Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Das Glück des Hauses Rottland dessen Gattin nach kinderloser Ehe schon im Jahre 1664 gestorben war, zwei alte Die beiden alten Damen waren Antonetta, die Witwe des Herrn Franz Kaspar Schwester Felizitas war in früher Jugend in das Augustinerinnenkloster Recht mitten zwischen den Schwestern stand der Freiherr. Er dachte weder An einem sonnigen Aprilmorgen saß der alte Herr, wie es seine Gewohnheit Das Glück des Hauses Rottland dessen Gattin nach kinderloser Ehe schon im Jahre 1664 gestorben war, zwei alte Die beiden alten Damen waren Antonetta, die Witwe des Herrn Franz Kaspar Schwester Felizitas war in früher Jugend in das Augustinerinnenkloster Recht mitten zwischen den Schwestern stand der Freiherr. Er dachte weder An einem sonnigen Aprilmorgen saß der alte Herr, wie es seine Gewohnheit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319467"/> <fw type="header" place="top"> Das Glück des Hauses Rottland</fw><lb/> <p xml:id="ID_2449" prev="#ID_2448"> dessen Gattin nach kinderloser Ehe schon im Jahre 1664 gestorben war, zwei alte<lb/> Schwestern ins Haus gelegt, die die glückliche Gabe hatten, immer wieder zu ver¬<lb/> gessen, daß die Rottländer goldene Zeit dahin war, und daß man die bescheidenen<lb/> Räume des Renthauses, eines von den Holländern zufälligerweise verschonten Neben¬<lb/> gebäudes, nur deshalb so ungestört bewohnen konnte, weil es auf dem Gute<lb/> schon längst keine Renten mehr zu verwalten und daher auch keinen Rentmeister<lb/> mehr gab.</p><lb/> <p xml:id="ID_2450"> Die beiden alten Damen waren Antonetta, die Witwe des Herrn Franz Kaspar<lb/> v. Ödinghoven, Pfalz-Neuenburgischen Kämmerers, Obersten eines Regiments zu Fuß<lb/> und Gubernators von Jülich, und Felizitas, die Priorin des Klosters Marienstern.<lb/> Die Gubernatoriu — so ließ sich Frau v. Ödinghoven am liebsten nennen —<lb/> zehrte in ihrem Asyl von den Erinnerungen an die glänzende Rolle, die sie in der<lb/> großen Welt gespielt und die sie dank der anspruchsvollen Lebensführung ihres<lb/> Gatten mit ihrem ganzen, wenn auch nicht allzu bedeutenden Vermögen teuer genug<lb/> bezahlt hatte. Ihre Domäne war also die Vergangenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2451"> Schwester Felizitas war in früher Jugend in das Augustinerinnenkloster<lb/> Stella Mariae eingetreten und hatte schon sieben Jahre das Amt einer Priorin<lb/> bekleidet, als bei dem Tode der Äbtissin die Wahl der Nonnen nicht, wie sie erwartet<lb/> hatte, auf sie, sondern auf eine Bürgerliche gefallen war. Das hatte sie bitter<lb/> gekränkt, und als bald darauf die neue Domina mit dem ganzen Konvent zuni<lb/> Prämonstratenserorden übergetreten war, hatte sie als die einzige sich geweigert,<lb/> das schwarze Ordenshabit mit dem weißen zu vertauschen. Seitdem lebte sie bei<lb/> ihrem Bruder, gab ihm von Zeit zu Zeit zu verstehen, wie dankbar er ihr sein<lb/> müsse, daß sie ihm Gelegenheit biete, sich durch ihren Unterhalt die Gunst des<lb/> Himmels zu erwerben, hoffte im stillen, daß man sie eines Tages doch nach<lb/> Marienstern zurückholen und ihr die ihr gebührende Würde übertragen werde, und<lb/> freute sich im voraus der Belohnungen, die ihr das in diesem Leben erduldete<lb/> Martyrium dereinst in jenem eintragen mußte. Sie hielt es mithin mehr mit der<lb/> Zukunft.</p><lb/> <p xml:id="ID_2452"> Recht mitten zwischen den Schwestern stand der Freiherr. Er dachte weder<lb/> an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Jene war für ihn abgetan, und diese<lb/> erschien ihm, dem kinderlosen Manne, wenig verlockend. Er hatte gerade genug<lb/> zu tun, wenn er mit den beschränkten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen,<lb/> die Wirtschaft weiterführen und für sich und die beiden Damen den Lebensunterhalt<lb/> beschaffen wollte. Ihm gehörte trotz seiner zweiundsechzig Jahre die Gegenwart,<lb/> und ob er schon gezwungen war, in Haus und Hof, in Wald und Feld tüchtig<lb/> mit Hand anzulegen, so hatte er doch ein aufmerksames Ohr für die Fragen der<lb/> Zeit und liebte, unterrichteter als die Meistenseiner Standesgenossen, ein Gespräch<lb/> über wissenschaftliche Dinge und ganz besonders über die Merkwürdigkeiten der<lb/> Natur, der er einen offenen Sinn und ein scharfes Auge entgegenbrachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2453" next="#ID_2454"> An einem sonnigen Aprilmorgen saß der alte Herr, wie es seine Gewohnheit<lb/> war, in der Gesindestube und löffelte gemeinsam mit dem treuen Gerhard, der<lb/> Knecht, Vogt, Jäger und Kutscher in einer Person war, aus der irdenen Schüssel<lb/> die Frühstückssuppe. Er trug einen verwetterten Leibrock von unbestimmbarer<lb/> Farbe, den er der Bequemlichkeit halber eigenhändig mit der Schere gekürzt hatte,<lb/> auf dem Kopfe einen grauen Schlapphut mit dem letzten Reste einer Straußfeder</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0520]
Das Glück des Hauses Rottland
dessen Gattin nach kinderloser Ehe schon im Jahre 1664 gestorben war, zwei alte
Schwestern ins Haus gelegt, die die glückliche Gabe hatten, immer wieder zu ver¬
gessen, daß die Rottländer goldene Zeit dahin war, und daß man die bescheidenen
Räume des Renthauses, eines von den Holländern zufälligerweise verschonten Neben¬
gebäudes, nur deshalb so ungestört bewohnen konnte, weil es auf dem Gute
schon längst keine Renten mehr zu verwalten und daher auch keinen Rentmeister
mehr gab.
Die beiden alten Damen waren Antonetta, die Witwe des Herrn Franz Kaspar
v. Ödinghoven, Pfalz-Neuenburgischen Kämmerers, Obersten eines Regiments zu Fuß
und Gubernators von Jülich, und Felizitas, die Priorin des Klosters Marienstern.
Die Gubernatoriu — so ließ sich Frau v. Ödinghoven am liebsten nennen —
zehrte in ihrem Asyl von den Erinnerungen an die glänzende Rolle, die sie in der
großen Welt gespielt und die sie dank der anspruchsvollen Lebensführung ihres
Gatten mit ihrem ganzen, wenn auch nicht allzu bedeutenden Vermögen teuer genug
bezahlt hatte. Ihre Domäne war also die Vergangenheit.
Schwester Felizitas war in früher Jugend in das Augustinerinnenkloster
Stella Mariae eingetreten und hatte schon sieben Jahre das Amt einer Priorin
bekleidet, als bei dem Tode der Äbtissin die Wahl der Nonnen nicht, wie sie erwartet
hatte, auf sie, sondern auf eine Bürgerliche gefallen war. Das hatte sie bitter
gekränkt, und als bald darauf die neue Domina mit dem ganzen Konvent zuni
Prämonstratenserorden übergetreten war, hatte sie als die einzige sich geweigert,
das schwarze Ordenshabit mit dem weißen zu vertauschen. Seitdem lebte sie bei
ihrem Bruder, gab ihm von Zeit zu Zeit zu verstehen, wie dankbar er ihr sein
müsse, daß sie ihm Gelegenheit biete, sich durch ihren Unterhalt die Gunst des
Himmels zu erwerben, hoffte im stillen, daß man sie eines Tages doch nach
Marienstern zurückholen und ihr die ihr gebührende Würde übertragen werde, und
freute sich im voraus der Belohnungen, die ihr das in diesem Leben erduldete
Martyrium dereinst in jenem eintragen mußte. Sie hielt es mithin mehr mit der
Zukunft.
Recht mitten zwischen den Schwestern stand der Freiherr. Er dachte weder
an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Jene war für ihn abgetan, und diese
erschien ihm, dem kinderlosen Manne, wenig verlockend. Er hatte gerade genug
zu tun, wenn er mit den beschränkten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen,
die Wirtschaft weiterführen und für sich und die beiden Damen den Lebensunterhalt
beschaffen wollte. Ihm gehörte trotz seiner zweiundsechzig Jahre die Gegenwart,
und ob er schon gezwungen war, in Haus und Hof, in Wald und Feld tüchtig
mit Hand anzulegen, so hatte er doch ein aufmerksames Ohr für die Fragen der
Zeit und liebte, unterrichteter als die Meistenseiner Standesgenossen, ein Gespräch
über wissenschaftliche Dinge und ganz besonders über die Merkwürdigkeiten der
Natur, der er einen offenen Sinn und ein scharfes Auge entgegenbrachte.
An einem sonnigen Aprilmorgen saß der alte Herr, wie es seine Gewohnheit
war, in der Gesindestube und löffelte gemeinsam mit dem treuen Gerhard, der
Knecht, Vogt, Jäger und Kutscher in einer Person war, aus der irdenen Schüssel
die Frühstückssuppe. Er trug einen verwetterten Leibrock von unbestimmbarer
Farbe, den er der Bequemlichkeit halber eigenhändig mit der Schere gekürzt hatte,
auf dem Kopfe einen grauen Schlapphut mit dem letzten Reste einer Straußfeder
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |