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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Mahlrccht und Mnhlpflicht der Nichtwähler

der Wahllisten eul "Kandidat der NichtWähler" aufgestellt würde, für welche
die Stimme durch Wahlenthaltung abgegeben gilt. Würden die Wähler mit
dem von der Regierung aufgestellten Nichtwählerkandidaten nicht einverstanden
sein, so könnte das nur die heilsame Folge einer gesteigerten aktiven Beteiligung
an der Wahlhandlung haben. Da gerade damals (1908) das Welfentum in
der Reichstagsersatzwahl zu Wolfenbüttelchelmstedt durch die geringe Beteiligung
der Wahlberechtigten einen außergewöhnlichen Zusallserfolg errungen hatte, fiel
der Vorschlag Bozi auf fruchtbaren Boden. Selbst die Rhein- und Ruhr-Zeitung
in Duisburg wußte (15. September 1908) weiter keine Bedenken, als daß die
Position der Regierung im Wahlkampf gestärkt würde, falls nicht die bisherigen
NichtWähler im Ärger über mittelbaren Wahlzwang zur äußersten Opposition
abschwenkten. Auch die Berliner Börsen-Zeitung stimmte (16. September 1908)
dieser Ansicht bei, während die sozialdemokratische Presse behauptete, der Vor¬
schlag Bozi sei eine Umgehung der geheimen Wahl. Denn jeder, der nicht den
Negierungskcmdidaten durch Stimmenthaltung wähle, sondern persönlich zur
Wahl erscheine, sei dadurch als Regierungsgegner namentlich festgestellt! Das
Berliner Tageblatt verbreitete sich (19. September 1908) des weiteren über den
Vorschlag Bozi unter der Überschrift: "Die Partei der NichtWähler" und kam
zu dem Schluß, die Regierung würde überall als Nichtwählerkandidaten einfach
die Landräte aufstellen und damit eine "schier ungeheuerliche Beeinflussung der
Wähler durch die Regierungsorgane" begünstigen. Auch praktisch sei der Vor¬
schlag wertlos, da bei der Bekanntgabe eines Regiernngskandidaten für die
NichtWähler die Zahl der nicht abgegebenen gültigen Stimmen sich auf etwa
15 Prozent verringern würde, so daß der Regierungskandidat also selten in
der Hauptwahl und fast niemals in der Stichwahl zur Geltung käme. Diese
Ergänzung des Wahlrechts sei also keine "Veredelung", sondern eine "Ver-
schandelung". Anfang Oktober 1908 gab Direktor Sebaldt die Anregung, den
Vorschlag Bozi dadurch zu verbessern, daß an Stelle besonderer Regierungs¬
kandidaten die Reichsbehörde diejenigen Kandidaten der anerkannten Reichstags¬
fraktionen vor der Wahl bezeichnen solle, welchen die Stimmen der Nichtwähler
zugeschrieben würden. Bozi antwortete darauf am 6. Oktober 1908: "Ihre
Formulierung ist entschieden die bessere. Ich selbst war mir inzwischen darüber
klar geworden, daß die fiskalische Kandidatenwahl nur unter den bereits von
den Parteien aufgestellten Kandidaten erfolgen könnte. So aber bleibt dies der
einzige Weg, auf dem sich eine Wahl durch Beteiligung sämtlicher Wahl¬
berechtigten erreichen ließe, während anderseits das Übergewicht der von der
Agitation lebenden Parteien etwas paralysiert würde. Ganz verfehlt ist übrigens
der Einwand, daß der Einfluß des Parlaments zurückgedrängt werden würde.
Imi Gegenteil würde eine Regierung, die sich durch Anschluß an eine Partei
die Mehrheit verschaffte, gerade im wahren Sinne eine parlamentarische Regierung
sein. In Ihrer Fassung bedeutet der Vorschlag also keinesfalls eine Beein¬
flussung der Wähler, während anderseits der Einwand abgetan ist, daß die


Mahlrccht und Mnhlpflicht der Nichtwähler

der Wahllisten eul „Kandidat der NichtWähler" aufgestellt würde, für welche
die Stimme durch Wahlenthaltung abgegeben gilt. Würden die Wähler mit
dem von der Regierung aufgestellten Nichtwählerkandidaten nicht einverstanden
sein, so könnte das nur die heilsame Folge einer gesteigerten aktiven Beteiligung
an der Wahlhandlung haben. Da gerade damals (1908) das Welfentum in
der Reichstagsersatzwahl zu Wolfenbüttelchelmstedt durch die geringe Beteiligung
der Wahlberechtigten einen außergewöhnlichen Zusallserfolg errungen hatte, fiel
der Vorschlag Bozi auf fruchtbaren Boden. Selbst die Rhein- und Ruhr-Zeitung
in Duisburg wußte (15. September 1908) weiter keine Bedenken, als daß die
Position der Regierung im Wahlkampf gestärkt würde, falls nicht die bisherigen
NichtWähler im Ärger über mittelbaren Wahlzwang zur äußersten Opposition
abschwenkten. Auch die Berliner Börsen-Zeitung stimmte (16. September 1908)
dieser Ansicht bei, während die sozialdemokratische Presse behauptete, der Vor¬
schlag Bozi sei eine Umgehung der geheimen Wahl. Denn jeder, der nicht den
Negierungskcmdidaten durch Stimmenthaltung wähle, sondern persönlich zur
Wahl erscheine, sei dadurch als Regierungsgegner namentlich festgestellt! Das
Berliner Tageblatt verbreitete sich (19. September 1908) des weiteren über den
Vorschlag Bozi unter der Überschrift: „Die Partei der NichtWähler" und kam
zu dem Schluß, die Regierung würde überall als Nichtwählerkandidaten einfach
die Landräte aufstellen und damit eine „schier ungeheuerliche Beeinflussung der
Wähler durch die Regierungsorgane" begünstigen. Auch praktisch sei der Vor¬
schlag wertlos, da bei der Bekanntgabe eines Regiernngskandidaten für die
NichtWähler die Zahl der nicht abgegebenen gültigen Stimmen sich auf etwa
15 Prozent verringern würde, so daß der Regierungskandidat also selten in
der Hauptwahl und fast niemals in der Stichwahl zur Geltung käme. Diese
Ergänzung des Wahlrechts sei also keine „Veredelung", sondern eine „Ver-
schandelung". Anfang Oktober 1908 gab Direktor Sebaldt die Anregung, den
Vorschlag Bozi dadurch zu verbessern, daß an Stelle besonderer Regierungs¬
kandidaten die Reichsbehörde diejenigen Kandidaten der anerkannten Reichstags¬
fraktionen vor der Wahl bezeichnen solle, welchen die Stimmen der Nichtwähler
zugeschrieben würden. Bozi antwortete darauf am 6. Oktober 1908: „Ihre
Formulierung ist entschieden die bessere. Ich selbst war mir inzwischen darüber
klar geworden, daß die fiskalische Kandidatenwahl nur unter den bereits von
den Parteien aufgestellten Kandidaten erfolgen könnte. So aber bleibt dies der
einzige Weg, auf dem sich eine Wahl durch Beteiligung sämtlicher Wahl¬
berechtigten erreichen ließe, während anderseits das Übergewicht der von der
Agitation lebenden Parteien etwas paralysiert würde. Ganz verfehlt ist übrigens
der Einwand, daß der Einfluß des Parlaments zurückgedrängt werden würde.
Imi Gegenteil würde eine Regierung, die sich durch Anschluß an eine Partei
die Mehrheit verschaffte, gerade im wahren Sinne eine parlamentarische Regierung
sein. In Ihrer Fassung bedeutet der Vorschlag also keinesfalls eine Beein¬
flussung der Wähler, während anderseits der Einwand abgetan ist, daß die


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[0063] Mahlrccht und Mnhlpflicht der Nichtwähler der Wahllisten eul „Kandidat der NichtWähler" aufgestellt würde, für welche die Stimme durch Wahlenthaltung abgegeben gilt. Würden die Wähler mit dem von der Regierung aufgestellten Nichtwählerkandidaten nicht einverstanden sein, so könnte das nur die heilsame Folge einer gesteigerten aktiven Beteiligung an der Wahlhandlung haben. Da gerade damals (1908) das Welfentum in der Reichstagsersatzwahl zu Wolfenbüttelchelmstedt durch die geringe Beteiligung der Wahlberechtigten einen außergewöhnlichen Zusallserfolg errungen hatte, fiel der Vorschlag Bozi auf fruchtbaren Boden. Selbst die Rhein- und Ruhr-Zeitung in Duisburg wußte (15. September 1908) weiter keine Bedenken, als daß die Position der Regierung im Wahlkampf gestärkt würde, falls nicht die bisherigen NichtWähler im Ärger über mittelbaren Wahlzwang zur äußersten Opposition abschwenkten. Auch die Berliner Börsen-Zeitung stimmte (16. September 1908) dieser Ansicht bei, während die sozialdemokratische Presse behauptete, der Vor¬ schlag Bozi sei eine Umgehung der geheimen Wahl. Denn jeder, der nicht den Negierungskcmdidaten durch Stimmenthaltung wähle, sondern persönlich zur Wahl erscheine, sei dadurch als Regierungsgegner namentlich festgestellt! Das Berliner Tageblatt verbreitete sich (19. September 1908) des weiteren über den Vorschlag Bozi unter der Überschrift: „Die Partei der NichtWähler" und kam zu dem Schluß, die Regierung würde überall als Nichtwählerkandidaten einfach die Landräte aufstellen und damit eine „schier ungeheuerliche Beeinflussung der Wähler durch die Regierungsorgane" begünstigen. Auch praktisch sei der Vor¬ schlag wertlos, da bei der Bekanntgabe eines Regiernngskandidaten für die NichtWähler die Zahl der nicht abgegebenen gültigen Stimmen sich auf etwa 15 Prozent verringern würde, so daß der Regierungskandidat also selten in der Hauptwahl und fast niemals in der Stichwahl zur Geltung käme. Diese Ergänzung des Wahlrechts sei also keine „Veredelung", sondern eine „Ver- schandelung". Anfang Oktober 1908 gab Direktor Sebaldt die Anregung, den Vorschlag Bozi dadurch zu verbessern, daß an Stelle besonderer Regierungs¬ kandidaten die Reichsbehörde diejenigen Kandidaten der anerkannten Reichstags¬ fraktionen vor der Wahl bezeichnen solle, welchen die Stimmen der Nichtwähler zugeschrieben würden. Bozi antwortete darauf am 6. Oktober 1908: „Ihre Formulierung ist entschieden die bessere. Ich selbst war mir inzwischen darüber klar geworden, daß die fiskalische Kandidatenwahl nur unter den bereits von den Parteien aufgestellten Kandidaten erfolgen könnte. So aber bleibt dies der einzige Weg, auf dem sich eine Wahl durch Beteiligung sämtlicher Wahl¬ berechtigten erreichen ließe, während anderseits das Übergewicht der von der Agitation lebenden Parteien etwas paralysiert würde. Ganz verfehlt ist übrigens der Einwand, daß der Einfluß des Parlaments zurückgedrängt werden würde. Imi Gegenteil würde eine Regierung, die sich durch Anschluß an eine Partei die Mehrheit verschaffte, gerade im wahren Sinne eine parlamentarische Regierung sein. In Ihrer Fassung bedeutet der Vorschlag also keinesfalls eine Beein¬ flussung der Wähler, während anderseits der Einwand abgetan ist, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/63>, abgerufen am 01.01.2025.