Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Reichsspicgel Kopflosigkeit Herr zu werden, so werden sich diese Schäden überwinden lassen. Die politischen Verhältnisse in Verbindung mit dem Heranrücken des Herbst¬ Reichsspicgel Kopflosigkeit Herr zu werden, so werden sich diese Schäden überwinden lassen. Die politischen Verhältnisse in Verbindung mit dem Heranrücken des Herbst¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319489"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspicgel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2560" prev="#ID_2559"> Kopflosigkeit Herr zu werden, so werden sich diese Schäden überwinden lassen.<lb/> Denn, um es noch einmal zu wiederholen, die allgemeine Wirtschaftslage ist eine<lb/> gesunde und gibt an sich keinen Anlaß zu Befürchtungen. Aber es ist hohe Zeit,<lb/> nunmehr den Mut der Kaltblütigkeit wiederzufinden. Der Marokkohandel wird,<lb/> woran kein Einsichtiger zweifeln kann, einen friedlichen und verständigen Aus-<lb/> gang nehmen; sollte es da nicht möglich sein, so viel Besonnenheit zu bewahren,<lb/> als notwendig ist. um ein wirtschaftliches Debacle zu vermeiden? Wir dürfen<lb/> dieser unsinnigen Kriegsfurcht keinen Einfluß auf unsere Handlungen einräumen!<lb/> wir erwecken damit nicht nur im Auslande ein vollständig falsches Bild über<lb/> unsere wirtschaftlichen Zustände und unsere finanzielle Widerstandskraft — wie<lb/> schon aus den Äußerungen französischer Blätter zu entnehmen ist —, sondern wir<lb/> verschlechtern auch unsere Position bei den Verhandlungen und beschwören gerade<lb/> die Gefahr herauf, die wir vermieden wissen wollen. Also Ruhe und nochmals<lb/> Ruhe in der Auffassung wie im Handeln!</p><lb/> <p xml:id="ID_2561" next="#ID_2562"> Die politischen Verhältnisse in Verbindung mit dem Heranrücken des Herbst¬<lb/> termins beginnen ihre Schatten über den Geldmarkt zu werfen. Der Privatdiskont<lb/> ist Stufe um Stufe gestiegen, bis er in dieser Woche die volle Höhe des Bank¬<lb/> diskonts erreicht hat. Das ist ein seltenes Vorkommnis und augenblicklich dadurch um<lb/> so auffälliger, als im übrigen die Geldsätze nicht teuer sind. Tägliches Geld ist<lb/> zu 2Vü Prozent erhältlich. Beide Erscheinungen erklären sich daraus, daß die<lb/> Geldgeber, vorab die Banken, ihre baren Mittel aufsparen, um auf den kommenden<lb/> Quartalstermin gerüstet zu sein. Und wie die Banken, so disponieren auch die<lb/> Sparkassen, welche durch die verschiedenen Ansturme auf Schwesterinstitute zur<lb/> Vorsicht gemahnt sind, die Hypothekenbanken und die Versicherungsgesellschaften.<lb/> Es fehlen also Käufer für langfristige Wechsel. Dagegen suchen die Geldgeber ihre<lb/> flüssigen Mittel kurzfristig unterzubringen und bewirken daher auf der einen<lb/> Seite ein Steigen des Privatdiskonts und auf der anderen ein Fallen der<lb/> Sätze für kurzfristige Ausleihungen. Der hohe Stand des Privatdiskonts<lb/> hat nun zur Folge, daß das Wechselmaterial der Reichsbank zuströmt.<lb/> Das Wechselportefeuille derselben hat daher in der ersten Septemberwoche eine<lb/> Zunahme von 27 Millionen erfahren, während es im Vorjahr um ungefähr den<lb/> gleichen Betrag abgenommen hatte. Dieser Ablenkung der Diskontansprüche auf<lb/> seine Kasse kann das Institut nicht lange zusehen, wenn auch seine Position einst¬<lb/> weilen noch eine starke ist. Es verfügt über einen Metallbestand von 1146 Millionen<lb/> Mark, der um etwa 120 Millionen größer ist als zur Zeit des Vorjahrs, und eine<lb/> steuerfreie Notenreserve von 151 Millionen. Aber der Quartalswechsel mit seinen<lb/> Ansprüchen steht vor der Tür, und sind diese schon immer außerordentlich große,<lb/> so werden sie in diesem Jahr bei der Verteuerung der landwirtschaftlichen Produkte<lb/> und bei den vermehrten Kreditansprüchen der Landwirtschaft voraussichtlich noch<lb/> höher ausfallen. Wahrscheinlich hätte auch die Reichsbank, obwohl ihr Status<lb/> augenblicklich noch keine Diskonterhöhung erfordert, in Erwartung der kommenden<lb/> Ansprüche die Diskontschraube schon angezogen, wenn sie nicht, ihrer alten Gepflogen¬<lb/> heit getreu, gerade in kritischen Zeiten eine ruhige Diskontpolitik zu verfolgen, es<lb/> offenbar abwarten wollte, wie die Bank von England disponiert. In England<lb/> sind die Verhältnisse des Geldmarktes den hiesigen nicht unähnlich. Auch dort hat<lb/> der Privatdiskont die volle Höhe des Bankdiskonts erreicht, der allerdings um ein</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0542]
Reichsspicgel
Kopflosigkeit Herr zu werden, so werden sich diese Schäden überwinden lassen.
Denn, um es noch einmal zu wiederholen, die allgemeine Wirtschaftslage ist eine
gesunde und gibt an sich keinen Anlaß zu Befürchtungen. Aber es ist hohe Zeit,
nunmehr den Mut der Kaltblütigkeit wiederzufinden. Der Marokkohandel wird,
woran kein Einsichtiger zweifeln kann, einen friedlichen und verständigen Aus-
gang nehmen; sollte es da nicht möglich sein, so viel Besonnenheit zu bewahren,
als notwendig ist. um ein wirtschaftliches Debacle zu vermeiden? Wir dürfen
dieser unsinnigen Kriegsfurcht keinen Einfluß auf unsere Handlungen einräumen!
wir erwecken damit nicht nur im Auslande ein vollständig falsches Bild über
unsere wirtschaftlichen Zustände und unsere finanzielle Widerstandskraft — wie
schon aus den Äußerungen französischer Blätter zu entnehmen ist —, sondern wir
verschlechtern auch unsere Position bei den Verhandlungen und beschwören gerade
die Gefahr herauf, die wir vermieden wissen wollen. Also Ruhe und nochmals
Ruhe in der Auffassung wie im Handeln!
Die politischen Verhältnisse in Verbindung mit dem Heranrücken des Herbst¬
termins beginnen ihre Schatten über den Geldmarkt zu werfen. Der Privatdiskont
ist Stufe um Stufe gestiegen, bis er in dieser Woche die volle Höhe des Bank¬
diskonts erreicht hat. Das ist ein seltenes Vorkommnis und augenblicklich dadurch um
so auffälliger, als im übrigen die Geldsätze nicht teuer sind. Tägliches Geld ist
zu 2Vü Prozent erhältlich. Beide Erscheinungen erklären sich daraus, daß die
Geldgeber, vorab die Banken, ihre baren Mittel aufsparen, um auf den kommenden
Quartalstermin gerüstet zu sein. Und wie die Banken, so disponieren auch die
Sparkassen, welche durch die verschiedenen Ansturme auf Schwesterinstitute zur
Vorsicht gemahnt sind, die Hypothekenbanken und die Versicherungsgesellschaften.
Es fehlen also Käufer für langfristige Wechsel. Dagegen suchen die Geldgeber ihre
flüssigen Mittel kurzfristig unterzubringen und bewirken daher auf der einen
Seite ein Steigen des Privatdiskonts und auf der anderen ein Fallen der
Sätze für kurzfristige Ausleihungen. Der hohe Stand des Privatdiskonts
hat nun zur Folge, daß das Wechselmaterial der Reichsbank zuströmt.
Das Wechselportefeuille derselben hat daher in der ersten Septemberwoche eine
Zunahme von 27 Millionen erfahren, während es im Vorjahr um ungefähr den
gleichen Betrag abgenommen hatte. Dieser Ablenkung der Diskontansprüche auf
seine Kasse kann das Institut nicht lange zusehen, wenn auch seine Position einst¬
weilen noch eine starke ist. Es verfügt über einen Metallbestand von 1146 Millionen
Mark, der um etwa 120 Millionen größer ist als zur Zeit des Vorjahrs, und eine
steuerfreie Notenreserve von 151 Millionen. Aber der Quartalswechsel mit seinen
Ansprüchen steht vor der Tür, und sind diese schon immer außerordentlich große,
so werden sie in diesem Jahr bei der Verteuerung der landwirtschaftlichen Produkte
und bei den vermehrten Kreditansprüchen der Landwirtschaft voraussichtlich noch
höher ausfallen. Wahrscheinlich hätte auch die Reichsbank, obwohl ihr Status
augenblicklich noch keine Diskonterhöhung erfordert, in Erwartung der kommenden
Ansprüche die Diskontschraube schon angezogen, wenn sie nicht, ihrer alten Gepflogen¬
heit getreu, gerade in kritischen Zeiten eine ruhige Diskontpolitik zu verfolgen, es
offenbar abwarten wollte, wie die Bank von England disponiert. In England
sind die Verhältnisse des Geldmarktes den hiesigen nicht unähnlich. Auch dort hat
der Privatdiskont die volle Höhe des Bankdiskonts erreicht, der allerdings um ein
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