Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Italienische Ausstellungsreise neuen Italien vernommen werden. Antonio Mancini, der die Gegenwart Wer das letzte Mal an den beiden hohen Pylonen vorbei in den Park Italienische Ausstellungsreise neuen Italien vernommen werden. Antonio Mancini, der die Gegenwart Wer das letzte Mal an den beiden hohen Pylonen vorbei in den Park <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319380"/> <fw type="header" place="top"> Italienische Ausstellungsreise</fw><lb/> <p xml:id="ID_2086" prev="#ID_2085"> neuen Italien vernommen werden. Antonio Mancini, der die Gegenwart<lb/> italienischer Kunst repräsentiert und dem der große Preis für Malerei bevor¬<lb/> steht, besitzt kaum mehr als Eigenart in Mischung und Auftrag der Farben<lb/> und stößt durch süßliche Leere der Gesichter augenblicklich ab. An Kraft ist<lb/> ihm Ettore Tito überlegen. Unter den Bildhauern ragt Ernesto Biondi, der<lb/> Schöpfer einer Gruppe traurig schreitender Frauen voll Ebenmaß und innerer<lb/> Musik, hoch hervor. Armer noch ist Holland geworden; eine kleine retrospektive<lb/> Ausstellung läßt die Kunst ihre letzten Meister, der drei Brüder Maris, erkennen;<lb/> unter den Lebenden hält immer noch Israels den Rang. Für die Schweiz<lb/> steht Hodler, neben ihm Buri, dessen Bilder offen sind für alles Licht, das<lb/> unablässig in sie überströmt, während es aus denen des stärkeren Giacometti<lb/> farbig leuchtvoll auszubrechen scheint. Rußland hat den Malern Jlja Repin<lb/> und Valentin Serof Sonderausstellungen eingeräumt, ohne daß diese mehr als<lb/> das Lob guter Zeichnung und wohlberechneter Kolorierung erwarten können;<lb/> ergreifend ist allein das große Ebenenbild „Mein Vaterland" von Nikolai<lb/> Dubowsky, daran man in der Tat die atmende Steppenerstreckung des heiligen<lb/> Rußland zu ahnen vermag. Gleiches versuchte der Schwede Hesselbom mit<lb/> nicht geringerer Wirkung, doch steht er Fjaestad, dem Maler des Schnees, an<lb/> Weite, dem feinen Erzähler Jvor Arosenius an Tiefe der Begabung nach. Der<lb/> Plastiker Blomberg schuf eine kniende Jungfrau der Verkündigung, die ich nie<lb/> wieder vergessen kann. Die beiden anderen skandinavischen Staaten, Norwegen<lb/> und Dänemark, haben Anspruch aus gleiche Ehre: das erstere in einen: histo¬<lb/> rischen Besitz wie Münch und Thaulow und Wirkender wie Hendrik Lund und<lb/> den Plastikern Hans Se. Lerche und Vigeland; das letztere weniger in Persön¬<lb/> lichkeiten als einer allgemeinen Höhenlinie seiner Kunst. Was Bulgaren und<lb/> Griechen beigestellt haben, zählt in ernster Würdigung nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2087" next="#ID_2088"> Wer das letzte Mal an den beiden hohen Pylonen vorbei in den Park<lb/> Borghese hinuntersteigt, die Luft um ihn her noch von dem Abglanz jener<lb/> Bilder voll, bald von diesem, bald von jenem heimlich zurückgerufen — geht er<lb/> als ein Erhöhter, Geförderter, innerlich Beschwingter die Wege zwischen Stein¬<lb/> eichen und Zypressen hinab? Ich glaube, daß er gern in das Gras hinsinkt<lb/> und sich am Himmel zwischen dunklen Kronen sehnsüchtig freischauen möchte.<lb/> Starre Welt hat er verlassen, Herzenswelt aber und so doch Lebenswelt auch.<lb/> Was ihn an Größe erhoben, an Schönheit entzückt, an Neuheit gereizt hat —:<lb/> was ist es gegen die Flut von Unkraft, die ihn mit Mitleid über so viel ver¬<lb/> geudete Hoffnungen, geopfertes Blut, verschollene Schreie tief und schmerzvoll<lb/> trifft? Die ungeheure Menge des Proletariates der Kunst erscheint ihm vor dem<lb/> noch unermüdeten inneren Blick, aber ohne die Drohung und Gewalt der<lb/> fordernden Massen, leidend, wartend, allerinnigster, allerbegreifendster Liebe wert.<lb/> Das Irrlicht der Kunst schwebt ihm plötzlich mit allem Entsetzen der Lebens-<lb/> abgrttnde, über denen es verweilt, vorüber und indem er die dunklen Vergeblich¬<lb/> keiten noch einmal mit den: Herzen prüft, vielleicht schaudernd auf sich selbst</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0433]
Italienische Ausstellungsreise
neuen Italien vernommen werden. Antonio Mancini, der die Gegenwart
italienischer Kunst repräsentiert und dem der große Preis für Malerei bevor¬
steht, besitzt kaum mehr als Eigenart in Mischung und Auftrag der Farben
und stößt durch süßliche Leere der Gesichter augenblicklich ab. An Kraft ist
ihm Ettore Tito überlegen. Unter den Bildhauern ragt Ernesto Biondi, der
Schöpfer einer Gruppe traurig schreitender Frauen voll Ebenmaß und innerer
Musik, hoch hervor. Armer noch ist Holland geworden; eine kleine retrospektive
Ausstellung läßt die Kunst ihre letzten Meister, der drei Brüder Maris, erkennen;
unter den Lebenden hält immer noch Israels den Rang. Für die Schweiz
steht Hodler, neben ihm Buri, dessen Bilder offen sind für alles Licht, das
unablässig in sie überströmt, während es aus denen des stärkeren Giacometti
farbig leuchtvoll auszubrechen scheint. Rußland hat den Malern Jlja Repin
und Valentin Serof Sonderausstellungen eingeräumt, ohne daß diese mehr als
das Lob guter Zeichnung und wohlberechneter Kolorierung erwarten können;
ergreifend ist allein das große Ebenenbild „Mein Vaterland" von Nikolai
Dubowsky, daran man in der Tat die atmende Steppenerstreckung des heiligen
Rußland zu ahnen vermag. Gleiches versuchte der Schwede Hesselbom mit
nicht geringerer Wirkung, doch steht er Fjaestad, dem Maler des Schnees, an
Weite, dem feinen Erzähler Jvor Arosenius an Tiefe der Begabung nach. Der
Plastiker Blomberg schuf eine kniende Jungfrau der Verkündigung, die ich nie
wieder vergessen kann. Die beiden anderen skandinavischen Staaten, Norwegen
und Dänemark, haben Anspruch aus gleiche Ehre: das erstere in einen: histo¬
rischen Besitz wie Münch und Thaulow und Wirkender wie Hendrik Lund und
den Plastikern Hans Se. Lerche und Vigeland; das letztere weniger in Persön¬
lichkeiten als einer allgemeinen Höhenlinie seiner Kunst. Was Bulgaren und
Griechen beigestellt haben, zählt in ernster Würdigung nicht.
Wer das letzte Mal an den beiden hohen Pylonen vorbei in den Park
Borghese hinuntersteigt, die Luft um ihn her noch von dem Abglanz jener
Bilder voll, bald von diesem, bald von jenem heimlich zurückgerufen — geht er
als ein Erhöhter, Geförderter, innerlich Beschwingter die Wege zwischen Stein¬
eichen und Zypressen hinab? Ich glaube, daß er gern in das Gras hinsinkt
und sich am Himmel zwischen dunklen Kronen sehnsüchtig freischauen möchte.
Starre Welt hat er verlassen, Herzenswelt aber und so doch Lebenswelt auch.
Was ihn an Größe erhoben, an Schönheit entzückt, an Neuheit gereizt hat —:
was ist es gegen die Flut von Unkraft, die ihn mit Mitleid über so viel ver¬
geudete Hoffnungen, geopfertes Blut, verschollene Schreie tief und schmerzvoll
trifft? Die ungeheure Menge des Proletariates der Kunst erscheint ihm vor dem
noch unermüdeten inneren Blick, aber ohne die Drohung und Gewalt der
fordernden Massen, leidend, wartend, allerinnigster, allerbegreifendster Liebe wert.
Das Irrlicht der Kunst schwebt ihm plötzlich mit allem Entsetzen der Lebens-
abgrttnde, über denen es verweilt, vorüber und indem er die dunklen Vergeblich¬
keiten noch einmal mit den: Herzen prüft, vielleicht schaudernd auf sich selbst
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