne


Der Kampf der Bildungsideale

herbeigeführt? Das alles ist doch nur einigermaßen zutreffend, keineswegs
völlig. Gewiß hat das humanistische Gymnasium wesentlich den ersteren der
von uns hingestellten Typen dienen wollen und wirklich gedient, und gewiß hat
es viel zu viele in sich aufzunehmen gehabt, deren günstigste Entwicklungs¬
möglichkeiten anderswo gelegen hätten und die hier zu nichts wirklich schätzens¬
werten gelangten. Aber dasselbige Gymnasium hat sich doch nicht recht in der
ihm bestimmten Eigenart behaupten dürfen, es hat mehr und mehr zugleich
eine Bildungsanstalt für alle werden sollen. Und die Reallehranstalten sind
darüber in der ihnen möglichen Wertentwicklung gehemmt worden. Darüber
nun so endlos viel Unzufriedenheit hüben und drüben, von außen und von
innen! Neuerdings hört man öfter, daß das Gymnasium jedenfalls auch in
Zukunft bestehen bleiben solle, aber nur für eine geistige Elite. Das wird
ganz richtig sein, wenn man sich nicht als solche Elite schlechthin die Auswahl
der Höchstbegabten überhaupt und darum Wertvollsten denkt, sondern eben die
Gruppe derjenigen, für die uach der eigenen Art ihrer Wesensanlage dort das
Rechte zu suchen ist; und welche Art der Anlage, zugleich welche Tendenz der
Bildung hier gemeint ist, braucht uach allem Obigen nicht nochmals dargelegt
zu werden.

Die Bezeichnung einer Einrichtung als „bewährt" wird zwar oft von
solchen gebraucht, die ihrerseits die Einrichtung festhalten möchten und zu diesem
Zweck etwas als bewiesen hinstellen, was andern erst bewiesen werden müßte.
Aber wenn die Freunde der humanistischen Schule von ihr als einer bewährten
sprechen, so dürfen sie das wirklich in dem bestimmten Sinne, daß es für eine
sicher nicht unbeträchtliche Anzahl aus den verschiedenen Generationen, die es
durchlaufen haben, eine sehr gute Ausbildungsgelegenheit gewesen ist, und solche
ehemalige Schüler sind es auch, die von ihren späteren Lebensjahren aus sich eine
andere Ausbildung nicht wünschen und ebensowenig eine andere dem nach¬
wachsenden Geschlecht. Es sind viele ausgezeichnete Männer darunter, führende
Geister auf allerlei Gebieten der Wissenschaft oder des Bildungslebens sonst,
und sie sind keineswegs zu verwechseln mit jenen, natürlich noch zahlreicheren,
die sich des Gymnasiums nur annehmen, weil sie dadurch vornehmer geworden
zu sein glauben, oder weil es ihre dort verbrachte Jugendzeit ist, an die
sie sich als Jugendzeit gern erinnern, oder weil sie nur die Art von Bildung
zu schätzen vermögen, die sie selbst erworben haben. Aber um jener bestimmten
und für das geistige Gesamtleben der Nation sehr wichtigen, auch in aller Zu¬
kunft sehr wichtigen Naturen willen möge man das Gymnasium unbedingt
und in möglichster Echtheit erhalten. Die eindringende (nicht die flüchtige!)
Beschäftigung mit den alten Sprachen und Literaturen im Mittelpunkt des
Bildungsplans hat nach der begründeten Überzeugung der wirklich Sachkundigen
so sicheren Wert, daß der Verzicht darauf in höherem nationalem Interesse
nicht verantwortet werden könnte. Für die meisten anderen Kulturnationen
steht die Frage nicht viel anders. Aber der Zudrang aller beliebigen Söhne


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[0075] Der Kampf der Bildungsideale herbeigeführt? Das alles ist doch nur einigermaßen zutreffend, keineswegs völlig. Gewiß hat das humanistische Gymnasium wesentlich den ersteren der von uns hingestellten Typen dienen wollen und wirklich gedient, und gewiß hat es viel zu viele in sich aufzunehmen gehabt, deren günstigste Entwicklungs¬ möglichkeiten anderswo gelegen hätten und die hier zu nichts wirklich schätzens¬ werten gelangten. Aber dasselbige Gymnasium hat sich doch nicht recht in der ihm bestimmten Eigenart behaupten dürfen, es hat mehr und mehr zugleich eine Bildungsanstalt für alle werden sollen. Und die Reallehranstalten sind darüber in der ihnen möglichen Wertentwicklung gehemmt worden. Darüber nun so endlos viel Unzufriedenheit hüben und drüben, von außen und von innen! Neuerdings hört man öfter, daß das Gymnasium jedenfalls auch in Zukunft bestehen bleiben solle, aber nur für eine geistige Elite. Das wird ganz richtig sein, wenn man sich nicht als solche Elite schlechthin die Auswahl der Höchstbegabten überhaupt und darum Wertvollsten denkt, sondern eben die Gruppe derjenigen, für die uach der eigenen Art ihrer Wesensanlage dort das Rechte zu suchen ist; und welche Art der Anlage, zugleich welche Tendenz der Bildung hier gemeint ist, braucht uach allem Obigen nicht nochmals dargelegt zu werden. Die Bezeichnung einer Einrichtung als „bewährt" wird zwar oft von solchen gebraucht, die ihrerseits die Einrichtung festhalten möchten und zu diesem Zweck etwas als bewiesen hinstellen, was andern erst bewiesen werden müßte. Aber wenn die Freunde der humanistischen Schule von ihr als einer bewährten sprechen, so dürfen sie das wirklich in dem bestimmten Sinne, daß es für eine sicher nicht unbeträchtliche Anzahl aus den verschiedenen Generationen, die es durchlaufen haben, eine sehr gute Ausbildungsgelegenheit gewesen ist, und solche ehemalige Schüler sind es auch, die von ihren späteren Lebensjahren aus sich eine andere Ausbildung nicht wünschen und ebensowenig eine andere dem nach¬ wachsenden Geschlecht. Es sind viele ausgezeichnete Männer darunter, führende Geister auf allerlei Gebieten der Wissenschaft oder des Bildungslebens sonst, und sie sind keineswegs zu verwechseln mit jenen, natürlich noch zahlreicheren, die sich des Gymnasiums nur annehmen, weil sie dadurch vornehmer geworden zu sein glauben, oder weil es ihre dort verbrachte Jugendzeit ist, an die sie sich als Jugendzeit gern erinnern, oder weil sie nur die Art von Bildung zu schätzen vermögen, die sie selbst erworben haben. Aber um jener bestimmten und für das geistige Gesamtleben der Nation sehr wichtigen, auch in aller Zu¬ kunft sehr wichtigen Naturen willen möge man das Gymnasium unbedingt und in möglichster Echtheit erhalten. Die eindringende (nicht die flüchtige!) Beschäftigung mit den alten Sprachen und Literaturen im Mittelpunkt des Bildungsplans hat nach der begründeten Überzeugung der wirklich Sachkundigen so sicheren Wert, daß der Verzicht darauf in höherem nationalem Interesse nicht verantwortet werden könnte. Für die meisten anderen Kulturnationen steht die Frage nicht viel anders. Aber der Zudrang aller beliebigen Söhne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/75>, abgerufen am 01.01.2025.