Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Christian Dietrich Grabbe des Vaters und die des Dichters selbst aus der Studentenzeit. Nicht so, als Im beständigen Gegensatz zu seiner Umgebung verschärften sich die Eigen¬ Was anderen half, schadete ihm. Die Härte des Westfalen vermischte sich Christian Dietrich Grabbe des Vaters und die des Dichters selbst aus der Studentenzeit. Nicht so, als Im beständigen Gegensatz zu seiner Umgebung verschärften sich die Eigen¬ Was anderen half, schadete ihm. Die Härte des Westfalen vermischte sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319353"/> <fw type="header" place="top"> Christian Dietrich Grabbe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1996" prev="#ID_1995"> des Vaters und die des Dichters selbst aus der Studentenzeit. Nicht so, als<lb/> hätten die Eltern die Begabung des Sohnes unterschätzt und seinen Wünschen<lb/> „Dramas zu schreiben" Hindernisse in den Weg gelegt, aber wie konnten der<lb/> Vater, der sich nur dunkle Vorstellungen von einem Dramatiker machte, und die<lb/> gänzlich ungebildete Mutter, die kaum schreiben konnte, dem Sohn geistige<lb/> Nahrung geben! In dem stillen, toten, steifen Fürstenstädtchen Detmold wurde<lb/> er 1801 in den Mauern des Zuchthauses geboren, dessen Verwalter der Vater<lb/> war; die mangelnde Kinderstube empfand der junge scharfe Beobachter bei jedem<lb/> Spiel mit den Kameraden; zähneknirschend stand er abseits, und früh entwickelte<lb/> sich der Haß gegen die Vornehmen, die er sich in jugendlicher Verallgemeinerung<lb/> als Schufte vorzustellen liebte. Dabei blieb ihm zeitlebens die im Elternhause<lb/> gewohnte scheue Ehrfurcht vor der großen Welt eigen. Wenn er den Eltern<lb/> imponieren will, erzählt er ihnen von adligen Bekannten, die ihn aufsuchen, um<lb/> seinem jungen Ruhm zu huldigen. „Ich befinde mich hier in einer Gesellschaft,<lb/> welche mich ordentlich liebt; es sind fast sämtlich junge angestellte Adlige, und<lb/> jeder ist bemüht, mir einen Gefallen zu tun; sie unterhandeln für mich bei<lb/> Buchhändlern, schaffen mir Freibillette ins Theater, nötigen mich abends zum<lb/> Essen, machen mich immer mit mehr Leuten bekannt, geben Ankündigungen von<lb/> meinen Werken in den Druck usw."</p><lb/> <p xml:id="ID_1997"> Im beständigen Gegensatz zu seiner Umgebung verschärften sich die Eigen¬<lb/> tümlichkeiten, die er selbst für den Ausdruck der eigensten Persönlichkeit hielt;<lb/> zu verzogen, um der Außenwelt das geringste Zugeständnis zu machen, hegte<lb/> er seine schroffen Kanten mit aller Eigenliebe, glaubte sein innerstes Wesen<lb/> gefährdet, wenn er um anderer willen den geringsten bizarren Einfall hätte<lb/> unterdrücken sollen. Die Frömmigkeit der Eltern verstärkte in ihm den Hang<lb/> zu ungeheuerlichen Blasphemien. Ihre zärtliche Liebe, die ihm weichlich und<lb/> mannwidrig erschien, verhärtete sein Herz gegen jedes weiche Gefühl; in keinem<lb/> seiner Briefe an Freunde und Gönner ist das geringste Zeichen herzlicher Innigkeit<lb/> vorhanden. Selbst die Briefe an die Eltern, aus denen hin und wieder zarte<lb/> Regungen hervorlugen, sind „genialisch" stilisiert, kalt zurechtgemacht, in wildem<lb/> Durcheinander, scheinbarem Ungestüm, doch klug auf den Eindruck berechnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1998" next="#ID_1999"> Was anderen half, schadete ihm. Die Härte des Westfalen vermischte sich<lb/> mit der Reizbarkeit des modernen romantischen Geistes. Auch die Selbstironie<lb/> des zünftigen Romantikers fehlte nicht. Durch sein ganzes Wesen ging von<lb/> Jugend auf der verhängnisvolle Riß, die völlige Disharmonie des Wesens, die<lb/> in seinen Gesichtszügen ein erschreckendes Abbild fand. Keins der erhaltenen<lb/> Bilder lehrt das so deutlich wie die Beschreibung Immermanns, die freilich<lb/> schon symbolisiert und deshalb nach beiden Seiten übertreibt, aber im Grunde<lb/> übereinstimmt mit den Schilderungen anderer: „Eine Stirn, hoch, oval gewölbt,<lb/> wie ich sie nur in Shakespeares Bildnis von ähnlicher Pracht gesehen habe,<lb/> darunter große, geisterhaft weite Augenhöhlen und Augen von tiefer, seelenvoller<lb/> Bläue, eine zierlich gebildete Nase; bis dahin — das dünne, fahle Haar, welches</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
Christian Dietrich Grabbe
des Vaters und die des Dichters selbst aus der Studentenzeit. Nicht so, als
hätten die Eltern die Begabung des Sohnes unterschätzt und seinen Wünschen
„Dramas zu schreiben" Hindernisse in den Weg gelegt, aber wie konnten der
Vater, der sich nur dunkle Vorstellungen von einem Dramatiker machte, und die
gänzlich ungebildete Mutter, die kaum schreiben konnte, dem Sohn geistige
Nahrung geben! In dem stillen, toten, steifen Fürstenstädtchen Detmold wurde
er 1801 in den Mauern des Zuchthauses geboren, dessen Verwalter der Vater
war; die mangelnde Kinderstube empfand der junge scharfe Beobachter bei jedem
Spiel mit den Kameraden; zähneknirschend stand er abseits, und früh entwickelte
sich der Haß gegen die Vornehmen, die er sich in jugendlicher Verallgemeinerung
als Schufte vorzustellen liebte. Dabei blieb ihm zeitlebens die im Elternhause
gewohnte scheue Ehrfurcht vor der großen Welt eigen. Wenn er den Eltern
imponieren will, erzählt er ihnen von adligen Bekannten, die ihn aufsuchen, um
seinem jungen Ruhm zu huldigen. „Ich befinde mich hier in einer Gesellschaft,
welche mich ordentlich liebt; es sind fast sämtlich junge angestellte Adlige, und
jeder ist bemüht, mir einen Gefallen zu tun; sie unterhandeln für mich bei
Buchhändlern, schaffen mir Freibillette ins Theater, nötigen mich abends zum
Essen, machen mich immer mit mehr Leuten bekannt, geben Ankündigungen von
meinen Werken in den Druck usw."
Im beständigen Gegensatz zu seiner Umgebung verschärften sich die Eigen¬
tümlichkeiten, die er selbst für den Ausdruck der eigensten Persönlichkeit hielt;
zu verzogen, um der Außenwelt das geringste Zugeständnis zu machen, hegte
er seine schroffen Kanten mit aller Eigenliebe, glaubte sein innerstes Wesen
gefährdet, wenn er um anderer willen den geringsten bizarren Einfall hätte
unterdrücken sollen. Die Frömmigkeit der Eltern verstärkte in ihm den Hang
zu ungeheuerlichen Blasphemien. Ihre zärtliche Liebe, die ihm weichlich und
mannwidrig erschien, verhärtete sein Herz gegen jedes weiche Gefühl; in keinem
seiner Briefe an Freunde und Gönner ist das geringste Zeichen herzlicher Innigkeit
vorhanden. Selbst die Briefe an die Eltern, aus denen hin und wieder zarte
Regungen hervorlugen, sind „genialisch" stilisiert, kalt zurechtgemacht, in wildem
Durcheinander, scheinbarem Ungestüm, doch klug auf den Eindruck berechnet.
Was anderen half, schadete ihm. Die Härte des Westfalen vermischte sich
mit der Reizbarkeit des modernen romantischen Geistes. Auch die Selbstironie
des zünftigen Romantikers fehlte nicht. Durch sein ganzes Wesen ging von
Jugend auf der verhängnisvolle Riß, die völlige Disharmonie des Wesens, die
in seinen Gesichtszügen ein erschreckendes Abbild fand. Keins der erhaltenen
Bilder lehrt das so deutlich wie die Beschreibung Immermanns, die freilich
schon symbolisiert und deshalb nach beiden Seiten übertreibt, aber im Grunde
übereinstimmt mit den Schilderungen anderer: „Eine Stirn, hoch, oval gewölbt,
wie ich sie nur in Shakespeares Bildnis von ähnlicher Pracht gesehen habe,
darunter große, geisterhaft weite Augenhöhlen und Augen von tiefer, seelenvoller
Bläue, eine zierlich gebildete Nase; bis dahin — das dünne, fahle Haar, welches
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