Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Über Wilhelm Gstwcilds Aulturxhilosophie

Daraus ergibt sich auch sofort die Beantwortung der zweiten Frage nach dein
wünschenswerten Umfange der Kaisermanöver. Bei ihnen muß auf jeder Seite
eine Armee aufgestellt werden, also mindestens drei bis vier Armeekorps mit
einer oder mehreren Kavalleriedivisionen unter einem besonderen Armee¬
oberkommando. Auf diesen Umfang weist auch die Tatsache hin, daß gerade
die wichtigsten technischen Einrichtungen, sowie der ganze Verpflegungs- und
Nachschubdienst auf die Armee zugeschnitten sind und daß die Armeeoberkommandos
die grundlegenden Bestimmungen in dieser Hinsicht zu erlassen haben. Nur wenn
wenigstens einmal im Jahre Gelegenheit gegeben ist, alle diese Dienstzweige in
wirklich kriegsmäßiger Weise zu üben, wird man die durchaus notwendigen
Erfahrungen sammeln und Führer, Stäbe und Truppen in Hinsicht auf den
bevorstehenden "großen Krieg der Neuzeit" wirklich ausbilden. Es ist dies eine
Forderung, der man sich auf die Dauer nicht wird verschließen können.




Über Wilhelm Ostwalds Rulturphilosophie
von Dr. Wilhelm Martin Becker
Staat und Menschheit

Wenn Ostwald die Nützlichkeit der Zukunftsvorhersage veranschaulichen will,
gerät er in flach utilitaristische Sphären. Er betont, wieviel sicherer und besser
das Leben gestaltet werden kann, wenn wir in der Lage sind, die naturwissen¬
schaftlich erreichbaren, z. B. meteorologischen Vorhersagungen zu machen usw., ja
wieviel leichter die äußeren Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins doch
schon heute zu gewinnen sind als noch vor einem Jahrhundert, kurz wieviel leichter
die Menschen heute glücklich werden können als in alten Zeiten. Die zerstörenden
Gewalten der Natur sind durch des Menschen Hand gebändigt, Seuchen und Pest
haben ihre Schrecken verloren, das Behagen am Lebens?!) und die Lebensdauer
werden gesteigert, kurz die Naturkräfte, von denen noch Goethe behauptet hat, daß
wir nach ihren ewigen, ehernen, großen Gesetzen unseres Daseins Kreise vollenden
müssen, sind heute nichts mehr als unsere Haustiere, die für den Menschen arbeiten.
^ Ja freilich, wie herrlich weit haben wir es doch gebracht! Und wie reuevoll
würde Goethe heute sein Unrecht einsehen!

Nun, nicht immer läßt Ostwald die Menschheit sich in diesem selbstgefällig
phrasenhaften Tone ein gutes Zeugnis ausstellen. An anderen Stellen spricht er
mit ernstem Optimismus vom Weltenfortschritt. Ihm bedeutet die Entwicklung
des Menschengeschlechtes "nichts anderes als zunehmende Anpassung an seine
Existenzbedingungen, daher beständig zunehmendes Behagen des Einzelwesens an
seinem Dasein". Zum zweiten Teile dieses Satzes müssen wir allerdings ein
Fragezeichen machen, denn das Behagen hängt doch nicht nur von den äußeren
Bedingungen ab. Und wenn wir Ostwalds Aufsatz "Theorie des Glücks" lesen,


Grenzboten III 1911 45
Über Wilhelm Gstwcilds Aulturxhilosophie

Daraus ergibt sich auch sofort die Beantwortung der zweiten Frage nach dein
wünschenswerten Umfange der Kaisermanöver. Bei ihnen muß auf jeder Seite
eine Armee aufgestellt werden, also mindestens drei bis vier Armeekorps mit
einer oder mehreren Kavalleriedivisionen unter einem besonderen Armee¬
oberkommando. Auf diesen Umfang weist auch die Tatsache hin, daß gerade
die wichtigsten technischen Einrichtungen, sowie der ganze Verpflegungs- und
Nachschubdienst auf die Armee zugeschnitten sind und daß die Armeeoberkommandos
die grundlegenden Bestimmungen in dieser Hinsicht zu erlassen haben. Nur wenn
wenigstens einmal im Jahre Gelegenheit gegeben ist, alle diese Dienstzweige in
wirklich kriegsmäßiger Weise zu üben, wird man die durchaus notwendigen
Erfahrungen sammeln und Führer, Stäbe und Truppen in Hinsicht auf den
bevorstehenden „großen Krieg der Neuzeit" wirklich ausbilden. Es ist dies eine
Forderung, der man sich auf die Dauer nicht wird verschließen können.




Über Wilhelm Ostwalds Rulturphilosophie
von Dr. Wilhelm Martin Becker
Staat und Menschheit

Wenn Ostwald die Nützlichkeit der Zukunftsvorhersage veranschaulichen will,
gerät er in flach utilitaristische Sphären. Er betont, wieviel sicherer und besser
das Leben gestaltet werden kann, wenn wir in der Lage sind, die naturwissen¬
schaftlich erreichbaren, z. B. meteorologischen Vorhersagungen zu machen usw., ja
wieviel leichter die äußeren Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins doch
schon heute zu gewinnen sind als noch vor einem Jahrhundert, kurz wieviel leichter
die Menschen heute glücklich werden können als in alten Zeiten. Die zerstörenden
Gewalten der Natur sind durch des Menschen Hand gebändigt, Seuchen und Pest
haben ihre Schrecken verloren, das Behagen am Lebens?!) und die Lebensdauer
werden gesteigert, kurz die Naturkräfte, von denen noch Goethe behauptet hat, daß
wir nach ihren ewigen, ehernen, großen Gesetzen unseres Daseins Kreise vollenden
müssen, sind heute nichts mehr als unsere Haustiere, die für den Menschen arbeiten.
^ Ja freilich, wie herrlich weit haben wir es doch gebracht! Und wie reuevoll
würde Goethe heute sein Unrecht einsehen!

Nun, nicht immer läßt Ostwald die Menschheit sich in diesem selbstgefällig
phrasenhaften Tone ein gutes Zeugnis ausstellen. An anderen Stellen spricht er
mit ernstem Optimismus vom Weltenfortschritt. Ihm bedeutet die Entwicklung
des Menschengeschlechtes „nichts anderes als zunehmende Anpassung an seine
Existenzbedingungen, daher beständig zunehmendes Behagen des Einzelwesens an
seinem Dasein". Zum zweiten Teile dieses Satzes müssen wir allerdings ein
Fragezeichen machen, denn das Behagen hängt doch nicht nur von den äußeren
Bedingungen ab. Und wenn wir Ostwalds Aufsatz „Theorie des Glücks" lesen,


Grenzboten III 1911 45
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319312"/>
          <fw type="header" place="top"> Über Wilhelm Gstwcilds Aulturxhilosophie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1841"> Daraus ergibt sich auch sofort die Beantwortung der zweiten Frage nach dein<lb/>
wünschenswerten Umfange der Kaisermanöver. Bei ihnen muß auf jeder Seite<lb/>
eine Armee aufgestellt werden, also mindestens drei bis vier Armeekorps mit<lb/>
einer oder mehreren Kavalleriedivisionen unter einem besonderen Armee¬<lb/>
oberkommando. Auf diesen Umfang weist auch die Tatsache hin, daß gerade<lb/>
die wichtigsten technischen Einrichtungen, sowie der ganze Verpflegungs- und<lb/>
Nachschubdienst auf die Armee zugeschnitten sind und daß die Armeeoberkommandos<lb/>
die grundlegenden Bestimmungen in dieser Hinsicht zu erlassen haben. Nur wenn<lb/>
wenigstens einmal im Jahre Gelegenheit gegeben ist, alle diese Dienstzweige in<lb/>
wirklich kriegsmäßiger Weise zu üben, wird man die durchaus notwendigen<lb/>
Erfahrungen sammeln und Führer, Stäbe und Truppen in Hinsicht auf den<lb/>
bevorstehenden &#x201E;großen Krieg der Neuzeit" wirklich ausbilden. Es ist dies eine<lb/>
Forderung, der man sich auf die Dauer nicht wird verschließen können.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Über Wilhelm Ostwalds Rulturphilosophie<lb/><note type="byline"> von Dr. Wilhelm Martin Becker</note></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Staat und Menschheit</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1842"> Wenn Ostwald die Nützlichkeit der Zukunftsvorhersage veranschaulichen will,<lb/>
gerät er in flach utilitaristische Sphären. Er betont, wieviel sicherer und besser<lb/>
das Leben gestaltet werden kann, wenn wir in der Lage sind, die naturwissen¬<lb/>
schaftlich erreichbaren, z. B. meteorologischen Vorhersagungen zu machen usw., ja<lb/>
wieviel leichter die äußeren Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins doch<lb/>
schon heute zu gewinnen sind als noch vor einem Jahrhundert, kurz wieviel leichter<lb/>
die Menschen heute glücklich werden können als in alten Zeiten. Die zerstörenden<lb/>
Gewalten der Natur sind durch des Menschen Hand gebändigt, Seuchen und Pest<lb/>
haben ihre Schrecken verloren, das Behagen am Lebens?!) und die Lebensdauer<lb/>
werden gesteigert, kurz die Naturkräfte, von denen noch Goethe behauptet hat, daß<lb/>
wir nach ihren ewigen, ehernen, großen Gesetzen unseres Daseins Kreise vollenden<lb/>
müssen, sind heute nichts mehr als unsere Haustiere, die für den Menschen arbeiten.<lb/>
^ Ja freilich, wie herrlich weit haben wir es doch gebracht! Und wie reuevoll<lb/>
würde Goethe heute sein Unrecht einsehen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1843" next="#ID_1844"> Nun, nicht immer läßt Ostwald die Menschheit sich in diesem selbstgefällig<lb/>
phrasenhaften Tone ein gutes Zeugnis ausstellen. An anderen Stellen spricht er<lb/>
mit ernstem Optimismus vom Weltenfortschritt. Ihm bedeutet die Entwicklung<lb/>
des Menschengeschlechtes &#x201E;nichts anderes als zunehmende Anpassung an seine<lb/>
Existenzbedingungen, daher beständig zunehmendes Behagen des Einzelwesens an<lb/>
seinem Dasein". Zum zweiten Teile dieses Satzes müssen wir allerdings ein<lb/>
Fragezeichen machen, denn das Behagen hängt doch nicht nur von den äußeren<lb/>
Bedingungen ab. Und wenn wir Ostwalds Aufsatz &#x201E;Theorie des Glücks" lesen,</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1911 45</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] Über Wilhelm Gstwcilds Aulturxhilosophie Daraus ergibt sich auch sofort die Beantwortung der zweiten Frage nach dein wünschenswerten Umfange der Kaisermanöver. Bei ihnen muß auf jeder Seite eine Armee aufgestellt werden, also mindestens drei bis vier Armeekorps mit einer oder mehreren Kavalleriedivisionen unter einem besonderen Armee¬ oberkommando. Auf diesen Umfang weist auch die Tatsache hin, daß gerade die wichtigsten technischen Einrichtungen, sowie der ganze Verpflegungs- und Nachschubdienst auf die Armee zugeschnitten sind und daß die Armeeoberkommandos die grundlegenden Bestimmungen in dieser Hinsicht zu erlassen haben. Nur wenn wenigstens einmal im Jahre Gelegenheit gegeben ist, alle diese Dienstzweige in wirklich kriegsmäßiger Weise zu üben, wird man die durchaus notwendigen Erfahrungen sammeln und Führer, Stäbe und Truppen in Hinsicht auf den bevorstehenden „großen Krieg der Neuzeit" wirklich ausbilden. Es ist dies eine Forderung, der man sich auf die Dauer nicht wird verschließen können. Über Wilhelm Ostwalds Rulturphilosophie von Dr. Wilhelm Martin Becker Staat und Menschheit Wenn Ostwald die Nützlichkeit der Zukunftsvorhersage veranschaulichen will, gerät er in flach utilitaristische Sphären. Er betont, wieviel sicherer und besser das Leben gestaltet werden kann, wenn wir in der Lage sind, die naturwissen¬ schaftlich erreichbaren, z. B. meteorologischen Vorhersagungen zu machen usw., ja wieviel leichter die äußeren Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins doch schon heute zu gewinnen sind als noch vor einem Jahrhundert, kurz wieviel leichter die Menschen heute glücklich werden können als in alten Zeiten. Die zerstörenden Gewalten der Natur sind durch des Menschen Hand gebändigt, Seuchen und Pest haben ihre Schrecken verloren, das Behagen am Lebens?!) und die Lebensdauer werden gesteigert, kurz die Naturkräfte, von denen noch Goethe behauptet hat, daß wir nach ihren ewigen, ehernen, großen Gesetzen unseres Daseins Kreise vollenden müssen, sind heute nichts mehr als unsere Haustiere, die für den Menschen arbeiten. ^ Ja freilich, wie herrlich weit haben wir es doch gebracht! Und wie reuevoll würde Goethe heute sein Unrecht einsehen! Nun, nicht immer läßt Ostwald die Menschheit sich in diesem selbstgefällig phrasenhaften Tone ein gutes Zeugnis ausstellen. An anderen Stellen spricht er mit ernstem Optimismus vom Weltenfortschritt. Ihm bedeutet die Entwicklung des Menschengeschlechtes „nichts anderes als zunehmende Anpassung an seine Existenzbedingungen, daher beständig zunehmendes Behagen des Einzelwesens an seinem Dasein". Zum zweiten Teile dieses Satzes müssen wir allerdings ein Fragezeichen machen, denn das Behagen hängt doch nicht nur von den äußeren Bedingungen ab. Und wenn wir Ostwalds Aufsatz „Theorie des Glücks" lesen, Grenzboten III 1911 45

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/365>, abgerufen am 29.12.2024.