Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.westfälisches Volksfest Roter Schärpe, halben Söckchen -- Voran die Familienväter Und die Mütter etwas später; Sorglich unterm Mantel hüten Sie versteckt die Kuchentüten. Nah bei der Musiktribüne, Mitten in dein Volksgedränge, Blickt das hochbekränzte, kühne Rednerpodium in die Menge. Auf des Handschuhs feine Randnaht Schaut mit ernstem Blick der Landrat. Und er sucht und sagt sein Bestes Von der Feier dieses Festes. Manchmal, daß er schön betont, Manchmal, daß er leise leiert. Von dein Platze, da er thront, Kurbel er, warum man feiert, Und er heißt, die teilgenommen, Zu dem Feste froh willkommen. Vorne lauscht man seinen Sätzen, Hinten fängt man an zu schwatzen, Bringt auf Seine Majestät Laut ein Hoch und klatscht und geht. Nun kommen die Schulen aufmarschiert, In Reihe und Glied, ist alles studiert. Die Lehrer mäkeln und meistern -- endlich Beginnt man ein Lied, zwar unverständlich; Doch ist das frische, freie Getön Der Kinderstimmen wirklich sehr schön. Abtretend wieder marschiert die Parade Zu Semmel und Himbeerlimonade. Und dann die Männergesangvereine, Bringt jeder heute sein Stückchen ins reine. Ein Lied von der Freiheit, ein Hvmnengesang, Oft kriechend, oft kregel, oft etwas lang. Doch die Schlauen unterdessen Sind schon hingesessen. Jeder brav in seinem Zelt, Froh in seiner Welt. westfälisches Volksfest Roter Schärpe, halben Söckchen — Voran die Familienväter Und die Mütter etwas später; Sorglich unterm Mantel hüten Sie versteckt die Kuchentüten. Nah bei der Musiktribüne, Mitten in dein Volksgedränge, Blickt das hochbekränzte, kühne Rednerpodium in die Menge. Auf des Handschuhs feine Randnaht Schaut mit ernstem Blick der Landrat. Und er sucht und sagt sein Bestes Von der Feier dieses Festes. Manchmal, daß er schön betont, Manchmal, daß er leise leiert. Von dein Platze, da er thront, Kurbel er, warum man feiert, Und er heißt, die teilgenommen, Zu dem Feste froh willkommen. Vorne lauscht man seinen Sätzen, Hinten fängt man an zu schwatzen, Bringt auf Seine Majestät Laut ein Hoch und klatscht und geht. Nun kommen die Schulen aufmarschiert, In Reihe und Glied, ist alles studiert. Die Lehrer mäkeln und meistern — endlich Beginnt man ein Lied, zwar unverständlich; Doch ist das frische, freie Getön Der Kinderstimmen wirklich sehr schön. Abtretend wieder marschiert die Parade Zu Semmel und Himbeerlimonade. Und dann die Männergesangvereine, Bringt jeder heute sein Stückchen ins reine. Ein Lied von der Freiheit, ein Hvmnengesang, Oft kriechend, oft kregel, oft etwas lang. Doch die Schlauen unterdessen Sind schon hingesessen. Jeder brav in seinem Zelt, Froh in seiner Welt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319266"/> <fw type="header" place="top"> westfälisches Volksfest</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_24" type="poem"> <l> Roter Schärpe, halben Söckchen —<lb/> Voran die Familienväter<lb/> Und die Mütter etwas später;<lb/> Sorglich unterm Mantel hüten<lb/> Sie versteckt die Kuchentüten.</l> <l> Nah bei der Musiktribüne,<lb/> Mitten in dein Volksgedränge,<lb/> Blickt das hochbekränzte, kühne<lb/> Rednerpodium in die Menge.<lb/> Auf des Handschuhs feine Randnaht<lb/> Schaut mit ernstem Blick der Landrat.<lb/> Und er sucht und sagt sein Bestes<lb/> Von der Feier dieses Festes.<lb/> Manchmal, daß er schön betont,<lb/> Manchmal, daß er leise leiert.<lb/> Von dein Platze, da er thront,<lb/> Kurbel er, warum man feiert,<lb/> Und er heißt, die teilgenommen,<lb/> Zu dem Feste froh willkommen.<lb/> Vorne lauscht man seinen Sätzen,<lb/> Hinten fängt man an zu schwatzen,<lb/> Bringt auf Seine Majestät<lb/> Laut ein Hoch und klatscht und geht.</l> <l> Nun kommen die Schulen aufmarschiert,<lb/> In Reihe und Glied, ist alles studiert.<lb/> Die Lehrer mäkeln und meistern — endlich<lb/> Beginnt man ein Lied, zwar unverständlich;<lb/> Doch ist das frische, freie Getön<lb/> Der Kinderstimmen wirklich sehr schön.<lb/> Abtretend wieder marschiert die Parade<lb/> Zu Semmel und Himbeerlimonade.<lb/> Und dann die Männergesangvereine,<lb/> Bringt jeder heute sein Stückchen ins reine.<lb/> Ein Lied von der Freiheit, ein Hvmnengesang,<lb/> Oft kriechend, oft kregel, oft etwas lang.</l> <l> Doch die Schlauen unterdessen<lb/> Sind schon hingesessen.<lb/> Jeder brav in seinem Zelt,<lb/> Froh in seiner Welt.</l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
westfälisches Volksfest
Roter Schärpe, halben Söckchen —
Voran die Familienväter
Und die Mütter etwas später;
Sorglich unterm Mantel hüten
Sie versteckt die Kuchentüten. Nah bei der Musiktribüne,
Mitten in dein Volksgedränge,
Blickt das hochbekränzte, kühne
Rednerpodium in die Menge.
Auf des Handschuhs feine Randnaht
Schaut mit ernstem Blick der Landrat.
Und er sucht und sagt sein Bestes
Von der Feier dieses Festes.
Manchmal, daß er schön betont,
Manchmal, daß er leise leiert.
Von dein Platze, da er thront,
Kurbel er, warum man feiert,
Und er heißt, die teilgenommen,
Zu dem Feste froh willkommen.
Vorne lauscht man seinen Sätzen,
Hinten fängt man an zu schwatzen,
Bringt auf Seine Majestät
Laut ein Hoch und klatscht und geht. Nun kommen die Schulen aufmarschiert,
In Reihe und Glied, ist alles studiert.
Die Lehrer mäkeln und meistern — endlich
Beginnt man ein Lied, zwar unverständlich;
Doch ist das frische, freie Getön
Der Kinderstimmen wirklich sehr schön.
Abtretend wieder marschiert die Parade
Zu Semmel und Himbeerlimonade.
Und dann die Männergesangvereine,
Bringt jeder heute sein Stückchen ins reine.
Ein Lied von der Freiheit, ein Hvmnengesang,
Oft kriechend, oft kregel, oft etwas lang. Doch die Schlauen unterdessen
Sind schon hingesessen.
Jeder brav in seinem Zelt,
Froh in seiner Welt.
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