Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] jähriger Dienstzeit einnehmen würden, hätte Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] jähriger Dienstzeit einnehmen würden, hätte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319282"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p> jähriger Dienstzeit einnehmen würden, hätte<lb/> man auch eine besondere Charge nebst Titel<lb/> zu gewähren. Im übrigen aber sollen wir<lb/> uns sehr davor hüten, zwischen den erprobten<lb/> Unteroffiziersstand, wie er sich bei der Armee<lb/> entwickelt hat, und den Offiziersstand eine<lb/> Vorgesetztenkategorie einzuschieben, die sowohl<lb/> nach Vorbildung wie nach VerwendungS-<lb/> art nicht in den Führungsorganismus hinein¬<lb/> paßt. — Nun will ich gerne zugeben, daß<lb/> zum Beispiel mancher Kompngniechef, der<lb/> lediglich die Ausbildung seiner Kompagnie<lb/> für die nächste Besichtigung im Auge hat,<lb/> lieber mit altgedienter FeldwebclleutnantS<lb/> arbeiten würde als mit jungen Offizieren,<lb/> weil er der schwierigeren Aufgabe, die jungen<lb/> Offiziere zu erziehen und als Führer heran¬<lb/> zubilden, sich nicht gewachsen fühlt. Für<lb/> unsere kriegerische Betätigung und eine wirklich<lb/> kriegSmäßigc Ausbildung kann der junge,<lb/> frische, wagemutige Offizier mit seinem hin¬<lb/> reißenden Einfluß auf die Mannschaft niemals<lb/> durch ältere Unteroffiziere, nenne man sie wie<lb/> man wolle, ersetzt werden. Wir haben eben beim<lb/> Lcmdhcer nicht Kriegsmaschinen, die bewegt, ge¬<lb/> führt und zur Wirkung gebracht werden müssen,<lb/> sondern Menschen mit starken und schwachen<lb/> Herzen, wo den psychologischen Impondera¬<lb/> bilien eine ganz andere Bedeutung zukommt,<lb/> als bei dem einzelnen Manne der Besatzung<lb/> eines Kriegsschiffs. Hier ist die durch eisernen<lb/> Zwang erreichte und unter dem Druck völliger<lb/> Abgeschlossenheit auf dem Meere zusammen¬<lb/> gehaltene Disziplin das beste und — man<lb/> kann wohl sagen — einzige Mittel der Er¬<lb/> ziehung des Mannes zur Pflicht. Beim<lb/> Lcmdhcer, wo bei Infanterie, Kavallerie im<lb/> Feuergefecht der zerstreuten Ordnung jeder<lb/> einzelne Musketier und Dragoner selbsttätiger,<lb/> auf sich selbst angewiesener Kämpfer ist, müssen<lb/> wir mehr verlangen als die Disziplin. Jeden:<lb/> Musketier muß der Siegeswille im Herzen<lb/> sitzen, vorwärts zu gehen an den Feind heran,<lb/> für sich allein entschlossen, während beim<lb/> Kampf zur See der einzelne Mann an seiner<lb/> Maschine steht, vom Schisfspcmzer und dem<cb/><lb/> Panzer der Disziplin umschlossen, die auf<lb/> elektrischen! oder anderem Wege übermittelten<lb/> Befehle seiner Vorgesetzten ausführt, nach dem<lb/> Willen des Kapitäns, solange das Steuer<lb/> gehorcht, hier- oder dorthin geführt wird,<lb/> wohin weiß er nicht; nur eines weiß er, daß<lb/> er für seine einzelne Person willenlos dem<lb/> Geschicke des Schiffes zu folgen hat und daß<lb/> daS Meer dem einzelnen kein Entrinnen bietet. Um die Selbsttätigkeit des Kämpfers zu<lb/> Lande zu wecken und heranzubilden, bedürfen<lb/> wir einer Führerorganisation, wie sie sich<lb/> historisch beim Landheer herausgebildet hat.<lb/> Dem jungen Offizier fallen dabei ganz andere<lb/> Aufgaben zu als dem jungen Seeoffizier,<lb/> ebenso wie das Wesen der Marine, ihre<lb/> Kanrpfweise und Organisation grundverschieden<lb/> sind vom Landheer, so daß wir nicht berechtigt<lb/> sind, Einrichtungen der Marine für das Land¬<lb/> heer zu empfehlen, nur weil sie sich dort be¬<lb/> währt haben. Z. B. spielt die Gleichartigkeit<lb/> des Offizierkorps der Truppenteile des Lcmd-<lb/> heereS eine so wichtige und für die Führer¬<lb/> erziehung geradezu entscheidende Rolle, daß<lb/> eS unmöglich wäre, den Offiziersersatz wie<lb/> bei der Marine zu regeln, ohne die innere<lb/> Kraft des Heeres schwer zu schädigen. Ich weiß nicht, ob ich in meinen Aus¬<lb/> führungen verständlich genug war. Was ich<lb/> meine, ist, daß ich in einer Art „Deckoffizieren"<lb/> für das Landheer kein Heil erblicken kann,<lb/> weil eS ein fremdes Reis ist, das dem Boden<lb/> des Heeres nicht entsproßt. Freilich dürfen<lb/> wir in der Armee die soziale Entwicklung der<lb/> Nation nicht negieren. Für unsere Unter¬<lb/> offiziere von heute sorgen wir in dieser Rich¬<lb/> tung am besten und entsprechen damit auch<lb/> den Bedürfnissen deS Heeres, wenn wir sie,<lb/> besonders mit zunehmenden Dienstjahren,<lb/> pekuniär besser stellen und ihre Zivilversorgung<lb/> nach längerer Dienstzeit bessern. Diese beiden<lb/> Punkte bleiben die Hauptsache; alle anderen<lb/> Mittel nützen wonig und sind vielleicht manch¬<lb/> mal geeignet, der Armee mehr zu schaden<lb/><note type="byline"> G.</note> als den Unteroffizieren zu nützen. <cb type="end"/><lb/><lb/> </p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
jähriger Dienstzeit einnehmen würden, hätte
man auch eine besondere Charge nebst Titel
zu gewähren. Im übrigen aber sollen wir
uns sehr davor hüten, zwischen den erprobten
Unteroffiziersstand, wie er sich bei der Armee
entwickelt hat, und den Offiziersstand eine
Vorgesetztenkategorie einzuschieben, die sowohl
nach Vorbildung wie nach VerwendungS-
art nicht in den Führungsorganismus hinein¬
paßt. — Nun will ich gerne zugeben, daß
zum Beispiel mancher Kompngniechef, der
lediglich die Ausbildung seiner Kompagnie
für die nächste Besichtigung im Auge hat,
lieber mit altgedienter FeldwebclleutnantS
arbeiten würde als mit jungen Offizieren,
weil er der schwierigeren Aufgabe, die jungen
Offiziere zu erziehen und als Führer heran¬
zubilden, sich nicht gewachsen fühlt. Für
unsere kriegerische Betätigung und eine wirklich
kriegSmäßigc Ausbildung kann der junge,
frische, wagemutige Offizier mit seinem hin¬
reißenden Einfluß auf die Mannschaft niemals
durch ältere Unteroffiziere, nenne man sie wie
man wolle, ersetzt werden. Wir haben eben beim
Lcmdhcer nicht Kriegsmaschinen, die bewegt, ge¬
führt und zur Wirkung gebracht werden müssen,
sondern Menschen mit starken und schwachen
Herzen, wo den psychologischen Impondera¬
bilien eine ganz andere Bedeutung zukommt,
als bei dem einzelnen Manne der Besatzung
eines Kriegsschiffs. Hier ist die durch eisernen
Zwang erreichte und unter dem Druck völliger
Abgeschlossenheit auf dem Meere zusammen¬
gehaltene Disziplin das beste und — man
kann wohl sagen — einzige Mittel der Er¬
ziehung des Mannes zur Pflicht. Beim
Lcmdhcer, wo bei Infanterie, Kavallerie im
Feuergefecht der zerstreuten Ordnung jeder
einzelne Musketier und Dragoner selbsttätiger,
auf sich selbst angewiesener Kämpfer ist, müssen
wir mehr verlangen als die Disziplin. Jeden:
Musketier muß der Siegeswille im Herzen
sitzen, vorwärts zu gehen an den Feind heran,
für sich allein entschlossen, während beim
Kampf zur See der einzelne Mann an seiner
Maschine steht, vom Schisfspcmzer und dem
Panzer der Disziplin umschlossen, die auf
elektrischen! oder anderem Wege übermittelten
Befehle seiner Vorgesetzten ausführt, nach dem
Willen des Kapitäns, solange das Steuer
gehorcht, hier- oder dorthin geführt wird,
wohin weiß er nicht; nur eines weiß er, daß
er für seine einzelne Person willenlos dem
Geschicke des Schiffes zu folgen hat und daß
daS Meer dem einzelnen kein Entrinnen bietet. Um die Selbsttätigkeit des Kämpfers zu
Lande zu wecken und heranzubilden, bedürfen
wir einer Führerorganisation, wie sie sich
historisch beim Landheer herausgebildet hat.
Dem jungen Offizier fallen dabei ganz andere
Aufgaben zu als dem jungen Seeoffizier,
ebenso wie das Wesen der Marine, ihre
Kanrpfweise und Organisation grundverschieden
sind vom Landheer, so daß wir nicht berechtigt
sind, Einrichtungen der Marine für das Land¬
heer zu empfehlen, nur weil sie sich dort be¬
währt haben. Z. B. spielt die Gleichartigkeit
des Offizierkorps der Truppenteile des Lcmd-
heereS eine so wichtige und für die Führer¬
erziehung geradezu entscheidende Rolle, daß
eS unmöglich wäre, den Offiziersersatz wie
bei der Marine zu regeln, ohne die innere
Kraft des Heeres schwer zu schädigen. Ich weiß nicht, ob ich in meinen Aus¬
führungen verständlich genug war. Was ich
meine, ist, daß ich in einer Art „Deckoffizieren"
für das Landheer kein Heil erblicken kann,
weil eS ein fremdes Reis ist, das dem Boden
des Heeres nicht entsproßt. Freilich dürfen
wir in der Armee die soziale Entwicklung der
Nation nicht negieren. Für unsere Unter¬
offiziere von heute sorgen wir in dieser Rich¬
tung am besten und entsprechen damit auch
den Bedürfnissen deS Heeres, wenn wir sie,
besonders mit zunehmenden Dienstjahren,
pekuniär besser stellen und ihre Zivilversorgung
nach längerer Dienstzeit bessern. Diese beiden
Punkte bleiben die Hauptsache; alle anderen
Mittel nützen wonig und sind vielleicht manch¬
mal geeignet, der Armee mehr zu schaden
G. als den Unteroffizieren zu nützen.
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