Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Moral und über die Bedeutung beider für
den modernen Menschen.

Der erste Abschnitt behandelt das heiß
umstrittene Thema "Kunst und Moral". Die
Umwertung der bisherigen Lebensideale, die
sich hauptsächlich unter dein Einfluß Nietzsches
vollzogen hat, prägt sich in der Kunst sowohl
inhaltlich in der Verherrlichung deS Lebens
um des Lebens willen, als auch technisch vor
allem in dem Bestreben aus, sinnlich aufregend
zu wirren. Während früher von der Kunst
verlangt wurde, daß sie den Menschen veredeln
solle -- und auch heute gibt es noch viele,
die das von ihr verlangen -- leugnet eine
große Anzahl Künstler und Kunstkritiker der
Jetztzeit jeden Zusammenhang zwischen Kunst
und Moral. Volkelt weist die Forderung der
strengen Sittenrichter, daß die Kunst den
Vorschriften eines ein für allemal feststehenden
Moralkodex zu folgen habe, zurück. Ebenso
energisch wendet er sich aber auch gegen die
moderne Anschauung, die jeden Zusammen¬
hang zwischen Kunst und Moral leugnet.
Das Sittliche sei vielmehr als lebendiges
Element der Kulturentwicklung in stetem
Wandel begriffen, und die Kunst könne und
dürfe sich nicht von dem übrigen geistigen
Leben und Ringen der Menschheit abschließen,
müsse also auch in stetem Zusammenhang mit
den sittlichen Idealen ihrer Zeit bleiben.
Dieser Zusammenhang ist nach Volkelt überall
vorhanden, wo künstlerischer Drang schaffend
einsetzt, da das rein künstlerische Schaffen
sowohl wie Genießen naturgemäß auch immer
von Sittlichkeit getragen sein wird. Sittlich
in diesem höchsten Sinne müsse daher jede
Kunst genannt werden, die, ohne an eine
bestimmte sittliche Auffassung gebunden zu
sein, ihren Ursprung dem Schaffen einer von
sittlichen: Streben beseelten Persönlichkeit ver¬
dankt. Solch ein Künstler würde naturgemäß
seinen Schöpfungen einen Inhalt "von Be¬
deutung" zugrunde legen und nicht, wie es
jetzt so vielfach geschieht, sich in der Dar¬
stellung Pikanter oder verletzender Motive
gefallen.

Wenn alle diese Ausführungen Volkelts
überzeugend wirken, so lange es sich um
grundsätzliche Fragen handelt, die verstandes¬
mäßig erfaßt, zergliedert oder in ihrer be¬
grifflichen Bedeutung genau umgrenzt werden

[Spaltenumbruch]

sollen, so sagt er doch mancherlei, dein man
nicht unbedingt zustimmen kann, wo es sich
um Beispiele handelt, welche die vom Kunst¬
werke ausgehende Wirkung erläutern sollen.
Er verlangt z. B., daß dus Kunstwerk einen
"bedeutungsvollen, einen charakteristisch mensch¬
lichen" Inhalt haben müsse, sieht in der
Vernachlässigung der Historienmalerei in
unserer Zeit den Beweis für eine gewaltige
Verarmung ein Geist, Gedanken und Lebens¬
anschauung, und in Werken solch ernster
Künstler wie Oskar Zwintscher eine Herab¬
ziehung der Kunst ins Unzüchtige und Scham¬
lose. Damit läuft er Gefahr, daß seine
früheren Ausführungen von vielen falsch und
gar nicht in seinem Sinne ausgelegt werden
könnten. Denn muß es nicht scheinen, mis ob
Volkert die glücklich überwundene Genre- und
Historienmalerei zurückwünsche, die Zeit des
Schemas und hohlen Pathos? Was in jener
Zeit unkünstlerischen Angedenkens etwa an
Geist und Gedanken in Werken der bildenden
Kunst zutage trat, war zu neun Zehnteln
nicht rein künstlerischen Ursprungs, sondern
verdankte seine Entstehung literarischer oder
historischer Anregung und entsprach, da es
häufig pädagogischen oder Patriotischen Zwecken
dienen sollte, durchaus nicht der Forderung
Volkelts einer "willenlosen Beschaulichkeit".
Dieser kommt aber die von Volkelt gering
geachtete Landschaftsmalerei in hohem Grade
nach. Seit uns die Augen darüber geöffnet
sind, daß der künstlerische Gehalt eines Ge¬
mäldes durch den "bedeutenden" Inhalt leicht
erdrückt werden kann, erscheint es ganz ver¬
ständlich, daß die modernen Maler sich wieder
mehr der Landschaft zugewandt haben, die
doch auch sittenbildnerisch wegen ihrer Wirkung
auf unser Gemüt nicht unterschätzt werden
darf. Volkelt sagt ferner: "Wenn irgendwo
ein Kunstwerk sittlich beleidigt, so ist dies
zugleich eine Versündigung gegen ästhetische
Normen", doch muß sehr bezweifelt werden,
ob sich diese Frage so einfach entscheiden läßt.
Mit einem so vagen Maßstab können wir
nichts anfangen.

Auch ob ein bestimmtes Kunstwerk aus
"großem, ernstem Sinne" geschaffen ist, wird
sich nur selten unzweifelhaft feststellen lassen.
Denn so recht Volkelt mit dem Grundsatz hat,
daß ein wirkliches Kunstwerk nicht in "fühl-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Moral und über die Bedeutung beider für
den modernen Menschen.

Der erste Abschnitt behandelt das heiß
umstrittene Thema „Kunst und Moral". Die
Umwertung der bisherigen Lebensideale, die
sich hauptsächlich unter dein Einfluß Nietzsches
vollzogen hat, prägt sich in der Kunst sowohl
inhaltlich in der Verherrlichung deS Lebens
um des Lebens willen, als auch technisch vor
allem in dem Bestreben aus, sinnlich aufregend
zu wirren. Während früher von der Kunst
verlangt wurde, daß sie den Menschen veredeln
solle — und auch heute gibt es noch viele,
die das von ihr verlangen — leugnet eine
große Anzahl Künstler und Kunstkritiker der
Jetztzeit jeden Zusammenhang zwischen Kunst
und Moral. Volkelt weist die Forderung der
strengen Sittenrichter, daß die Kunst den
Vorschriften eines ein für allemal feststehenden
Moralkodex zu folgen habe, zurück. Ebenso
energisch wendet er sich aber auch gegen die
moderne Anschauung, die jeden Zusammen¬
hang zwischen Kunst und Moral leugnet.
Das Sittliche sei vielmehr als lebendiges
Element der Kulturentwicklung in stetem
Wandel begriffen, und die Kunst könne und
dürfe sich nicht von dem übrigen geistigen
Leben und Ringen der Menschheit abschließen,
müsse also auch in stetem Zusammenhang mit
den sittlichen Idealen ihrer Zeit bleiben.
Dieser Zusammenhang ist nach Volkelt überall
vorhanden, wo künstlerischer Drang schaffend
einsetzt, da das rein künstlerische Schaffen
sowohl wie Genießen naturgemäß auch immer
von Sittlichkeit getragen sein wird. Sittlich
in diesem höchsten Sinne müsse daher jede
Kunst genannt werden, die, ohne an eine
bestimmte sittliche Auffassung gebunden zu
sein, ihren Ursprung dem Schaffen einer von
sittlichen: Streben beseelten Persönlichkeit ver¬
dankt. Solch ein Künstler würde naturgemäß
seinen Schöpfungen einen Inhalt „von Be¬
deutung" zugrunde legen und nicht, wie es
jetzt so vielfach geschieht, sich in der Dar¬
stellung Pikanter oder verletzender Motive
gefallen.

Wenn alle diese Ausführungen Volkelts
überzeugend wirken, so lange es sich um
grundsätzliche Fragen handelt, die verstandes¬
mäßig erfaßt, zergliedert oder in ihrer be¬
grifflichen Bedeutung genau umgrenzt werden

[Spaltenumbruch]

sollen, so sagt er doch mancherlei, dein man
nicht unbedingt zustimmen kann, wo es sich
um Beispiele handelt, welche die vom Kunst¬
werke ausgehende Wirkung erläutern sollen.
Er verlangt z. B., daß dus Kunstwerk einen
„bedeutungsvollen, einen charakteristisch mensch¬
lichen" Inhalt haben müsse, sieht in der
Vernachlässigung der Historienmalerei in
unserer Zeit den Beweis für eine gewaltige
Verarmung ein Geist, Gedanken und Lebens¬
anschauung, und in Werken solch ernster
Künstler wie Oskar Zwintscher eine Herab¬
ziehung der Kunst ins Unzüchtige und Scham¬
lose. Damit läuft er Gefahr, daß seine
früheren Ausführungen von vielen falsch und
gar nicht in seinem Sinne ausgelegt werden
könnten. Denn muß es nicht scheinen, mis ob
Volkert die glücklich überwundene Genre- und
Historienmalerei zurückwünsche, die Zeit des
Schemas und hohlen Pathos? Was in jener
Zeit unkünstlerischen Angedenkens etwa an
Geist und Gedanken in Werken der bildenden
Kunst zutage trat, war zu neun Zehnteln
nicht rein künstlerischen Ursprungs, sondern
verdankte seine Entstehung literarischer oder
historischer Anregung und entsprach, da es
häufig pädagogischen oder Patriotischen Zwecken
dienen sollte, durchaus nicht der Forderung
Volkelts einer „willenlosen Beschaulichkeit".
Dieser kommt aber die von Volkelt gering
geachtete Landschaftsmalerei in hohem Grade
nach. Seit uns die Augen darüber geöffnet
sind, daß der künstlerische Gehalt eines Ge¬
mäldes durch den „bedeutenden" Inhalt leicht
erdrückt werden kann, erscheint es ganz ver¬
ständlich, daß die modernen Maler sich wieder
mehr der Landschaft zugewandt haben, die
doch auch sittenbildnerisch wegen ihrer Wirkung
auf unser Gemüt nicht unterschätzt werden
darf. Volkelt sagt ferner: „Wenn irgendwo
ein Kunstwerk sittlich beleidigt, so ist dies
zugleich eine Versündigung gegen ästhetische
Normen", doch muß sehr bezweifelt werden,
ob sich diese Frage so einfach entscheiden läßt.
Mit einem so vagen Maßstab können wir
nichts anfangen.

Auch ob ein bestimmtes Kunstwerk aus
„großem, ernstem Sinne" geschaffen ist, wird
sich nur selten unzweifelhaft feststellen lassen.
Denn so recht Volkelt mit dem Grundsatz hat,
daß ein wirkliches Kunstwerk nicht in „fühl-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0576" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319523"/>
              <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
              <cb type="start"/>
              <p xml:id="ID_2747" prev="#ID_2746"> Moral und über die Bedeutung beider für<lb/>
den modernen Menschen.</p>
              <p xml:id="ID_2748"> Der erste Abschnitt behandelt das heiß<lb/>
umstrittene Thema &#x201E;Kunst und Moral". Die<lb/>
Umwertung der bisherigen Lebensideale, die<lb/>
sich hauptsächlich unter dein Einfluß Nietzsches<lb/>
vollzogen hat, prägt sich in der Kunst sowohl<lb/>
inhaltlich in der Verherrlichung deS Lebens<lb/>
um des Lebens willen, als auch technisch vor<lb/>
allem in dem Bestreben aus, sinnlich aufregend<lb/>
zu wirren. Während früher von der Kunst<lb/>
verlangt wurde, daß sie den Menschen veredeln<lb/>
solle &#x2014; und auch heute gibt es noch viele,<lb/>
die das von ihr verlangen &#x2014; leugnet eine<lb/>
große Anzahl Künstler und Kunstkritiker der<lb/>
Jetztzeit jeden Zusammenhang zwischen Kunst<lb/>
und Moral. Volkelt weist die Forderung der<lb/>
strengen Sittenrichter, daß die Kunst den<lb/>
Vorschriften eines ein für allemal feststehenden<lb/>
Moralkodex zu folgen habe, zurück. Ebenso<lb/>
energisch wendet er sich aber auch gegen die<lb/>
moderne Anschauung, die jeden Zusammen¬<lb/>
hang zwischen Kunst und Moral leugnet.<lb/>
Das Sittliche sei vielmehr als lebendiges<lb/>
Element der Kulturentwicklung in stetem<lb/>
Wandel begriffen, und die Kunst könne und<lb/>
dürfe sich nicht von dem übrigen geistigen<lb/>
Leben und Ringen der Menschheit abschließen,<lb/>
müsse also auch in stetem Zusammenhang mit<lb/>
den sittlichen Idealen ihrer Zeit bleiben.<lb/>
Dieser Zusammenhang ist nach Volkelt überall<lb/>
vorhanden, wo künstlerischer Drang schaffend<lb/>
einsetzt, da das rein künstlerische Schaffen<lb/>
sowohl wie Genießen naturgemäß auch immer<lb/>
von Sittlichkeit getragen sein wird. Sittlich<lb/>
in diesem höchsten Sinne müsse daher jede<lb/>
Kunst genannt werden, die, ohne an eine<lb/>
bestimmte sittliche Auffassung gebunden zu<lb/>
sein, ihren Ursprung dem Schaffen einer von<lb/>
sittlichen: Streben beseelten Persönlichkeit ver¬<lb/>
dankt. Solch ein Künstler würde naturgemäß<lb/>
seinen Schöpfungen einen Inhalt &#x201E;von Be¬<lb/>
deutung" zugrunde legen und nicht, wie es<lb/>
jetzt so vielfach geschieht, sich in der Dar¬<lb/>
stellung Pikanter oder verletzender Motive<lb/>
gefallen.</p>
              <p xml:id="ID_2749" next="#ID_2750"> Wenn alle diese Ausführungen Volkelts<lb/>
überzeugend wirken, so lange es sich um<lb/>
grundsätzliche Fragen handelt, die verstandes¬<lb/>
mäßig erfaßt, zergliedert oder in ihrer be¬<lb/>
grifflichen Bedeutung genau umgrenzt werden</p>
              <cb/><lb/>
              <p xml:id="ID_2750" prev="#ID_2749"> sollen, so sagt er doch mancherlei, dein man<lb/>
nicht unbedingt zustimmen kann, wo es sich<lb/>
um Beispiele handelt, welche die vom Kunst¬<lb/>
werke ausgehende Wirkung erläutern sollen.<lb/>
Er verlangt z. B., daß dus Kunstwerk einen<lb/>
&#x201E;bedeutungsvollen, einen charakteristisch mensch¬<lb/>
lichen" Inhalt haben müsse, sieht in der<lb/>
Vernachlässigung der Historienmalerei in<lb/>
unserer Zeit den Beweis für eine gewaltige<lb/>
Verarmung ein Geist, Gedanken und Lebens¬<lb/>
anschauung, und in Werken solch ernster<lb/>
Künstler wie Oskar Zwintscher eine Herab¬<lb/>
ziehung der Kunst ins Unzüchtige und Scham¬<lb/>
lose. Damit läuft er Gefahr, daß seine<lb/>
früheren Ausführungen von vielen falsch und<lb/>
gar nicht in seinem Sinne ausgelegt werden<lb/>
könnten. Denn muß es nicht scheinen, mis ob<lb/>
Volkert die glücklich überwundene Genre- und<lb/>
Historienmalerei zurückwünsche, die Zeit des<lb/>
Schemas und hohlen Pathos? Was in jener<lb/>
Zeit unkünstlerischen Angedenkens etwa an<lb/>
Geist und Gedanken in Werken der bildenden<lb/>
Kunst zutage trat, war zu neun Zehnteln<lb/>
nicht rein künstlerischen Ursprungs, sondern<lb/>
verdankte seine Entstehung literarischer oder<lb/>
historischer Anregung und entsprach, da es<lb/>
häufig pädagogischen oder Patriotischen Zwecken<lb/>
dienen sollte, durchaus nicht der Forderung<lb/>
Volkelts einer &#x201E;willenlosen Beschaulichkeit".<lb/>
Dieser kommt aber die von Volkelt gering<lb/>
geachtete Landschaftsmalerei in hohem Grade<lb/>
nach. Seit uns die Augen darüber geöffnet<lb/>
sind, daß der künstlerische Gehalt eines Ge¬<lb/>
mäldes durch den &#x201E;bedeutenden" Inhalt leicht<lb/>
erdrückt werden kann, erscheint es ganz ver¬<lb/>
ständlich, daß die modernen Maler sich wieder<lb/>
mehr der Landschaft zugewandt haben, die<lb/>
doch auch sittenbildnerisch wegen ihrer Wirkung<lb/>
auf unser Gemüt nicht unterschätzt werden<lb/>
darf. Volkelt sagt ferner: &#x201E;Wenn irgendwo<lb/>
ein Kunstwerk sittlich beleidigt, so ist dies<lb/>
zugleich eine Versündigung gegen ästhetische<lb/>
Normen", doch muß sehr bezweifelt werden,<lb/>
ob sich diese Frage so einfach entscheiden läßt.<lb/>
Mit einem so vagen Maßstab können wir<lb/>
nichts anfangen.</p>
              <p xml:id="ID_2751" next="#ID_2752"> Auch ob ein bestimmtes Kunstwerk aus<lb/>
&#x201E;großem, ernstem Sinne" geschaffen ist, wird<lb/>
sich nur selten unzweifelhaft feststellen lassen.<lb/>
Denn so recht Volkelt mit dem Grundsatz hat,<lb/>
daß ein wirkliches Kunstwerk nicht in &#x201E;fühl-</p>
              <cb type="end"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0576] Maßgebliches und Unmaßgebliches Moral und über die Bedeutung beider für den modernen Menschen. Der erste Abschnitt behandelt das heiß umstrittene Thema „Kunst und Moral". Die Umwertung der bisherigen Lebensideale, die sich hauptsächlich unter dein Einfluß Nietzsches vollzogen hat, prägt sich in der Kunst sowohl inhaltlich in der Verherrlichung deS Lebens um des Lebens willen, als auch technisch vor allem in dem Bestreben aus, sinnlich aufregend zu wirren. Während früher von der Kunst verlangt wurde, daß sie den Menschen veredeln solle — und auch heute gibt es noch viele, die das von ihr verlangen — leugnet eine große Anzahl Künstler und Kunstkritiker der Jetztzeit jeden Zusammenhang zwischen Kunst und Moral. Volkelt weist die Forderung der strengen Sittenrichter, daß die Kunst den Vorschriften eines ein für allemal feststehenden Moralkodex zu folgen habe, zurück. Ebenso energisch wendet er sich aber auch gegen die moderne Anschauung, die jeden Zusammen¬ hang zwischen Kunst und Moral leugnet. Das Sittliche sei vielmehr als lebendiges Element der Kulturentwicklung in stetem Wandel begriffen, und die Kunst könne und dürfe sich nicht von dem übrigen geistigen Leben und Ringen der Menschheit abschließen, müsse also auch in stetem Zusammenhang mit den sittlichen Idealen ihrer Zeit bleiben. Dieser Zusammenhang ist nach Volkelt überall vorhanden, wo künstlerischer Drang schaffend einsetzt, da das rein künstlerische Schaffen sowohl wie Genießen naturgemäß auch immer von Sittlichkeit getragen sein wird. Sittlich in diesem höchsten Sinne müsse daher jede Kunst genannt werden, die, ohne an eine bestimmte sittliche Auffassung gebunden zu sein, ihren Ursprung dem Schaffen einer von sittlichen: Streben beseelten Persönlichkeit ver¬ dankt. Solch ein Künstler würde naturgemäß seinen Schöpfungen einen Inhalt „von Be¬ deutung" zugrunde legen und nicht, wie es jetzt so vielfach geschieht, sich in der Dar¬ stellung Pikanter oder verletzender Motive gefallen. Wenn alle diese Ausführungen Volkelts überzeugend wirken, so lange es sich um grundsätzliche Fragen handelt, die verstandes¬ mäßig erfaßt, zergliedert oder in ihrer be¬ grifflichen Bedeutung genau umgrenzt werden sollen, so sagt er doch mancherlei, dein man nicht unbedingt zustimmen kann, wo es sich um Beispiele handelt, welche die vom Kunst¬ werke ausgehende Wirkung erläutern sollen. Er verlangt z. B., daß dus Kunstwerk einen „bedeutungsvollen, einen charakteristisch mensch¬ lichen" Inhalt haben müsse, sieht in der Vernachlässigung der Historienmalerei in unserer Zeit den Beweis für eine gewaltige Verarmung ein Geist, Gedanken und Lebens¬ anschauung, und in Werken solch ernster Künstler wie Oskar Zwintscher eine Herab¬ ziehung der Kunst ins Unzüchtige und Scham¬ lose. Damit läuft er Gefahr, daß seine früheren Ausführungen von vielen falsch und gar nicht in seinem Sinne ausgelegt werden könnten. Denn muß es nicht scheinen, mis ob Volkert die glücklich überwundene Genre- und Historienmalerei zurückwünsche, die Zeit des Schemas und hohlen Pathos? Was in jener Zeit unkünstlerischen Angedenkens etwa an Geist und Gedanken in Werken der bildenden Kunst zutage trat, war zu neun Zehnteln nicht rein künstlerischen Ursprungs, sondern verdankte seine Entstehung literarischer oder historischer Anregung und entsprach, da es häufig pädagogischen oder Patriotischen Zwecken dienen sollte, durchaus nicht der Forderung Volkelts einer „willenlosen Beschaulichkeit". Dieser kommt aber die von Volkelt gering geachtete Landschaftsmalerei in hohem Grade nach. Seit uns die Augen darüber geöffnet sind, daß der künstlerische Gehalt eines Ge¬ mäldes durch den „bedeutenden" Inhalt leicht erdrückt werden kann, erscheint es ganz ver¬ ständlich, daß die modernen Maler sich wieder mehr der Landschaft zugewandt haben, die doch auch sittenbildnerisch wegen ihrer Wirkung auf unser Gemüt nicht unterschätzt werden darf. Volkelt sagt ferner: „Wenn irgendwo ein Kunstwerk sittlich beleidigt, so ist dies zugleich eine Versündigung gegen ästhetische Normen", doch muß sehr bezweifelt werden, ob sich diese Frage so einfach entscheiden läßt. Mit einem so vagen Maßstab können wir nichts anfangen. Auch ob ein bestimmtes Kunstwerk aus „großem, ernstem Sinne" geschaffen ist, wird sich nur selten unzweifelhaft feststellen lassen. Denn so recht Volkelt mit dem Grundsatz hat, daß ein wirkliches Kunstwerk nicht in „fühl-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/576
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/576>, abgerufen am 29.12.2024.