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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne

Denn es hat schon im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Natur¬
theater, Freilichtbühnen gegeben, die alles andere waren als naturalistisch,
nämlich "stilisierte" Gartentheater*).

Sie waren kaum als Erscheinungen in: Theaterban anzusprechen, die durch
organische Fäden mit dessen Entwicklung zusammenhingen. Sie wurden viel¬
mehr durch die stilisierende und heckenscherende Gartenkunst der damaligen Zeit
der Bühnenkunst für ihre Zwecke zur Verfügung gestellt, sozusagen vorgeschlagen.

Diese Gartentheater mit ihren Kulissen aus geschorenen lebenden Hecken,
ihren Prospekten aus gleichem Material oder mit Verwendung entsprechender
Architektur, dachten nicht daran, die Natur zu selbständiger und freier Wirkung
kommen zu lassen, sie wollten vielmehr trotz der natürlichen Schwierigkeiten die
Erscheinung der geschlossenen Bühne möglichst nachahmen, in der Natur die
Kunst nachahmen. Das klingt bizarr genug! Der Hauptgedanke im Garten¬
theater war jedoch der, dem Zuschauer den Genuß der Aufführung zu ermöglichen
und ihm dennoch die Annehmlichkeit des Aufenthalts im Freien nicht zu nehmen.

Unser modernes Naturtheater will ganz im Gegenteil die Kunst in den
Rahmen der Natur einfügen, sie will die Schönheit der Natur als ästhetischen
Wert in das Bühnenbild mit hineinbeziehen.

Wie ist ihr das nun gelungen? Und was mußte unsere Freilichtbühne
aufgeben, um das zu erreichen?

Zu wirklich selbständiger und einheitlicher Wirkung kann das natürliche
Bühnenbild nur im reinen Naturtheater kommen, das wir heute hauptsächlich
als Waldtheater besitzen. Um die Reinheit der Bildwirkung nicht zu stören,
muß die natürliche Szenerie möglichst unverändert bleiben, darf jedenfalls nur
durch solche Zusätze, wie z. B. künstliche Bauten bereichert werden, die zu ihr passen.

Wenn man in den märkischen Fichtenwald in Pichelswerder verwitterte
Wendenhütten stellte, so blieb die Reinheit des Bildes gewahrt. Wenn aber in
Kopenhagen und Wiesbaden in der nordischen Landschaft der weiße Palast des
Kreon sich erhebt und Antigone ihr hartes Los bejammert, so entsteht im Bilde
ein unheilbarer Riß, über den dem Zuschauer keine Phantasie, keine noch so
große Hingabe an das Stück selber hinweghelfen kann.

Dessenungeachtet läßt man heute in einem deutschen Waldtale, vor einem
Tempel, der einer Köhlerhütte gleicht, Iphigenie das Land der Griechen mit
der Seele suchen, unter dem schattigen Dache deutscher Buchen Jochanaan aus
der Zisterne steigen und Salome vor ihm ihre geschmeidigen Glieder winden,
in ungestillten perversen Gelüst. Es ist schlimm bestellt um das Stilgefühl
unserer Zeit!

Zwar, es ist wahr! Das reine Naturtheater ist nur für eine sehr geringe,
ja verschwindend geringe Anzahl lebender Dramen, d. h. solcher, deren Auf¬
führung oder Wiederaufführung noch möglich ist, zu verwenden.



*) Vgl. Dr. Wilhelm Pfeiffer, "Zur Geschichte der Naturtheater". Bühne und Welt XIII,
18, S, 221 ff.
Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne

Denn es hat schon im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Natur¬
theater, Freilichtbühnen gegeben, die alles andere waren als naturalistisch,
nämlich „stilisierte" Gartentheater*).

Sie waren kaum als Erscheinungen in: Theaterban anzusprechen, die durch
organische Fäden mit dessen Entwicklung zusammenhingen. Sie wurden viel¬
mehr durch die stilisierende und heckenscherende Gartenkunst der damaligen Zeit
der Bühnenkunst für ihre Zwecke zur Verfügung gestellt, sozusagen vorgeschlagen.

Diese Gartentheater mit ihren Kulissen aus geschorenen lebenden Hecken,
ihren Prospekten aus gleichem Material oder mit Verwendung entsprechender
Architektur, dachten nicht daran, die Natur zu selbständiger und freier Wirkung
kommen zu lassen, sie wollten vielmehr trotz der natürlichen Schwierigkeiten die
Erscheinung der geschlossenen Bühne möglichst nachahmen, in der Natur die
Kunst nachahmen. Das klingt bizarr genug! Der Hauptgedanke im Garten¬
theater war jedoch der, dem Zuschauer den Genuß der Aufführung zu ermöglichen
und ihm dennoch die Annehmlichkeit des Aufenthalts im Freien nicht zu nehmen.

Unser modernes Naturtheater will ganz im Gegenteil die Kunst in den
Rahmen der Natur einfügen, sie will die Schönheit der Natur als ästhetischen
Wert in das Bühnenbild mit hineinbeziehen.

Wie ist ihr das nun gelungen? Und was mußte unsere Freilichtbühne
aufgeben, um das zu erreichen?

Zu wirklich selbständiger und einheitlicher Wirkung kann das natürliche
Bühnenbild nur im reinen Naturtheater kommen, das wir heute hauptsächlich
als Waldtheater besitzen. Um die Reinheit der Bildwirkung nicht zu stören,
muß die natürliche Szenerie möglichst unverändert bleiben, darf jedenfalls nur
durch solche Zusätze, wie z. B. künstliche Bauten bereichert werden, die zu ihr passen.

Wenn man in den märkischen Fichtenwald in Pichelswerder verwitterte
Wendenhütten stellte, so blieb die Reinheit des Bildes gewahrt. Wenn aber in
Kopenhagen und Wiesbaden in der nordischen Landschaft der weiße Palast des
Kreon sich erhebt und Antigone ihr hartes Los bejammert, so entsteht im Bilde
ein unheilbarer Riß, über den dem Zuschauer keine Phantasie, keine noch so
große Hingabe an das Stück selber hinweghelfen kann.

Dessenungeachtet läßt man heute in einem deutschen Waldtale, vor einem
Tempel, der einer Köhlerhütte gleicht, Iphigenie das Land der Griechen mit
der Seele suchen, unter dem schattigen Dache deutscher Buchen Jochanaan aus
der Zisterne steigen und Salome vor ihm ihre geschmeidigen Glieder winden,
in ungestillten perversen Gelüst. Es ist schlimm bestellt um das Stilgefühl
unserer Zeit!

Zwar, es ist wahr! Das reine Naturtheater ist nur für eine sehr geringe,
ja verschwindend geringe Anzahl lebender Dramen, d. h. solcher, deren Auf¬
führung oder Wiederaufführung noch möglich ist, zu verwenden.



*) Vgl. Dr. Wilhelm Pfeiffer, „Zur Geschichte der Naturtheater". Bühne und Welt XIII,
18, S, 221 ff.
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[0454] Gegenwart und Zukunft der Freilichtbühne Denn es hat schon im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Natur¬ theater, Freilichtbühnen gegeben, die alles andere waren als naturalistisch, nämlich „stilisierte" Gartentheater*). Sie waren kaum als Erscheinungen in: Theaterban anzusprechen, die durch organische Fäden mit dessen Entwicklung zusammenhingen. Sie wurden viel¬ mehr durch die stilisierende und heckenscherende Gartenkunst der damaligen Zeit der Bühnenkunst für ihre Zwecke zur Verfügung gestellt, sozusagen vorgeschlagen. Diese Gartentheater mit ihren Kulissen aus geschorenen lebenden Hecken, ihren Prospekten aus gleichem Material oder mit Verwendung entsprechender Architektur, dachten nicht daran, die Natur zu selbständiger und freier Wirkung kommen zu lassen, sie wollten vielmehr trotz der natürlichen Schwierigkeiten die Erscheinung der geschlossenen Bühne möglichst nachahmen, in der Natur die Kunst nachahmen. Das klingt bizarr genug! Der Hauptgedanke im Garten¬ theater war jedoch der, dem Zuschauer den Genuß der Aufführung zu ermöglichen und ihm dennoch die Annehmlichkeit des Aufenthalts im Freien nicht zu nehmen. Unser modernes Naturtheater will ganz im Gegenteil die Kunst in den Rahmen der Natur einfügen, sie will die Schönheit der Natur als ästhetischen Wert in das Bühnenbild mit hineinbeziehen. Wie ist ihr das nun gelungen? Und was mußte unsere Freilichtbühne aufgeben, um das zu erreichen? Zu wirklich selbständiger und einheitlicher Wirkung kann das natürliche Bühnenbild nur im reinen Naturtheater kommen, das wir heute hauptsächlich als Waldtheater besitzen. Um die Reinheit der Bildwirkung nicht zu stören, muß die natürliche Szenerie möglichst unverändert bleiben, darf jedenfalls nur durch solche Zusätze, wie z. B. künstliche Bauten bereichert werden, die zu ihr passen. Wenn man in den märkischen Fichtenwald in Pichelswerder verwitterte Wendenhütten stellte, so blieb die Reinheit des Bildes gewahrt. Wenn aber in Kopenhagen und Wiesbaden in der nordischen Landschaft der weiße Palast des Kreon sich erhebt und Antigone ihr hartes Los bejammert, so entsteht im Bilde ein unheilbarer Riß, über den dem Zuschauer keine Phantasie, keine noch so große Hingabe an das Stück selber hinweghelfen kann. Dessenungeachtet läßt man heute in einem deutschen Waldtale, vor einem Tempel, der einer Köhlerhütte gleicht, Iphigenie das Land der Griechen mit der Seele suchen, unter dem schattigen Dache deutscher Buchen Jochanaan aus der Zisterne steigen und Salome vor ihm ihre geschmeidigen Glieder winden, in ungestillten perversen Gelüst. Es ist schlimm bestellt um das Stilgefühl unserer Zeit! Zwar, es ist wahr! Das reine Naturtheater ist nur für eine sehr geringe, ja verschwindend geringe Anzahl lebender Dramen, d. h. solcher, deren Auf¬ führung oder Wiederaufführung noch möglich ist, zu verwenden. *) Vgl. Dr. Wilhelm Pfeiffer, „Zur Geschichte der Naturtheater". Bühne und Welt XIII, 18, S, 221 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/454>, abgerufen am 29.12.2024.