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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Alexander Andreas, ein Sohn Livlands

"So, so, also das ist es!" sagte er lächelnd. "Wollen Sie sich wirklich des
Glückes berauben, den ein letzter unerfüllter Wunsch gewährt?"

"Können Sie diesen Wunsch erfüllen oder nicht?" entgegnete Herr Salentin,
der nicht der Mann war, den Reiz unerfüllter Wünsche zu würdigen, mit unver¬
hohlenem Unmut.

"Vielleicht kann ichs, obschon ich fürchten muß, daß Sie es regrettieren
werden," sagte der Pater.

"Gut, ich betrachte es als eine promesse."

"Und Ihre contre-pro messe?"

"Daß ich über's Jahr verheiratet bin."

Der alte Herr bot dem Freunde die Hand, und dieser schlug ein.

"Nun ist es an der Zeit, mit mesciames zu sprechen. Sie haben wohl die
"omplaisance, mich zu beurlauben," sagte Pater Ambrosius, indem er sich erhob.

"Halt, mon arm!" rief der Freiherr aufspringend, "lassen Sie mich erst aus
dem Hause sein!"

Er klopfte seine Pfeife aus, verabschiedete sich und eilte so geräuschlos wie
möglich die Treppe hinunter.

Ein paar Augenblicke später vernahm der geistliche Freund im Hofe Pferde¬
getrappel, das sich in der Richtung nach dem Lambertsberge zu schnell entfernte.
Er kniff die schmalen Lippen fest zusammen, um die in ihm aufsteigende Heiterkeit
gewaltsam zu unterdrücken, und begab sich zu den Damen, die ihn längst mit
Ungeduld erwarteten. (Fortsetzung folgt.)




Alexander Andreas, ein ^ohn Livlands
Von Pier v. Reyher

8^! uf dem evangelischen Friedhofe der nordwestrussischen Gouvernements¬
stadt Witebsk erhebt sich unter anderen ein kleiner Grabhügel, dessen
schlichte Steintafel die Inschrift trägt: "Hier ruht in Gott Staatsrat
! Alexander A. Badendyk, geb. 3. Nov. 1836, geht. 30. Nov. 1898".
^Der hier Ruhende war in seinem Bekannten-" und beruflichen
Wirkungskreise nur als Schulmann, als trefflicher Lehrer am russischen Gouvernements-
gyinnasium zu Witebsk und als Verfasser pädagogischer Schriften und russischer
Schulbücher bekannt. Ja, seine eigene Schwester hatte erst in späteren Jahren
davon Kenntnis erlangt, daß die verschiedenen in der baltischen Presse unter dem
Pseudonym Alexander Andreas erschienenen Erzählungen aus der baltischen Heimat¬
geschichte von ihrem Bruder herrührten. Diese Heimlichkeit findet ihre Erklärung
in einer damaligen politisch vorbeugenden Ministerialverordnung, nach der den
Lehrern jede Art von Schriftstellers, mit Ausnahme der pädagogischen, während
ihrer Dienstzeit untersagt war. Es blieb somit für die Veröffentlichung seiner
übrigens ganz unpolitischen Schöpfungen kein anderes Mittel als das der Anonymität
übrig. Und mit wie rechtlich schlagendem Gewissen er diesen an sich freilich ver¬
ordnungswidrigen Weg beschritten hat, dafür mag eine Äußerung aus einem seiner


Alexander Andreas, ein Sohn Livlands

„So, so, also das ist es!" sagte er lächelnd. „Wollen Sie sich wirklich des
Glückes berauben, den ein letzter unerfüllter Wunsch gewährt?"

„Können Sie diesen Wunsch erfüllen oder nicht?" entgegnete Herr Salentin,
der nicht der Mann war, den Reiz unerfüllter Wünsche zu würdigen, mit unver¬
hohlenem Unmut.

„Vielleicht kann ichs, obschon ich fürchten muß, daß Sie es regrettieren
werden," sagte der Pater.

„Gut, ich betrachte es als eine promesse."

„Und Ihre contre-pro messe?"

„Daß ich über's Jahr verheiratet bin."

Der alte Herr bot dem Freunde die Hand, und dieser schlug ein.

„Nun ist es an der Zeit, mit mesciames zu sprechen. Sie haben wohl die
«omplaisance, mich zu beurlauben," sagte Pater Ambrosius, indem er sich erhob.

„Halt, mon arm!" rief der Freiherr aufspringend, „lassen Sie mich erst aus
dem Hause sein!"

Er klopfte seine Pfeife aus, verabschiedete sich und eilte so geräuschlos wie
möglich die Treppe hinunter.

Ein paar Augenblicke später vernahm der geistliche Freund im Hofe Pferde¬
getrappel, das sich in der Richtung nach dem Lambertsberge zu schnell entfernte.
Er kniff die schmalen Lippen fest zusammen, um die in ihm aufsteigende Heiterkeit
gewaltsam zu unterdrücken, und begab sich zu den Damen, die ihn längst mit
Ungeduld erwarteten. (Fortsetzung folgt.)




Alexander Andreas, ein ^ohn Livlands
Von Pier v. Reyher

8^! uf dem evangelischen Friedhofe der nordwestrussischen Gouvernements¬
stadt Witebsk erhebt sich unter anderen ein kleiner Grabhügel, dessen
schlichte Steintafel die Inschrift trägt: „Hier ruht in Gott Staatsrat
! Alexander A. Badendyk, geb. 3. Nov. 1836, geht. 30. Nov. 1898".
^Der hier Ruhende war in seinem Bekannten-« und beruflichen
Wirkungskreise nur als Schulmann, als trefflicher Lehrer am russischen Gouvernements-
gyinnasium zu Witebsk und als Verfasser pädagogischer Schriften und russischer
Schulbücher bekannt. Ja, seine eigene Schwester hatte erst in späteren Jahren
davon Kenntnis erlangt, daß die verschiedenen in der baltischen Presse unter dem
Pseudonym Alexander Andreas erschienenen Erzählungen aus der baltischen Heimat¬
geschichte von ihrem Bruder herrührten. Diese Heimlichkeit findet ihre Erklärung
in einer damaligen politisch vorbeugenden Ministerialverordnung, nach der den
Lehrern jede Art von Schriftstellers, mit Ausnahme der pädagogischen, während
ihrer Dienstzeit untersagt war. Es blieb somit für die Veröffentlichung seiner
übrigens ganz unpolitischen Schöpfungen kein anderes Mittel als das der Anonymität
übrig. Und mit wie rechtlich schlagendem Gewissen er diesen an sich freilich ver¬
ordnungswidrigen Weg beschritten hat, dafür mag eine Äußerung aus einem seiner


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[0632] Alexander Andreas, ein Sohn Livlands „So, so, also das ist es!" sagte er lächelnd. „Wollen Sie sich wirklich des Glückes berauben, den ein letzter unerfüllter Wunsch gewährt?" „Können Sie diesen Wunsch erfüllen oder nicht?" entgegnete Herr Salentin, der nicht der Mann war, den Reiz unerfüllter Wünsche zu würdigen, mit unver¬ hohlenem Unmut. „Vielleicht kann ichs, obschon ich fürchten muß, daß Sie es regrettieren werden," sagte der Pater. „Gut, ich betrachte es als eine promesse." „Und Ihre contre-pro messe?" „Daß ich über's Jahr verheiratet bin." Der alte Herr bot dem Freunde die Hand, und dieser schlug ein. „Nun ist es an der Zeit, mit mesciames zu sprechen. Sie haben wohl die «omplaisance, mich zu beurlauben," sagte Pater Ambrosius, indem er sich erhob. „Halt, mon arm!" rief der Freiherr aufspringend, „lassen Sie mich erst aus dem Hause sein!" Er klopfte seine Pfeife aus, verabschiedete sich und eilte so geräuschlos wie möglich die Treppe hinunter. Ein paar Augenblicke später vernahm der geistliche Freund im Hofe Pferde¬ getrappel, das sich in der Richtung nach dem Lambertsberge zu schnell entfernte. Er kniff die schmalen Lippen fest zusammen, um die in ihm aufsteigende Heiterkeit gewaltsam zu unterdrücken, und begab sich zu den Damen, die ihn längst mit Ungeduld erwarteten. (Fortsetzung folgt.) Alexander Andreas, ein ^ohn Livlands Von Pier v. Reyher 8^! uf dem evangelischen Friedhofe der nordwestrussischen Gouvernements¬ stadt Witebsk erhebt sich unter anderen ein kleiner Grabhügel, dessen schlichte Steintafel die Inschrift trägt: „Hier ruht in Gott Staatsrat ! Alexander A. Badendyk, geb. 3. Nov. 1836, geht. 30. Nov. 1898". ^Der hier Ruhende war in seinem Bekannten-« und beruflichen Wirkungskreise nur als Schulmann, als trefflicher Lehrer am russischen Gouvernements- gyinnasium zu Witebsk und als Verfasser pädagogischer Schriften und russischer Schulbücher bekannt. Ja, seine eigene Schwester hatte erst in späteren Jahren davon Kenntnis erlangt, daß die verschiedenen in der baltischen Presse unter dem Pseudonym Alexander Andreas erschienenen Erzählungen aus der baltischen Heimat¬ geschichte von ihrem Bruder herrührten. Diese Heimlichkeit findet ihre Erklärung in einer damaligen politisch vorbeugenden Ministerialverordnung, nach der den Lehrern jede Art von Schriftstellers, mit Ausnahme der pädagogischen, während ihrer Dienstzeit untersagt war. Es blieb somit für die Veröffentlichung seiner übrigens ganz unpolitischen Schöpfungen kein anderes Mittel als das der Anonymität übrig. Und mit wie rechtlich schlagendem Gewissen er diesen an sich freilich ver¬ ordnungswidrigen Weg beschritten hat, dafür mag eine Äußerung aus einem seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/632>, abgerufen am 29.12.2024.