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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Kulturarbeit des privatversicherungswcsens

im Bereiche echter Volkswohlfahrt. Weit über den Rahmen einer Schablonen¬
haften Minimalfürsorge hinaus, wie sie die staatliche Zwangsversicherung dem
einzelnen aufnötigt, findet hier in hohem Maße eine zweckmäßig individuali¬
sierende Anpassung der Versicherungsfürsorge an die Verhältnisse der Beteiligten
statt. Vielfach geht der Familienvater, wenn es sich z. B. um die Sicherstellung
einer zahlreichen Familie und um die Sicherung einer, hohen Anforderungen
entsprechenden Kindererziehung handelt, bei der Erwerbung von Lebensversiche¬
rungen bis zur äußersten Höhe der Prämie, die er sich von seinem Einkommen
abzusparen vermag.

Wenn aber in diesem Sinne das Forschen und Wollen zahlloser Staats¬
bürger durch das Privatversicherungswesen angeregt, geschult und zur Tat
getrieben wird, so bedeutet dieser Erziehungseffekt, auch wenn er nicht mit
statistischen Formeln sich fassen und nicht in Mark und Pfennig sich beziffern
läßt, eine Wertproduktion, die dem Volksleben der Gegenwart und der Zukunft
in hohem Maße zugute kommt. Es trifft da jenes Urteil zu, das einmal in
Schmollers Jahrbüchern ausgesprochen worden ist: "Indem das Familienhaupt
eine Versicherung eingeht und dem Verfügungsrecht über seine Ersparnisse fast
vollständig entsagt, zeigt es eine Kraft der Aufopferung, die nur auf einer
hohen Stufe moralischer Kraft möglich ist. Mancherlei sind die Maßstäbe, mit
denen man die Kultur der Völker zu messen getrachtet hat; ich glaube kaum,
daß es einen zuverlässigeren gibt als die Lebensversicherungsstatistik. Die Zahl
und Höhe der Versicherungen, die größere oder geringere Zähigkeit, mit welcher
sie festgehalten werden, entscheiden mit großer Sicherheit über die moralische
Bildungsstufe, auf welcher das Volk steht."

Wesentlich beteiligt an dieser Erzeugung wertvoller sittlicher Triebkräfte ist
der seinen Provisionsverdienst suchende Agent, der durch seine mühsame päda¬
gogische Arbeit die Intelligenz und Entschließung der Versicherungspflichtigen in
Bewegung setzt und so unermüdlich für die Entwicklung des freien Fürsorge¬
willens sorgt. Das Agentenwesen als ein Organ mühsamer, aber fruchtbarer
Sozialpädagogik stiftet da -- was so vielfach verkannt wird -- mehr Nutzen
als so manche andere Berufstätigkeit, die bei dem oberflächlichen Urteil unserer
Zeitgenossen weit höher im Kurse steht. Es wäre sehr fraglich, ob dadurch
sozialer Segen gestiftet würde, wenn man die im Berufe des Versicherungs¬
agenten arbeitenden Mitbürger auf diesem Felde brodlos machen und sie in
andere Berufsbahnen hineinzwingen wollte.

Wenn wir alles das beachten, so bekommen wir eine wesentlich andere
Vorstellung von der sozialen Bedeutung des Privatversicherungswesens, als sie
so manchen mangelhaft unterrichteten Kritikern eigen ist, die keinen Blick für
die grundlegende Tatsache haben, daß schließlich Erziehungseffekte und Willens¬
werte bei der sozialen Einschätzung wirtschaftlicher Einrichtungen und Vorgänge
mit ihrem Zeugnis ebenso viel zu sagen haben als die Statistik über die
finanziellen Wirkungen des Versicherungswesens.


Die Kulturarbeit des privatversicherungswcsens

im Bereiche echter Volkswohlfahrt. Weit über den Rahmen einer Schablonen¬
haften Minimalfürsorge hinaus, wie sie die staatliche Zwangsversicherung dem
einzelnen aufnötigt, findet hier in hohem Maße eine zweckmäßig individuali¬
sierende Anpassung der Versicherungsfürsorge an die Verhältnisse der Beteiligten
statt. Vielfach geht der Familienvater, wenn es sich z. B. um die Sicherstellung
einer zahlreichen Familie und um die Sicherung einer, hohen Anforderungen
entsprechenden Kindererziehung handelt, bei der Erwerbung von Lebensversiche¬
rungen bis zur äußersten Höhe der Prämie, die er sich von seinem Einkommen
abzusparen vermag.

Wenn aber in diesem Sinne das Forschen und Wollen zahlloser Staats¬
bürger durch das Privatversicherungswesen angeregt, geschult und zur Tat
getrieben wird, so bedeutet dieser Erziehungseffekt, auch wenn er nicht mit
statistischen Formeln sich fassen und nicht in Mark und Pfennig sich beziffern
läßt, eine Wertproduktion, die dem Volksleben der Gegenwart und der Zukunft
in hohem Maße zugute kommt. Es trifft da jenes Urteil zu, das einmal in
Schmollers Jahrbüchern ausgesprochen worden ist: „Indem das Familienhaupt
eine Versicherung eingeht und dem Verfügungsrecht über seine Ersparnisse fast
vollständig entsagt, zeigt es eine Kraft der Aufopferung, die nur auf einer
hohen Stufe moralischer Kraft möglich ist. Mancherlei sind die Maßstäbe, mit
denen man die Kultur der Völker zu messen getrachtet hat; ich glaube kaum,
daß es einen zuverlässigeren gibt als die Lebensversicherungsstatistik. Die Zahl
und Höhe der Versicherungen, die größere oder geringere Zähigkeit, mit welcher
sie festgehalten werden, entscheiden mit großer Sicherheit über die moralische
Bildungsstufe, auf welcher das Volk steht."

Wesentlich beteiligt an dieser Erzeugung wertvoller sittlicher Triebkräfte ist
der seinen Provisionsverdienst suchende Agent, der durch seine mühsame päda¬
gogische Arbeit die Intelligenz und Entschließung der Versicherungspflichtigen in
Bewegung setzt und so unermüdlich für die Entwicklung des freien Fürsorge¬
willens sorgt. Das Agentenwesen als ein Organ mühsamer, aber fruchtbarer
Sozialpädagogik stiftet da — was so vielfach verkannt wird — mehr Nutzen
als so manche andere Berufstätigkeit, die bei dem oberflächlichen Urteil unserer
Zeitgenossen weit höher im Kurse steht. Es wäre sehr fraglich, ob dadurch
sozialer Segen gestiftet würde, wenn man die im Berufe des Versicherungs¬
agenten arbeitenden Mitbürger auf diesem Felde brodlos machen und sie in
andere Berufsbahnen hineinzwingen wollte.

Wenn wir alles das beachten, so bekommen wir eine wesentlich andere
Vorstellung von der sozialen Bedeutung des Privatversicherungswesens, als sie
so manchen mangelhaft unterrichteten Kritikern eigen ist, die keinen Blick für
die grundlegende Tatsache haben, daß schließlich Erziehungseffekte und Willens¬
werte bei der sozialen Einschätzung wirtschaftlicher Einrichtungen und Vorgänge
mit ihrem Zeugnis ebenso viel zu sagen haben als die Statistik über die
finanziellen Wirkungen des Versicherungswesens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/503>, abgerufen am 04.01.2025.