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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Ausstellungsreise

zu träumen schien. Auf der oberen Polände bildeten Soldaten und Turiner
Bürger ein schwaches Spalier für die Vorüberfahrt des Königs. Als er erschien,
scholl ihm unsicheres Händeklatschen zu. Der ganze große Zug des Hofes und
der Festgäste fuhr in historischen Karossen, mit Dienern in alter, farbigschöner
Tracht. Als er über die Brücke bog, ganz klein in der Ferne, ward er ein
Bild und schien zu dem allen zu gehören.

Am Nachmittag wurde das Publikum ins Ausstellungsgebiet gelassen, welches
den ungeheuren Valentinopark und beide User des Po im Ausmaß von über
einer Million Quadratmetern umfaßt. Man konnte jetzt die weiße Traumstadt
in der Nähe sehen und so war bald Enttäuschung zur Stelle. Die Gebäude
sind zumeist im Stil der piemontesischen Architektur des achtzehnten Jahrhunderts
gehalten, als dessen bedeutendster Gestalter der Schüler Guarinis, Filippo Juvara,
anzusehen ist. Das Trostlose der Imitation wurde durch die fast völlige Un-
fertigkeit der Ausstellung, die Leere vieler Räume, die laute und hastige Arbeit
in anderen, bis ins Unerträgliche verstärkt. Das ziellose Wandern durch den
Park wurde nur selten durch einen freieren Blick etwa auf einen schönen künst¬
lichen Wasserfall, ein Schweizer Bauernhaus, originelle Fassadenskulpturen wie
die prachtvollen bärtigen Krieger des ungarischen Pavillons, die große Statuen¬
brücke über den Po oder durch das Herklingen der Musik aus dem gewaltigen
Konzertgebäude freudiger unterbrochen. Im Drängen der Menge, die das
chaotische Gefilde immer lebhafter überzog, wuchs Mißmut und Enttäuschung
und entlud sich gegen die Stadt, deren Leben jetzt in den heftigsten Wellen
brandete und wogte. Der Wunsch, von hier fortzukommen, verdrängte Schau¬
lust und Neugier immer entschiedener und plötzlich war die Sehnsucht nach Rom
da und stand ihm bei. Schnell ward er Entschluß. -- Am Abend war Turin
Vergangenheit.

Fahrt durch die Nacht, der Zug überfüllt, so daß viele in den Gängen
stehen mußten. Wie erhellte Zimmer mit vielen fremden Gästen fuhren die
niedrigen engen Waggons schnell dnrch das schon umflüsterte Land. Aber mit
Rom als Frühziel ließ sich auch mehr als Enge und Dunkelheit leicht ertragen.
Nur manchmal erhob sich Sehnsucht: wenn alles stand und die Stimmen ein¬
ander ablösten: "Genova. . . Genoval" oder: "Spezia" oder: "Pisa". Bei
Genua konnte man einen Augenblick das Meer sehen, den Hafen und Schiffe.
Aber Regen fiel und verschleierte noch die Schleier der Nacht. Als der Tag
mit Licht erschien, lag Latium da.

Bei Civitavecchia sahen wir das Meer. Es war grünlichgrau und leis
erregt; mit weißen Schaumbänken schlug es langhinwellend an den Strand.
Es begleitete uns lange. Die ersten Häuser mit flachem Dach erschienen, leere
Gärten mit Statuen, und schon begann die Campagna mit leichtem Grün um
sanft geschwungenes Erdreich sich aufzutun. Hirtenlose Pferde weideten; dann
wieder Schafe oder Rinder und der Hirte sah in den Himmel hinauf, dessen
lichtes Blau Wärme versprach. Wir sahen eine jener schön gebogenen steinernen


Italienische Ausstellungsreise

zu träumen schien. Auf der oberen Polände bildeten Soldaten und Turiner
Bürger ein schwaches Spalier für die Vorüberfahrt des Königs. Als er erschien,
scholl ihm unsicheres Händeklatschen zu. Der ganze große Zug des Hofes und
der Festgäste fuhr in historischen Karossen, mit Dienern in alter, farbigschöner
Tracht. Als er über die Brücke bog, ganz klein in der Ferne, ward er ein
Bild und schien zu dem allen zu gehören.

Am Nachmittag wurde das Publikum ins Ausstellungsgebiet gelassen, welches
den ungeheuren Valentinopark und beide User des Po im Ausmaß von über
einer Million Quadratmetern umfaßt. Man konnte jetzt die weiße Traumstadt
in der Nähe sehen und so war bald Enttäuschung zur Stelle. Die Gebäude
sind zumeist im Stil der piemontesischen Architektur des achtzehnten Jahrhunderts
gehalten, als dessen bedeutendster Gestalter der Schüler Guarinis, Filippo Juvara,
anzusehen ist. Das Trostlose der Imitation wurde durch die fast völlige Un-
fertigkeit der Ausstellung, die Leere vieler Räume, die laute und hastige Arbeit
in anderen, bis ins Unerträgliche verstärkt. Das ziellose Wandern durch den
Park wurde nur selten durch einen freieren Blick etwa auf einen schönen künst¬
lichen Wasserfall, ein Schweizer Bauernhaus, originelle Fassadenskulpturen wie
die prachtvollen bärtigen Krieger des ungarischen Pavillons, die große Statuen¬
brücke über den Po oder durch das Herklingen der Musik aus dem gewaltigen
Konzertgebäude freudiger unterbrochen. Im Drängen der Menge, die das
chaotische Gefilde immer lebhafter überzog, wuchs Mißmut und Enttäuschung
und entlud sich gegen die Stadt, deren Leben jetzt in den heftigsten Wellen
brandete und wogte. Der Wunsch, von hier fortzukommen, verdrängte Schau¬
lust und Neugier immer entschiedener und plötzlich war die Sehnsucht nach Rom
da und stand ihm bei. Schnell ward er Entschluß. — Am Abend war Turin
Vergangenheit.

Fahrt durch die Nacht, der Zug überfüllt, so daß viele in den Gängen
stehen mußten. Wie erhellte Zimmer mit vielen fremden Gästen fuhren die
niedrigen engen Waggons schnell dnrch das schon umflüsterte Land. Aber mit
Rom als Frühziel ließ sich auch mehr als Enge und Dunkelheit leicht ertragen.
Nur manchmal erhob sich Sehnsucht: wenn alles stand und die Stimmen ein¬
ander ablösten: „Genova. . . Genoval" oder: „Spezia" oder: „Pisa". Bei
Genua konnte man einen Augenblick das Meer sehen, den Hafen und Schiffe.
Aber Regen fiel und verschleierte noch die Schleier der Nacht. Als der Tag
mit Licht erschien, lag Latium da.

Bei Civitavecchia sahen wir das Meer. Es war grünlichgrau und leis
erregt; mit weißen Schaumbänken schlug es langhinwellend an den Strand.
Es begleitete uns lange. Die ersten Häuser mit flachem Dach erschienen, leere
Gärten mit Statuen, und schon begann die Campagna mit leichtem Grün um
sanft geschwungenes Erdreich sich aufzutun. Hirtenlose Pferde weideten; dann
wieder Schafe oder Rinder und der Hirte sah in den Himmel hinauf, dessen
lichtes Blau Wärme versprach. Wir sahen eine jener schön gebogenen steinernen


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[0428] Italienische Ausstellungsreise zu träumen schien. Auf der oberen Polände bildeten Soldaten und Turiner Bürger ein schwaches Spalier für die Vorüberfahrt des Königs. Als er erschien, scholl ihm unsicheres Händeklatschen zu. Der ganze große Zug des Hofes und der Festgäste fuhr in historischen Karossen, mit Dienern in alter, farbigschöner Tracht. Als er über die Brücke bog, ganz klein in der Ferne, ward er ein Bild und schien zu dem allen zu gehören. Am Nachmittag wurde das Publikum ins Ausstellungsgebiet gelassen, welches den ungeheuren Valentinopark und beide User des Po im Ausmaß von über einer Million Quadratmetern umfaßt. Man konnte jetzt die weiße Traumstadt in der Nähe sehen und so war bald Enttäuschung zur Stelle. Die Gebäude sind zumeist im Stil der piemontesischen Architektur des achtzehnten Jahrhunderts gehalten, als dessen bedeutendster Gestalter der Schüler Guarinis, Filippo Juvara, anzusehen ist. Das Trostlose der Imitation wurde durch die fast völlige Un- fertigkeit der Ausstellung, die Leere vieler Räume, die laute und hastige Arbeit in anderen, bis ins Unerträgliche verstärkt. Das ziellose Wandern durch den Park wurde nur selten durch einen freieren Blick etwa auf einen schönen künst¬ lichen Wasserfall, ein Schweizer Bauernhaus, originelle Fassadenskulpturen wie die prachtvollen bärtigen Krieger des ungarischen Pavillons, die große Statuen¬ brücke über den Po oder durch das Herklingen der Musik aus dem gewaltigen Konzertgebäude freudiger unterbrochen. Im Drängen der Menge, die das chaotische Gefilde immer lebhafter überzog, wuchs Mißmut und Enttäuschung und entlud sich gegen die Stadt, deren Leben jetzt in den heftigsten Wellen brandete und wogte. Der Wunsch, von hier fortzukommen, verdrängte Schau¬ lust und Neugier immer entschiedener und plötzlich war die Sehnsucht nach Rom da und stand ihm bei. Schnell ward er Entschluß. — Am Abend war Turin Vergangenheit. Fahrt durch die Nacht, der Zug überfüllt, so daß viele in den Gängen stehen mußten. Wie erhellte Zimmer mit vielen fremden Gästen fuhren die niedrigen engen Waggons schnell dnrch das schon umflüsterte Land. Aber mit Rom als Frühziel ließ sich auch mehr als Enge und Dunkelheit leicht ertragen. Nur manchmal erhob sich Sehnsucht: wenn alles stand und die Stimmen ein¬ ander ablösten: „Genova. . . Genoval" oder: „Spezia" oder: „Pisa". Bei Genua konnte man einen Augenblick das Meer sehen, den Hafen und Schiffe. Aber Regen fiel und verschleierte noch die Schleier der Nacht. Als der Tag mit Licht erschien, lag Latium da. Bei Civitavecchia sahen wir das Meer. Es war grünlichgrau und leis erregt; mit weißen Schaumbänken schlug es langhinwellend an den Strand. Es begleitete uns lange. Die ersten Häuser mit flachem Dach erschienen, leere Gärten mit Statuen, und schon begann die Campagna mit leichtem Grün um sanft geschwungenes Erdreich sich aufzutun. Hirtenlose Pferde weideten; dann wieder Schafe oder Rinder und der Hirte sah in den Himmel hinauf, dessen lichtes Blau Wärme versprach. Wir sahen eine jener schön gebogenen steinernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/428>, abgerufen am 29.12.2024.