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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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"Organisation der volksbibliothcken

97347. Verlieben wurden 1905/06 231000, 1909/10 387000 Bände. In
der gleichen Zeit stieg die Zahl der Leser von 23000 auf 31000. Die Kosten
der Organisation, soweit sie aus staatlichen und provinziellen Mitteln flössen,
betrugen 1905/06 18000 Mark, 1909/10: 10500 Mark. An die Provinzial-
Wanderbibliothek angeschlossen ist die Zentralstelle für Volksunterhaltung, deren
Aufgabe es ist, "alles zur Einrichtung von Volksunterhaltungs-, Familien- und
Vereinsabenden dienende Material zu sammeln und den Leitern solcher Ver¬
anstaltungen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen".

Noch ehe ich von den Posener und oberschlesischen Organisationen genauere
Kenntnis hatte, reichte ich 1904 der Düsseldorfer Regierung eine Denkschrift
ein, in der ich einen Zusammenschluß der im hiesigen Bezirk vorhandenen Volks¬
bibliotheken empfahl. Jedem Fachmann, der die bisher herrschenden Zustände
kennen lernte, mußte sich mit Naturnotwendigkeit der Gedanke aufdrängen, daß
hier nur auf dem Wege der Organisation Besserung zu erzielen sei. Nachdem
mein Plan zunächst am Kultusministerium gescheitert war, wurde er mit besserem
Erfolg einige Jahre später in Westfalen aufgegriffen und fand im Vorjahr auch
im Regierungsbezirk Düsseldorf seine Verwirklichung durch die Errichtung von
Beratungsstellen. Die Leitung derjenigen von Westfalen wurde dem Direktor
der Dortmunder Bibliothek Herrn l>. Schulz, die der Düsseldorfer mir neben¬
amtlich übertragen.

Die Kernpunkte sind bei allen Organisationen dieselben: Heranziehung der
Mittel des Staates und Leitung durch einen ausgebildeten Fachmann. In
Posen und Oberschlesien sind die Wege, die zuni gemeinsamen Ziel eingeschlagen
werden, verschieden, und sie werden auch mehr oder minder in den anderen
Landesteilen voneinander abweichen.

In Posen und Oberschlesien dominiert die Macht des Staates, da er einen
erheblichen Teil einmal der sachlichen Kosten der Volksbibliotheken trägt und
ferner die Besoldung der Bibliothekare fast ausschließlich zahlt. Daher darf er
mit Recht auch einen entsprechenden Teil des Einflusses beanspruchen. Anders
liegen die Verhältnisse beispielsweise in Düsseldorf, wo die staatlichen Zuschüsse
nur einen bescheidenen Teil der Gesamtaufwendung ausmachen und wo außerdem
die meisten Bibliothekare -- leider! -- gar kein Entgelt für ihre Arbeit erhalten.
Schon daraus ergeben sich wesentlich andere Gesichtspunkte. Während in Posen
und Oberschlesien die Leiter der Organisationen unter Umständen die Macht
besitzen, ihren Ansichten Geltung zu verschaffen, ist der Leiter der Beratungs¬
stelle nur auf die Überzeugungskraft seiner Worte und den guten Willen der
anderen angewiesen. Als die Beratungsstelle ins Leben trat, war das kenn¬
zeichnende bei vielen ein großes Mißtrauen. Man vermutete eine neue Auf¬
sichtsinstanz, einen verkappten Bibliotheksinspektor. Diese Schwierigkeit mußte
zunächst beseitigt werden, denn so lange man das Vertrauen der Herren nicht
besaß, mußte die Arbeit fruchtlos bleiben. Sie mußten in den, Berater den Freund
erkennen lernen, der in jeder Beziehung ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht.


Grenzboten III 1911 58
«Organisation der volksbibliothcken

97347. Verlieben wurden 1905/06 231000, 1909/10 387000 Bände. In
der gleichen Zeit stieg die Zahl der Leser von 23000 auf 31000. Die Kosten
der Organisation, soweit sie aus staatlichen und provinziellen Mitteln flössen,
betrugen 1905/06 18000 Mark, 1909/10: 10500 Mark. An die Provinzial-
Wanderbibliothek angeschlossen ist die Zentralstelle für Volksunterhaltung, deren
Aufgabe es ist, „alles zur Einrichtung von Volksunterhaltungs-, Familien- und
Vereinsabenden dienende Material zu sammeln und den Leitern solcher Ver¬
anstaltungen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen".

Noch ehe ich von den Posener und oberschlesischen Organisationen genauere
Kenntnis hatte, reichte ich 1904 der Düsseldorfer Regierung eine Denkschrift
ein, in der ich einen Zusammenschluß der im hiesigen Bezirk vorhandenen Volks¬
bibliotheken empfahl. Jedem Fachmann, der die bisher herrschenden Zustände
kennen lernte, mußte sich mit Naturnotwendigkeit der Gedanke aufdrängen, daß
hier nur auf dem Wege der Organisation Besserung zu erzielen sei. Nachdem
mein Plan zunächst am Kultusministerium gescheitert war, wurde er mit besserem
Erfolg einige Jahre später in Westfalen aufgegriffen und fand im Vorjahr auch
im Regierungsbezirk Düsseldorf seine Verwirklichung durch die Errichtung von
Beratungsstellen. Die Leitung derjenigen von Westfalen wurde dem Direktor
der Dortmunder Bibliothek Herrn l>. Schulz, die der Düsseldorfer mir neben¬
amtlich übertragen.

Die Kernpunkte sind bei allen Organisationen dieselben: Heranziehung der
Mittel des Staates und Leitung durch einen ausgebildeten Fachmann. In
Posen und Oberschlesien sind die Wege, die zuni gemeinsamen Ziel eingeschlagen
werden, verschieden, und sie werden auch mehr oder minder in den anderen
Landesteilen voneinander abweichen.

In Posen und Oberschlesien dominiert die Macht des Staates, da er einen
erheblichen Teil einmal der sachlichen Kosten der Volksbibliotheken trägt und
ferner die Besoldung der Bibliothekare fast ausschließlich zahlt. Daher darf er
mit Recht auch einen entsprechenden Teil des Einflusses beanspruchen. Anders
liegen die Verhältnisse beispielsweise in Düsseldorf, wo die staatlichen Zuschüsse
nur einen bescheidenen Teil der Gesamtaufwendung ausmachen und wo außerdem
die meisten Bibliothekare — leider! — gar kein Entgelt für ihre Arbeit erhalten.
Schon daraus ergeben sich wesentlich andere Gesichtspunkte. Während in Posen
und Oberschlesien die Leiter der Organisationen unter Umständen die Macht
besitzen, ihren Ansichten Geltung zu verschaffen, ist der Leiter der Beratungs¬
stelle nur auf die Überzeugungskraft seiner Worte und den guten Willen der
anderen angewiesen. Als die Beratungsstelle ins Leben trat, war das kenn¬
zeichnende bei vielen ein großes Mißtrauen. Man vermutete eine neue Auf¬
sichtsinstanz, einen verkappten Bibliotheksinspektor. Diese Schwierigkeit mußte
zunächst beseitigt werden, denn so lange man das Vertrauen der Herren nicht
besaß, mußte die Arbeit fruchtlos bleiben. Sie mußten in den, Berater den Freund
erkennen lernen, der in jeder Beziehung ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht.


Grenzboten III 1911 58
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/465>, abgerufen am 04.01.2025.