Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Das deutsch-französische Grenzproblem von einander aufstellt, so kann er mit Hilfe einer Magnetnadel zeigen, wie die Aber nicht nur nach den Gesetzen der reinen Physik, sondern auch im Sinn Das deutsch-französische Grenzproblem von einander aufstellt, so kann er mit Hilfe einer Magnetnadel zeigen, wie die Aber nicht nur nach den Gesetzen der reinen Physik, sondern auch im Sinn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319359"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsch-französische Grenzproblem</fw><lb/> <p xml:id="ID_2024" prev="#ID_2023"> von einander aufstellt, so kann er mit Hilfe einer Magnetnadel zeigen, wie die<lb/> beiden Kraftwirkungen im Raum zwischen den Polen abnehmen. Schließlich<lb/> erreicht er eine Zone, in der die Kräfte sich neutralisieren, ihre Wirkungen also<lb/> gleich null sind. Diese zwischen beiden Magnetfeldern gelegene neutrale Fläche<lb/> ist offenbar die Grenze der beiden Krafträume, deren Mittelpunkte die Pole<lb/> sind. Der Experimentator kann serner leicht zeigen, daß die Kräfte von Pol<lb/> zu Pol in festen Bahnen fließen, den sogenannten Kraftlinien. Sie verlaufen<lb/> so, daß sie jene Grenzzone immer rechtwinklig schneiden. So gibt es auch<lb/> zwischen der Erde einerseits und dem Mond, der Sonne, dem Mars usw.<lb/> anderseits eine Fläche, in der die Schwerkraft der Himmelskörper aufgehoben<lb/> erscheint. Ein dort befindlicher Körper würde weder nach der Erde, noch nach<lb/> dem anderen Weltkörper hin fallen. Die Kraftlinien der Schwere aber, die<lb/> von einem Weltkörper zum anderen verlaufen, schneiden diese neutrale Fläche<lb/> immer rechtwinklig. Übertragen wir diese physikalischen Vorstellungen auf unser<lb/> Problem, so werden die Kraftfelder durch benachbarte Länder bzw. Landschaften<lb/> dargestellt, die Kraftmitten durch die Hauptstädte, die neutrale Zone durch die<lb/> gemeinsame Grenze beider Länder und die Kraftlinien durch die Verkehrsstraßen.<lb/> Es ist wohl zu beachten, daß sich nach dieser Vorstellung Grenze und Verkehrs¬<lb/> straße rechtwinklig schneiden. Beide sind also ihrer Natur nach derart entgegen¬<lb/> gesetzte Dinge, daß niemals eine Verkehrsstraße eine natürliche Grenze sein<lb/> kann. Nun aber sind die Flüsse, insbesondere der Rhein, sehr lebhafte Verkehrs¬<lb/> straßen, und kamen als solche früher, da es noch keine Eisenbahnen gab und<lb/> die Landstraßen weniger gepflegt waren, verhältnismäßig noch mehr in Betracht<lb/> als jetzt. Eine Grenzlinie darf nach der physikalischen Vorstellung nur eine<lb/> Linie sein, auf der sich zwei entgegengesetzte volkswirtschaftliche Interessen in<lb/> ihrem Mindestmaße begegnen. Der Rhein aber ist im Gegensatz hierzu eine<lb/> volkswirtschaftliche Kraftlinie von großem Werte, eine wertvolle Verkehrsader,<lb/> die von einer Grenzlinie nur senkrecht geschnitten werden kann. Alles Wertvolle<lb/> hat Liebhaber. Diese konkurrieren um den Besitz. Sobald aber zwei oder<lb/> mehrere Interessenten ihre Aufmerksamkeit auf denselben Gegenstand richten, ist<lb/> Streit unvermeidlich; das liegt in der Natur der Sache.</p><lb/> <p xml:id="ID_2025" next="#ID_2026"> Aber nicht nur nach den Gesetzen der reinen Physik, sondern auch im Sinn<lb/> der Oberflächenformen der Erde ist der Rhein keine natürliche Grenze. Man<lb/> denke sich die Erdoberfläche im Reliefbild vor sich; alsdann wird man bemerken,<lb/> daß sie aus einem System von Mulden besteht, die ununterbrochen aneinander<lb/> gelagert sind. Im Mittel- und Hochgebirge sind diese Formationen für das<lb/> Auge sehr gut wahrnehmbar, weniger im Flachland. Aber das für die Schwer¬<lb/> kraft äußerst feinfühlige Wasser zeigt auch dort durch die Richtung seiner Rinn¬<lb/> sale die Steigung der Muldenwände an und sammelt sich schließlich in der<lb/> tiefsten Mittellinie als Hauptstrom. Wir bezeichnen die einzelnen Mulden als<lb/> Stromgebiete und ihre Grenzlinien als die Wasserscheiden. Diese Becken¬<lb/> formationen sind die von der Natur geschaffenen geographischen Individualitäten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0412]
Das deutsch-französische Grenzproblem
von einander aufstellt, so kann er mit Hilfe einer Magnetnadel zeigen, wie die
beiden Kraftwirkungen im Raum zwischen den Polen abnehmen. Schließlich
erreicht er eine Zone, in der die Kräfte sich neutralisieren, ihre Wirkungen also
gleich null sind. Diese zwischen beiden Magnetfeldern gelegene neutrale Fläche
ist offenbar die Grenze der beiden Krafträume, deren Mittelpunkte die Pole
sind. Der Experimentator kann serner leicht zeigen, daß die Kräfte von Pol
zu Pol in festen Bahnen fließen, den sogenannten Kraftlinien. Sie verlaufen
so, daß sie jene Grenzzone immer rechtwinklig schneiden. So gibt es auch
zwischen der Erde einerseits und dem Mond, der Sonne, dem Mars usw.
anderseits eine Fläche, in der die Schwerkraft der Himmelskörper aufgehoben
erscheint. Ein dort befindlicher Körper würde weder nach der Erde, noch nach
dem anderen Weltkörper hin fallen. Die Kraftlinien der Schwere aber, die
von einem Weltkörper zum anderen verlaufen, schneiden diese neutrale Fläche
immer rechtwinklig. Übertragen wir diese physikalischen Vorstellungen auf unser
Problem, so werden die Kraftfelder durch benachbarte Länder bzw. Landschaften
dargestellt, die Kraftmitten durch die Hauptstädte, die neutrale Zone durch die
gemeinsame Grenze beider Länder und die Kraftlinien durch die Verkehrsstraßen.
Es ist wohl zu beachten, daß sich nach dieser Vorstellung Grenze und Verkehrs¬
straße rechtwinklig schneiden. Beide sind also ihrer Natur nach derart entgegen¬
gesetzte Dinge, daß niemals eine Verkehrsstraße eine natürliche Grenze sein
kann. Nun aber sind die Flüsse, insbesondere der Rhein, sehr lebhafte Verkehrs¬
straßen, und kamen als solche früher, da es noch keine Eisenbahnen gab und
die Landstraßen weniger gepflegt waren, verhältnismäßig noch mehr in Betracht
als jetzt. Eine Grenzlinie darf nach der physikalischen Vorstellung nur eine
Linie sein, auf der sich zwei entgegengesetzte volkswirtschaftliche Interessen in
ihrem Mindestmaße begegnen. Der Rhein aber ist im Gegensatz hierzu eine
volkswirtschaftliche Kraftlinie von großem Werte, eine wertvolle Verkehrsader,
die von einer Grenzlinie nur senkrecht geschnitten werden kann. Alles Wertvolle
hat Liebhaber. Diese konkurrieren um den Besitz. Sobald aber zwei oder
mehrere Interessenten ihre Aufmerksamkeit auf denselben Gegenstand richten, ist
Streit unvermeidlich; das liegt in der Natur der Sache.
Aber nicht nur nach den Gesetzen der reinen Physik, sondern auch im Sinn
der Oberflächenformen der Erde ist der Rhein keine natürliche Grenze. Man
denke sich die Erdoberfläche im Reliefbild vor sich; alsdann wird man bemerken,
daß sie aus einem System von Mulden besteht, die ununterbrochen aneinander
gelagert sind. Im Mittel- und Hochgebirge sind diese Formationen für das
Auge sehr gut wahrnehmbar, weniger im Flachland. Aber das für die Schwer¬
kraft äußerst feinfühlige Wasser zeigt auch dort durch die Richtung seiner Rinn¬
sale die Steigung der Muldenwände an und sammelt sich schließlich in der
tiefsten Mittellinie als Hauptstrom. Wir bezeichnen die einzelnen Mulden als
Stromgebiete und ihre Grenzlinien als die Wasserscheiden. Diese Becken¬
formationen sind die von der Natur geschaffenen geographischen Individualitäten,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |