Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Leute sind zum großen Teil Politisch Polen, schreibung aller stattfindenden Prozessionen, Einen gefährlichen Feind würde ein solches Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Leute sind zum großen Teil Politisch Polen, schreibung aller stattfindenden Prozessionen, Einen gefährlichen Feind würde ein solches <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319001"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_771" prev="#ID_770" next="#ID_772"> Leute sind zum großen Teil Politisch Polen,<lb/> weil sie polnische Blätter lesen, nicht etwa<lb/> lesen sie umgekehrt Polnische Zeitungen, weil<lb/> sie politisch Polen sind. Das; gegenwärtig<lb/> und noch auf Jahrzehnte hinaus ein großer<lb/> Teil der Industriearbeiter, der Landbevölke¬<lb/> rung und auch des Mittelstandes lieber polnisch<lb/> als deutsch liest, damit muß man sich ab¬<lb/> finden, und es ist dies eine Tatsache, die selbst<lb/> bei dem, der sich deutsch verständigen kann,<lb/> leicht erklärlich und Wohl auch berechtigt, zum<lb/> mindesten aber verzeihlich ist. Da diese<lb/> Leute Blätter, die polnisch geschrieben sind,<lb/> in nationaler Hinsicht aber deutsch oder doch<lb/> wenigstens unparteiisch sind, nicht zu lesen<lb/> bekommen, so lesen sie eben Polnische Hetz¬<lb/> blätter, Noch aber ist es Zeit, dem Wirken<lb/> dieser Presse entgegenzutreten. Noch gilt es<lb/> in weiten Kreisen der polnischen Bevölkerung<lb/> als Schande und als ein ungern eingestan-<lb/> denerBildungsmangel, nichtDeutsch zu können.<lb/> Noch hat bei ihnen das Wort „Du bist ja<lb/> Polnisch" denselben Sinn, den man in Berlin<lb/> mit den Worten „Sie nnjebildeter Mensch"<lb/> verbindet. Ich erinnere mich einer Gerichts¬<lb/> verhandlung über eine Prügelei, Den Urias;<lb/> dazu hatte eine etwas heftige politische Aus¬<lb/> einandersetzung gegeben, in deren Verlaufe<lb/> der eine zum andern in seinem gebrochenen<lb/> overschlesischen Dialekt gesagt hatte: „Das<lb/> sage ich dir, wenn der Bismarck nicht gewesen<lb/> wäre, dann wären wir alle Polen, dann<lb/> Hütten wir keine Schulen und könnten nicht<lb/> lesen und schreiben," So verworren die Ge¬<lb/> schichtsauffassung dieses Braven auch sein mag,<lb/> so erfreulich ist doch die daraus sprechende<lb/> Überzeugung davon, was dieses Volk dem<lb/> preußischen Staate verdankt, und jeder Kenner<lb/> der Verhältnisse wird bestätigen, daß solche<lb/> Gesinnung keineswegs vereinzelt ist. Nun,<lb/> so mache man aus der Not eine Tugend,<lb/> Da diese Leute eine deutsch geschriebene<lb/> Zeitung nicht lesen wollen, vielfach gar nicht<lb/> lesen können, so gebe man ihnen eine deutsche<lb/> Zeitung inpolnischerSprache, etwas billiger als<lb/> die polnischen Blätter, ausgestattet im Sinne<lb/> einer parteilosen Zeitung mit recht vielen<lb/> „interessanten" Nachrichten, eingehender Be¬</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_772" prev="#ID_771"> schreibung aller stattfindenden Prozessionen,<lb/> KnaPPschafts-,Kriegervereinsfesteusw.,tvomög-<lb/> lichnnt Abbildungen. Dazumüßtengelegentlich<lb/> in unaufdringlicher Weise Notizen kommen, die<lb/> geeignet sind, das Deutschbewußtsein des Lesers<lb/> zu stärken, Hinweise auf Galizien, wo das<lb/> Polentumherrscht, und Vergleiche mitten, waS<lb/> dem polnischen Volke in Deutschland geboten<lb/> wird. Wenn auch der Erfolg nicht augen¬<lb/> blicklich sichtbar sein wird, so wird er doch<lb/> nicht ausbleiben. Und wenn es auch vielleicht<lb/> nicht gelingen sollte, solche, die schon dem<lb/> Polentum verfallen sind, dadurch zu Deutschen<lb/> zu machen, so würde es doch wenigstens so<lb/> manchen, der heut noch deutsch denkt oder sich<lb/> überhaupt keine Gedanken über diese Dinge<lb/> macht, abhalten, ins polnische Lager überzu¬<lb/> gehen. Diese Zeitung dürfte imstande sein, den<lb/> polnischen Zeitungen einen erheblichenTeil ihres<lb/> Leserkreises zu entfremden, eines Leserkreises,<lb/> der — man denke z, B, um die vielen nur<lb/> gebrochen deutsch sprechenden, aber gut deutsch<lb/> gesinnten Mitglieder der Kriegervereine —<lb/> ja nur eine in seiner Muttersprache geschriebene<lb/> Zeitung sucht, nicht aber die großpolnischen<lb/> Hetzereien, die ihm in der nationalpolnischen<lb/> Presse nur aufgedrängt werden und die hier<lb/> überhaupt nicht bodenständig, sondern in ein<lb/> friedliches Volk hineingetragen worden sind<lb/> von einer Anzahl von Posener Herren, die<lb/> niemand um ihr Erscheinen gebeten hatte.<lb/> Er wird eine Zeitung, die ihm in Polnischer<lb/> Sprache Deutschtum in maßvoller Form bringt<lb/> und die sonst sein Interesse erweckt, lieber<lb/> lesen als die Polnische Hetzpresse.</p> <p xml:id="ID_773"> Einen gefährlichen Feind würde ein solches<lb/> Blatt allerdings finden, nämlich die polnischen<lb/> Priester. Vielleicht ließe sich diese Gefahr<lb/> mildern, wenn sich deutsch empfindende, vom<lb/> Zentrum unabhängige Katholiken der Sache<lb/> annähmen, ein schönes Feld der Betätigung<lb/> für gewisse Organisationen. Ob der ganze<lb/> Gedanke zeitungstechnisch und finanziell durch¬<lb/> führbar ist, wage ich nicht zu entscheiden und<lb/> kann ich nicht entscheiden. Freilich müßte, wenn<lb/> überhaupt, dann bald etwas geschehen, denn<lb/> in Oberschlesien ist jeder Tag kostbar, zumal<lb/> i<note type="byline"> R—r</note> n den gegenwärtigen Zeitläuften. </p> <cb type="end"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Leute sind zum großen Teil Politisch Polen,
weil sie polnische Blätter lesen, nicht etwa
lesen sie umgekehrt Polnische Zeitungen, weil
sie politisch Polen sind. Das; gegenwärtig
und noch auf Jahrzehnte hinaus ein großer
Teil der Industriearbeiter, der Landbevölke¬
rung und auch des Mittelstandes lieber polnisch
als deutsch liest, damit muß man sich ab¬
finden, und es ist dies eine Tatsache, die selbst
bei dem, der sich deutsch verständigen kann,
leicht erklärlich und Wohl auch berechtigt, zum
mindesten aber verzeihlich ist. Da diese
Leute Blätter, die polnisch geschrieben sind,
in nationaler Hinsicht aber deutsch oder doch
wenigstens unparteiisch sind, nicht zu lesen
bekommen, so lesen sie eben Polnische Hetz¬
blätter, Noch aber ist es Zeit, dem Wirken
dieser Presse entgegenzutreten. Noch gilt es
in weiten Kreisen der polnischen Bevölkerung
als Schande und als ein ungern eingestan-
denerBildungsmangel, nichtDeutsch zu können.
Noch hat bei ihnen das Wort „Du bist ja
Polnisch" denselben Sinn, den man in Berlin
mit den Worten „Sie nnjebildeter Mensch"
verbindet. Ich erinnere mich einer Gerichts¬
verhandlung über eine Prügelei, Den Urias;
dazu hatte eine etwas heftige politische Aus¬
einandersetzung gegeben, in deren Verlaufe
der eine zum andern in seinem gebrochenen
overschlesischen Dialekt gesagt hatte: „Das
sage ich dir, wenn der Bismarck nicht gewesen
wäre, dann wären wir alle Polen, dann
Hütten wir keine Schulen und könnten nicht
lesen und schreiben," So verworren die Ge¬
schichtsauffassung dieses Braven auch sein mag,
so erfreulich ist doch die daraus sprechende
Überzeugung davon, was dieses Volk dem
preußischen Staate verdankt, und jeder Kenner
der Verhältnisse wird bestätigen, daß solche
Gesinnung keineswegs vereinzelt ist. Nun,
so mache man aus der Not eine Tugend,
Da diese Leute eine deutsch geschriebene
Zeitung nicht lesen wollen, vielfach gar nicht
lesen können, so gebe man ihnen eine deutsche
Zeitung inpolnischerSprache, etwas billiger als
die polnischen Blätter, ausgestattet im Sinne
einer parteilosen Zeitung mit recht vielen
„interessanten" Nachrichten, eingehender Be¬
schreibung aller stattfindenden Prozessionen,
KnaPPschafts-,Kriegervereinsfesteusw.,tvomög-
lichnnt Abbildungen. Dazumüßtengelegentlich
in unaufdringlicher Weise Notizen kommen, die
geeignet sind, das Deutschbewußtsein des Lesers
zu stärken, Hinweise auf Galizien, wo das
Polentumherrscht, und Vergleiche mitten, waS
dem polnischen Volke in Deutschland geboten
wird. Wenn auch der Erfolg nicht augen¬
blicklich sichtbar sein wird, so wird er doch
nicht ausbleiben. Und wenn es auch vielleicht
nicht gelingen sollte, solche, die schon dem
Polentum verfallen sind, dadurch zu Deutschen
zu machen, so würde es doch wenigstens so
manchen, der heut noch deutsch denkt oder sich
überhaupt keine Gedanken über diese Dinge
macht, abhalten, ins polnische Lager überzu¬
gehen. Diese Zeitung dürfte imstande sein, den
polnischen Zeitungen einen erheblichenTeil ihres
Leserkreises zu entfremden, eines Leserkreises,
der — man denke z, B, um die vielen nur
gebrochen deutsch sprechenden, aber gut deutsch
gesinnten Mitglieder der Kriegervereine —
ja nur eine in seiner Muttersprache geschriebene
Zeitung sucht, nicht aber die großpolnischen
Hetzereien, die ihm in der nationalpolnischen
Presse nur aufgedrängt werden und die hier
überhaupt nicht bodenständig, sondern in ein
friedliches Volk hineingetragen worden sind
von einer Anzahl von Posener Herren, die
niemand um ihr Erscheinen gebeten hatte.
Er wird eine Zeitung, die ihm in Polnischer
Sprache Deutschtum in maßvoller Form bringt
und die sonst sein Interesse erweckt, lieber
lesen als die Polnische Hetzpresse.
Einen gefährlichen Feind würde ein solches
Blatt allerdings finden, nämlich die polnischen
Priester. Vielleicht ließe sich diese Gefahr
mildern, wenn sich deutsch empfindende, vom
Zentrum unabhängige Katholiken der Sache
annähmen, ein schönes Feld der Betätigung
für gewisse Organisationen. Ob der ganze
Gedanke zeitungstechnisch und finanziell durch¬
führbar ist, wage ich nicht zu entscheiden und
kann ich nicht entscheiden. Freilich müßte, wenn
überhaupt, dann bald etwas geschehen, denn
in Oberschlesien ist jeder Tag kostbar, zumal
i R—r n den gegenwärtigen Zeitläuften.
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