Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Aus Anselm Feuerbachs Briefen an seine Mutter Gerresheim, den 24. September 1846*). Liebste Eltern, nehmt mit diesem Auswurf meiner Idee vorlieb, wie erbärmlich Ich will Euch ein wenig beschreiben von dem, was ich eigentlich wollte, und ") Der Brief ist auf die Rückseite eines Aquarells geschrieben.
Aus Anselm Feuerbachs Briefen an seine Mutter Gerresheim, den 24. September 1846*). Liebste Eltern, nehmt mit diesem Auswurf meiner Idee vorlieb, wie erbärmlich Ich will Euch ein wenig beschreiben von dem, was ich eigentlich wollte, und ") Der Brief ist auf die Rückseite eines Aquarells geschrieben.
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Aus Anselm Feuerbachs Briefen an seine Mutter
Gerresheim, den 24. September 1846*).
Liebste Eltern, nehmt mit diesem Auswurf meiner Idee vorlieb, wie erbärmlich
ist doch diese Zeichnung gegen das Bild, das in meinem Innern lebt. Der Ge¬
danke ist mir peinlich, es nicht so machen zu können, wie ich will, ach, wäre
meine Idee verwirklicht, was sollte das nicht ein Bild sein, edel, schön, großartig,
aber so ist es eine kleine Zeichnung — ohne Feuer und Leben, mit erbärmlicher
Ausführung (der Auswurf meiner Idee); doch wer weiß, vielleicht kommt's noch
langsam dazu, wenn ich studiert und wenn ich Übung habe, denn ich kann ja jetzt
noch nichts, ich muß erst lernen. — Raffael träumte von seinen erhabenen, gött¬
lichen Bildern, Michelangelo, aber am anderen Tage stand es auch auf der Lein¬
wand, doch das waren ja große, in der Kunst erfahrene Meister, die Besten der
Maler; ich habe zwar nicht geträumt davon, sondern es lebt in meiner Idee
beständig fort, ein ausgeführtes Bild, ich sehe es vor Augen, ich sehe sich die
Figuren bewegen, deutlich, ich könnte es kopieren und kann es doch nicht. Es
ist leider kein Traumbild, das mich umgaukelt, es steht, lebt und webt immer in
mir, und doch ist es wieder Traum, denn es verfliegt mit Tücke, wenn ich es
wieder zeichnen will; doch was hilft es, wenn ich Euch, lieben Eltern, von meinem
Taumel benachrichtige, das beste, ich nehme Vernunft an und denke an das trockene
und doch so wahre Wort Schadows, der diese Komposition ruhig besah und sagte:
„Wählen Sie einfachere Gegenstände zum Komponieren, das ist viel zu viel, Sie
sind dem noch nicht gewachsen." — Und er hat nur zu recht; ich will ihm folgen,
will mich mit Gewalt bekämpfen, will, wenn die Gedanken wiederkommen, sie wie
Sünden niederdrücken, doch das innere Feuer wird fortglimmen und wird einmal
um so mehr zünden, aber auch Wärmen dabei. Liebe Mutter, das unsichtbare
Bild wird mich von ferne begleiten, wird vielleicht zeitenlang ganz vergessen sein,,
wird aber auch mit erneuter Gewalt hereinbrechen, wenn ich es herabbeschwöre. —
Doch was werdet Ihr von mir denken, liebe Eltern, wenn ich Euch so vorschwatze,
von Dingen, die Ihr vielleicht mißbilligt, Schwärmereien und dergleichen, denn
was bin ich denn, jetzt noch nichts en un mot, nichts, ich will demütig weiter
studieren und schaffen, daß ich weiter komme; diese Ferien sind mir solche Ideen
gekommen, bei tüchtiger Arbeit werde ich ruhig, heiter weiterschreiten, ohne Faselei. —
Es kommen eben bisweilen solche Gedanken, und es tut mir wohl, mich denen
ausschütten zu können, die mich lieben, verstehen und mit mir fühlen.
Ich will Euch ein wenig beschreiben von dem, was ich eigentlich wollte, und
mit etwas Einbildungskraft werdet Ihr vielleicht aus Wirrsal schlecht gezeichnete
Figuren, Pferde usw. herausfinden. — Es ist, wie Ihr wißt, die Schlacht in den
raudischen Feldern bei Verona. — Ich dachte mir einen unbestimmt trüben Himmel
ohne schweres Gewölk; ein Lichtstrahl, vielleicht vom Mond oder scheidender Sonne,
vermischt mit dem rotfalben Schein des eben aufsteigenden Feuers in der Wagen¬
burg, beleuchtet nicht zu grell die Hauptgruppe germanischer Helden, nicht große
Farbenpracht denke ich mir, sondern gedämpfte, bestimmte gräuliche Farben, die
brillant sind durch die starke Beleuchtung. — In der Mitte mit gelbrötlichem
Haar, um Brust und Leib knapp anliegendem Gewände, das untere flatternd, steht
die Heldin der Schlacht mit großem Schwerte, das sie dem jungen Krieger ent-
") Der Brief ist auf die Rückseite eines Aquarells geschrieben.
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