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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf der Bildunzsideale

Die Gleichsetzung dieser Gruppe mit Vertretern des Idealismus und der
anderen mit bloßen Realisten, Realisten in einem gewöhnlichen Sinne, ist ganz
unhaltbar. Sofern Idealismus nur von der wirklichen Welt fernhält, nicht sie
zu veredeln strebt, verdient er keine besondere Hochschätzung. Es kommt eben
innerhalb beider Gruppen darauf an, zu welcher Höhe man auf den betretenen
Gebieten gelangt. Mit der Zweiteilung nach der Wesensart und Sinnesrichtung
kreuzt sich eine andere, nämlich nach dem Grade der verwirklichten Wertbildung.
Man kann überall Geister unterscheiden, die es über die gegebenen Linien hinaus
zu etwas Neuem, selbständigem, vielleicht Großem bringen und die daun andere
mit aufwärts zu führen vermögen, und ihnen gegenüber die große Zahl der¬
jenigen, die nur sich eintauchen oder einführen lassen, nur brauchbare Arbeiter
am Wege werden, nur etwa Bewahrer von Überkommenem, sei es Wissen, sei
es Können. Sicher muß auch deren Wert geschätzt werden; ja man kann hier
zum Vergleich an die Aufstellung Platos denken, der in seinem idealen Staate
die Schar der berufenen Hüter (nämlich Hüter des wertvoll Bestehenden) von
der weit kleineren Anzahl der Lenkenden unterscheidet, und sich die Lenker und
Herrscher dabei ausdrücklich auf Grund geistiger Überlegenheit denkt. Dann
aber gibt es freilich noch eine sehr beträchtliche Zahl solcher, die es auf dem
ihnen zuteil werdenden Bildungswege überhaupt zu nichts Befriedigendem bringen,
sei es, weil der Weg nicht der ihnen gemäße war, sei es aus persönlicher
Mangelhaftigkeit. Und das erstere ist unendlich viel häufiger so vorgekommen,
als man irr allgemeinen zu ahnen scheint. Auf den Weg der, um es kurz zu
sagen, zum Sinnen Berufenen namentlich sind Unzählige getreten, die dort in
äußerlichen Übernehmen, in: Stoffwissen, in formalen Wiedergeben stecken bleiben
mußten, und sie haben meist nicht einmal empfunden, was sie verfehlten oder
versäumten. Man kann sagen: wenn gerade auf diesem Wege der persönlichen
Ausbildung nicht etwas Volles zustande kommt, ist ein nennenswertes Gute
überhaupt nicht errungen. In diesem Punkte stehen diejenigen günstiger, die
der Welt des Wirklichen zugewandt sind und denen das Anschauen, Verstehen
und Erkennen Unterlage zum Tun ist. Denn wie der Arbeiter mit der Hand
in bestimmter Zeit immer etwas Positives zu schaffen vermag, während der
Geistesarbeiter vielleicht in einer ebenso bestimmten Zeit nur seiner eigenen
Verwirrung inne wird, so oder doch ähnlich hat die Betätigung des auf das
Reale Gerichteten immerhin mehr Aussicht auf einen gewissen positiven Wert,
als die des in: Abstrakten sich Bewegenden. Freilich darf man darum nicht von
der Aktivität an und für sich schou zu viel halten. Sie erscheint weithin als
Wirkung von bloßer innerer Ruhelosigkeit oder Unfertigkeit, sie läßt vielleicht
Zentralität des Wesens vermissen. Ein innerer Persönlichkeitswert darf uns höher
stehen als bloße Lebenstüchtigkeit. Aber für die meisten gilt es denn doch, vor
allem einmal von dieser letzteren etwas zu gewinnen.

Hohe Wertnaturen können sich hüben wie drüben entwickeln. Aus denen,
die wir denn immerhin der Kürze wegen Realisten nennen mögen, gehen als


Der Kampf der Bildunzsideale

Die Gleichsetzung dieser Gruppe mit Vertretern des Idealismus und der
anderen mit bloßen Realisten, Realisten in einem gewöhnlichen Sinne, ist ganz
unhaltbar. Sofern Idealismus nur von der wirklichen Welt fernhält, nicht sie
zu veredeln strebt, verdient er keine besondere Hochschätzung. Es kommt eben
innerhalb beider Gruppen darauf an, zu welcher Höhe man auf den betretenen
Gebieten gelangt. Mit der Zweiteilung nach der Wesensart und Sinnesrichtung
kreuzt sich eine andere, nämlich nach dem Grade der verwirklichten Wertbildung.
Man kann überall Geister unterscheiden, die es über die gegebenen Linien hinaus
zu etwas Neuem, selbständigem, vielleicht Großem bringen und die daun andere
mit aufwärts zu führen vermögen, und ihnen gegenüber die große Zahl der¬
jenigen, die nur sich eintauchen oder einführen lassen, nur brauchbare Arbeiter
am Wege werden, nur etwa Bewahrer von Überkommenem, sei es Wissen, sei
es Können. Sicher muß auch deren Wert geschätzt werden; ja man kann hier
zum Vergleich an die Aufstellung Platos denken, der in seinem idealen Staate
die Schar der berufenen Hüter (nämlich Hüter des wertvoll Bestehenden) von
der weit kleineren Anzahl der Lenkenden unterscheidet, und sich die Lenker und
Herrscher dabei ausdrücklich auf Grund geistiger Überlegenheit denkt. Dann
aber gibt es freilich noch eine sehr beträchtliche Zahl solcher, die es auf dem
ihnen zuteil werdenden Bildungswege überhaupt zu nichts Befriedigendem bringen,
sei es, weil der Weg nicht der ihnen gemäße war, sei es aus persönlicher
Mangelhaftigkeit. Und das erstere ist unendlich viel häufiger so vorgekommen,
als man irr allgemeinen zu ahnen scheint. Auf den Weg der, um es kurz zu
sagen, zum Sinnen Berufenen namentlich sind Unzählige getreten, die dort in
äußerlichen Übernehmen, in: Stoffwissen, in formalen Wiedergeben stecken bleiben
mußten, und sie haben meist nicht einmal empfunden, was sie verfehlten oder
versäumten. Man kann sagen: wenn gerade auf diesem Wege der persönlichen
Ausbildung nicht etwas Volles zustande kommt, ist ein nennenswertes Gute
überhaupt nicht errungen. In diesem Punkte stehen diejenigen günstiger, die
der Welt des Wirklichen zugewandt sind und denen das Anschauen, Verstehen
und Erkennen Unterlage zum Tun ist. Denn wie der Arbeiter mit der Hand
in bestimmter Zeit immer etwas Positives zu schaffen vermag, während der
Geistesarbeiter vielleicht in einer ebenso bestimmten Zeit nur seiner eigenen
Verwirrung inne wird, so oder doch ähnlich hat die Betätigung des auf das
Reale Gerichteten immerhin mehr Aussicht auf einen gewissen positiven Wert,
als die des in: Abstrakten sich Bewegenden. Freilich darf man darum nicht von
der Aktivität an und für sich schou zu viel halten. Sie erscheint weithin als
Wirkung von bloßer innerer Ruhelosigkeit oder Unfertigkeit, sie läßt vielleicht
Zentralität des Wesens vermissen. Ein innerer Persönlichkeitswert darf uns höher
stehen als bloße Lebenstüchtigkeit. Aber für die meisten gilt es denn doch, vor
allem einmal von dieser letzteren etwas zu gewinnen.

Hohe Wertnaturen können sich hüben wie drüben entwickeln. Aus denen,
die wir denn immerhin der Kürze wegen Realisten nennen mögen, gehen als


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[0072] Der Kampf der Bildunzsideale Die Gleichsetzung dieser Gruppe mit Vertretern des Idealismus und der anderen mit bloßen Realisten, Realisten in einem gewöhnlichen Sinne, ist ganz unhaltbar. Sofern Idealismus nur von der wirklichen Welt fernhält, nicht sie zu veredeln strebt, verdient er keine besondere Hochschätzung. Es kommt eben innerhalb beider Gruppen darauf an, zu welcher Höhe man auf den betretenen Gebieten gelangt. Mit der Zweiteilung nach der Wesensart und Sinnesrichtung kreuzt sich eine andere, nämlich nach dem Grade der verwirklichten Wertbildung. Man kann überall Geister unterscheiden, die es über die gegebenen Linien hinaus zu etwas Neuem, selbständigem, vielleicht Großem bringen und die daun andere mit aufwärts zu führen vermögen, und ihnen gegenüber die große Zahl der¬ jenigen, die nur sich eintauchen oder einführen lassen, nur brauchbare Arbeiter am Wege werden, nur etwa Bewahrer von Überkommenem, sei es Wissen, sei es Können. Sicher muß auch deren Wert geschätzt werden; ja man kann hier zum Vergleich an die Aufstellung Platos denken, der in seinem idealen Staate die Schar der berufenen Hüter (nämlich Hüter des wertvoll Bestehenden) von der weit kleineren Anzahl der Lenkenden unterscheidet, und sich die Lenker und Herrscher dabei ausdrücklich auf Grund geistiger Überlegenheit denkt. Dann aber gibt es freilich noch eine sehr beträchtliche Zahl solcher, die es auf dem ihnen zuteil werdenden Bildungswege überhaupt zu nichts Befriedigendem bringen, sei es, weil der Weg nicht der ihnen gemäße war, sei es aus persönlicher Mangelhaftigkeit. Und das erstere ist unendlich viel häufiger so vorgekommen, als man irr allgemeinen zu ahnen scheint. Auf den Weg der, um es kurz zu sagen, zum Sinnen Berufenen namentlich sind Unzählige getreten, die dort in äußerlichen Übernehmen, in: Stoffwissen, in formalen Wiedergeben stecken bleiben mußten, und sie haben meist nicht einmal empfunden, was sie verfehlten oder versäumten. Man kann sagen: wenn gerade auf diesem Wege der persönlichen Ausbildung nicht etwas Volles zustande kommt, ist ein nennenswertes Gute überhaupt nicht errungen. In diesem Punkte stehen diejenigen günstiger, die der Welt des Wirklichen zugewandt sind und denen das Anschauen, Verstehen und Erkennen Unterlage zum Tun ist. Denn wie der Arbeiter mit der Hand in bestimmter Zeit immer etwas Positives zu schaffen vermag, während der Geistesarbeiter vielleicht in einer ebenso bestimmten Zeit nur seiner eigenen Verwirrung inne wird, so oder doch ähnlich hat die Betätigung des auf das Reale Gerichteten immerhin mehr Aussicht auf einen gewissen positiven Wert, als die des in: Abstrakten sich Bewegenden. Freilich darf man darum nicht von der Aktivität an und für sich schou zu viel halten. Sie erscheint weithin als Wirkung von bloßer innerer Ruhelosigkeit oder Unfertigkeit, sie läßt vielleicht Zentralität des Wesens vermissen. Ein innerer Persönlichkeitswert darf uns höher stehen als bloße Lebenstüchtigkeit. Aber für die meisten gilt es denn doch, vor allem einmal von dieser letzteren etwas zu gewinnen. Hohe Wertnaturen können sich hüben wie drüben entwickeln. Aus denen, die wir denn immerhin der Kürze wegen Realisten nennen mögen, gehen als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/72>, abgerufen am 01.01.2025.