Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bedeutung großer Armcemanövcr

weil sie im Kriege eben täglich vorkommen. Ihre Kenntnis, die sich nur durch
praktische Erfahrung gewinnen läßt, wird allein den Führer verhüten, nicht
erfüllbare Forderungen zu stellen und seine Zeit und Naumberechnungen auf
einer Grundlage aufzubauen, die unzutreffend ist.

Wie wichtig es ist, daß solche neuen technischen Mittel fortlaufend benutzt
werden, damit sie anch zweckmäßig und richtig verwendet werden, hat sich z. B.
bei der Einführung des Feldfernsprechers gezeigt. Bekanntlich sind die General¬
kommandos und die Infanteriedivisionen mit je einer solchen Abteilung aus¬
gerüstet. Sie dienen hauptsächlich dazu, die erwähnten Kommandostellen im
Gefecht miteinander zu verbinden. Für den Zustand der Ruhe, den Vorposten¬
dienst, für die gewöhnliche Befehlsausgabe abends oder in der Nacht waren sie
nicht bestimmt. Es war aber verführerisch, sie auch dazu zu verwenden, weil
infolge der leichten Wagenkonstruktion, der besonders sinnreich gebauten Apparate,
der ausschließlichen Verwendung von Kabel, das sich im Notfalle ohne weiteres
auf den Erdboden legen ließ, die Herstellung der Verbindungen schnell vonstatten
ging. Bei den ersten Übungen, wo diese neuen Abteilungen auftraten, wurden
sie auch in dieser falschen Weise benutzt, bis es sich zeigte, daß eine derartige
Verwendung als Ausnahmefall wohl möglich war, bei längerer Zeit aber die
Kräfte des Personals und Materials derart in Anspruch uneben, daß sie bald
ganz versagten und schließlich auch nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck ver¬
fügbar waren und den Führer gerade in den wichtigsten Momenten im Stiche
ließen. Es bedürfte solcher harten und bitteren Erfahrungen, bis die Führer
sich an einen praktischen Gebrauch gewöhnten und sich selbst gewissermaßen in der
Benutzung Einschränkungen auferlegten, um sie gebrauchsfähig zu erhalten.

Der Feldfernsprecher bietet den großen Vorteil, daß sich mit seiner Hilfe
die einzelnen Führer bezw. deren Generalstabsosfiziere und Chefs der Stäbe
unmittelbar miteinander unterhalten können. Gewiß ein unleugbarer Vorteil!
Was hätte Napoleon dafür gegeben, wenn er sich von Dresden aus so mit dem
auf Berlin entsendeten Marschall Ney hätte in Verbindung setzen können. Es
liegt aber in dieser Möglichkeit einer beinahe unbegrenzten persönliche?: Unter¬
redung auch wieder eine große Gefahr, die nicht übersehen werden darf. Energische
Persönlichkeiten, die alles gern selbst anordnen, die ihrem Willen überall Aus¬
druck geben wollen, werden häufig Befehle geben und in den Befehlsbereich
ihrer Unterführer eingreifen, wo dies früher durch die räumliche Ausdehnung
gänzlich ausgeschlossen war. Umgekehrt werden schwächere, unselbständige
Naturen -- und deren gibt es überall mehr, als man denkt -- sich schwieriger
und seltener zu einem selbständigen Entschluß aufraffen, sondern häufig erst bei
der vorgesetzten Stelle anfragen und um Verhaltungsmaßregeln bitten. Mit
Hilfe des Fernsprechers ist dies ja leicht. Es steht also zu befürchten, daß die
Selbständigkeit und Entschlußfreudigkeit der Unterführer dadurch Einbuße erleidet.
Nun verdanken wir aber gerade dieser Initiative der Führer, bis zu den untersten
Graden hinab, unsere großen Erfolge in den früheren siegreichen Feldzügen.


Die Bedeutung großer Armcemanövcr

weil sie im Kriege eben täglich vorkommen. Ihre Kenntnis, die sich nur durch
praktische Erfahrung gewinnen läßt, wird allein den Führer verhüten, nicht
erfüllbare Forderungen zu stellen und seine Zeit und Naumberechnungen auf
einer Grundlage aufzubauen, die unzutreffend ist.

Wie wichtig es ist, daß solche neuen technischen Mittel fortlaufend benutzt
werden, damit sie anch zweckmäßig und richtig verwendet werden, hat sich z. B.
bei der Einführung des Feldfernsprechers gezeigt. Bekanntlich sind die General¬
kommandos und die Infanteriedivisionen mit je einer solchen Abteilung aus¬
gerüstet. Sie dienen hauptsächlich dazu, die erwähnten Kommandostellen im
Gefecht miteinander zu verbinden. Für den Zustand der Ruhe, den Vorposten¬
dienst, für die gewöhnliche Befehlsausgabe abends oder in der Nacht waren sie
nicht bestimmt. Es war aber verführerisch, sie auch dazu zu verwenden, weil
infolge der leichten Wagenkonstruktion, der besonders sinnreich gebauten Apparate,
der ausschließlichen Verwendung von Kabel, das sich im Notfalle ohne weiteres
auf den Erdboden legen ließ, die Herstellung der Verbindungen schnell vonstatten
ging. Bei den ersten Übungen, wo diese neuen Abteilungen auftraten, wurden
sie auch in dieser falschen Weise benutzt, bis es sich zeigte, daß eine derartige
Verwendung als Ausnahmefall wohl möglich war, bei längerer Zeit aber die
Kräfte des Personals und Materials derart in Anspruch uneben, daß sie bald
ganz versagten und schließlich auch nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck ver¬
fügbar waren und den Führer gerade in den wichtigsten Momenten im Stiche
ließen. Es bedürfte solcher harten und bitteren Erfahrungen, bis die Führer
sich an einen praktischen Gebrauch gewöhnten und sich selbst gewissermaßen in der
Benutzung Einschränkungen auferlegten, um sie gebrauchsfähig zu erhalten.

Der Feldfernsprecher bietet den großen Vorteil, daß sich mit seiner Hilfe
die einzelnen Führer bezw. deren Generalstabsosfiziere und Chefs der Stäbe
unmittelbar miteinander unterhalten können. Gewiß ein unleugbarer Vorteil!
Was hätte Napoleon dafür gegeben, wenn er sich von Dresden aus so mit dem
auf Berlin entsendeten Marschall Ney hätte in Verbindung setzen können. Es
liegt aber in dieser Möglichkeit einer beinahe unbegrenzten persönliche?: Unter¬
redung auch wieder eine große Gefahr, die nicht übersehen werden darf. Energische
Persönlichkeiten, die alles gern selbst anordnen, die ihrem Willen überall Aus¬
druck geben wollen, werden häufig Befehle geben und in den Befehlsbereich
ihrer Unterführer eingreifen, wo dies früher durch die räumliche Ausdehnung
gänzlich ausgeschlossen war. Umgekehrt werden schwächere, unselbständige
Naturen — und deren gibt es überall mehr, als man denkt — sich schwieriger
und seltener zu einem selbständigen Entschluß aufraffen, sondern häufig erst bei
der vorgesetzten Stelle anfragen und um Verhaltungsmaßregeln bitten. Mit
Hilfe des Fernsprechers ist dies ja leicht. Es steht also zu befürchten, daß die
Selbständigkeit und Entschlußfreudigkeit der Unterführer dadurch Einbuße erleidet.
Nun verdanken wir aber gerade dieser Initiative der Führer, bis zu den untersten
Graden hinab, unsere großen Erfolge in den früheren siegreichen Feldzügen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319305"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung großer Armcemanövcr</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1819" prev="#ID_1818"> weil sie im Kriege eben täglich vorkommen. Ihre Kenntnis, die sich nur durch<lb/>
praktische Erfahrung gewinnen läßt, wird allein den Führer verhüten, nicht<lb/>
erfüllbare Forderungen zu stellen und seine Zeit und Naumberechnungen auf<lb/>
einer Grundlage aufzubauen, die unzutreffend ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1820"> Wie wichtig es ist, daß solche neuen technischen Mittel fortlaufend benutzt<lb/>
werden, damit sie anch zweckmäßig und richtig verwendet werden, hat sich z. B.<lb/>
bei der Einführung des Feldfernsprechers gezeigt. Bekanntlich sind die General¬<lb/>
kommandos und die Infanteriedivisionen mit je einer solchen Abteilung aus¬<lb/>
gerüstet. Sie dienen hauptsächlich dazu, die erwähnten Kommandostellen im<lb/>
Gefecht miteinander zu verbinden. Für den Zustand der Ruhe, den Vorposten¬<lb/>
dienst, für die gewöhnliche Befehlsausgabe abends oder in der Nacht waren sie<lb/>
nicht bestimmt. Es war aber verführerisch, sie auch dazu zu verwenden, weil<lb/>
infolge der leichten Wagenkonstruktion, der besonders sinnreich gebauten Apparate,<lb/>
der ausschließlichen Verwendung von Kabel, das sich im Notfalle ohne weiteres<lb/>
auf den Erdboden legen ließ, die Herstellung der Verbindungen schnell vonstatten<lb/>
ging. Bei den ersten Übungen, wo diese neuen Abteilungen auftraten, wurden<lb/>
sie auch in dieser falschen Weise benutzt, bis es sich zeigte, daß eine derartige<lb/>
Verwendung als Ausnahmefall wohl möglich war, bei längerer Zeit aber die<lb/>
Kräfte des Personals und Materials derart in Anspruch uneben, daß sie bald<lb/>
ganz versagten und schließlich auch nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck ver¬<lb/>
fügbar waren und den Führer gerade in den wichtigsten Momenten im Stiche<lb/>
ließen. Es bedürfte solcher harten und bitteren Erfahrungen, bis die Führer<lb/>
sich an einen praktischen Gebrauch gewöhnten und sich selbst gewissermaßen in der<lb/>
Benutzung Einschränkungen auferlegten, um sie gebrauchsfähig zu erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1821" next="#ID_1822"> Der Feldfernsprecher bietet den großen Vorteil, daß sich mit seiner Hilfe<lb/>
die einzelnen Führer bezw. deren Generalstabsosfiziere und Chefs der Stäbe<lb/>
unmittelbar miteinander unterhalten können. Gewiß ein unleugbarer Vorteil!<lb/>
Was hätte Napoleon dafür gegeben, wenn er sich von Dresden aus so mit dem<lb/>
auf Berlin entsendeten Marschall Ney hätte in Verbindung setzen können. Es<lb/>
liegt aber in dieser Möglichkeit einer beinahe unbegrenzten persönliche?: Unter¬<lb/>
redung auch wieder eine große Gefahr, die nicht übersehen werden darf. Energische<lb/>
Persönlichkeiten, die alles gern selbst anordnen, die ihrem Willen überall Aus¬<lb/>
druck geben wollen, werden häufig Befehle geben und in den Befehlsbereich<lb/>
ihrer Unterführer eingreifen, wo dies früher durch die räumliche Ausdehnung<lb/>
gänzlich ausgeschlossen war. Umgekehrt werden schwächere, unselbständige<lb/>
Naturen &#x2014; und deren gibt es überall mehr, als man denkt &#x2014; sich schwieriger<lb/>
und seltener zu einem selbständigen Entschluß aufraffen, sondern häufig erst bei<lb/>
der vorgesetzten Stelle anfragen und um Verhaltungsmaßregeln bitten. Mit<lb/>
Hilfe des Fernsprechers ist dies ja leicht. Es steht also zu befürchten, daß die<lb/>
Selbständigkeit und Entschlußfreudigkeit der Unterführer dadurch Einbuße erleidet.<lb/>
Nun verdanken wir aber gerade dieser Initiative der Führer, bis zu den untersten<lb/>
Graden hinab, unsere großen Erfolge in den früheren siegreichen Feldzügen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0358] Die Bedeutung großer Armcemanövcr weil sie im Kriege eben täglich vorkommen. Ihre Kenntnis, die sich nur durch praktische Erfahrung gewinnen läßt, wird allein den Führer verhüten, nicht erfüllbare Forderungen zu stellen und seine Zeit und Naumberechnungen auf einer Grundlage aufzubauen, die unzutreffend ist. Wie wichtig es ist, daß solche neuen technischen Mittel fortlaufend benutzt werden, damit sie anch zweckmäßig und richtig verwendet werden, hat sich z. B. bei der Einführung des Feldfernsprechers gezeigt. Bekanntlich sind die General¬ kommandos und die Infanteriedivisionen mit je einer solchen Abteilung aus¬ gerüstet. Sie dienen hauptsächlich dazu, die erwähnten Kommandostellen im Gefecht miteinander zu verbinden. Für den Zustand der Ruhe, den Vorposten¬ dienst, für die gewöhnliche Befehlsausgabe abends oder in der Nacht waren sie nicht bestimmt. Es war aber verführerisch, sie auch dazu zu verwenden, weil infolge der leichten Wagenkonstruktion, der besonders sinnreich gebauten Apparate, der ausschließlichen Verwendung von Kabel, das sich im Notfalle ohne weiteres auf den Erdboden legen ließ, die Herstellung der Verbindungen schnell vonstatten ging. Bei den ersten Übungen, wo diese neuen Abteilungen auftraten, wurden sie auch in dieser falschen Weise benutzt, bis es sich zeigte, daß eine derartige Verwendung als Ausnahmefall wohl möglich war, bei längerer Zeit aber die Kräfte des Personals und Materials derart in Anspruch uneben, daß sie bald ganz versagten und schließlich auch nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck ver¬ fügbar waren und den Führer gerade in den wichtigsten Momenten im Stiche ließen. Es bedürfte solcher harten und bitteren Erfahrungen, bis die Führer sich an einen praktischen Gebrauch gewöhnten und sich selbst gewissermaßen in der Benutzung Einschränkungen auferlegten, um sie gebrauchsfähig zu erhalten. Der Feldfernsprecher bietet den großen Vorteil, daß sich mit seiner Hilfe die einzelnen Führer bezw. deren Generalstabsosfiziere und Chefs der Stäbe unmittelbar miteinander unterhalten können. Gewiß ein unleugbarer Vorteil! Was hätte Napoleon dafür gegeben, wenn er sich von Dresden aus so mit dem auf Berlin entsendeten Marschall Ney hätte in Verbindung setzen können. Es liegt aber in dieser Möglichkeit einer beinahe unbegrenzten persönliche?: Unter¬ redung auch wieder eine große Gefahr, die nicht übersehen werden darf. Energische Persönlichkeiten, die alles gern selbst anordnen, die ihrem Willen überall Aus¬ druck geben wollen, werden häufig Befehle geben und in den Befehlsbereich ihrer Unterführer eingreifen, wo dies früher durch die räumliche Ausdehnung gänzlich ausgeschlossen war. Umgekehrt werden schwächere, unselbständige Naturen — und deren gibt es überall mehr, als man denkt — sich schwieriger und seltener zu einem selbständigen Entschluß aufraffen, sondern häufig erst bei der vorgesetzten Stelle anfragen und um Verhaltungsmaßregeln bitten. Mit Hilfe des Fernsprechers ist dies ja leicht. Es steht also zu befürchten, daß die Selbständigkeit und Entschlußfreudigkeit der Unterführer dadurch Einbuße erleidet. Nun verdanken wir aber gerade dieser Initiative der Führer, bis zu den untersten Graden hinab, unsere großen Erfolge in den früheren siegreichen Feldzügen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/358
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/358>, abgerufen am 04.01.2025.