Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Till Lulciispicgcl Sag mal, ist's wahr, daß es auch Leute gibt, Leopold: Die sich den Daumen vom Gehenkten holen? Adam: Den Daumen oder einen Zahn, gewiß! Leopold: Wozu soll das denn nutzen? Bringt viel Kundschaft! Adam: Kundschaft? Ja, wem? Leopold: Dem Brauer! Adam: Was, dem Brauer? Leopold: Was braucht denn der 'nen Daumen? Adam: Er maischt ihn mit im Sud. -- Wenn euch das Bier Heuer besonders schmeckt, dann wißt ihr, daß Leopold: Pfui, Schweinerei! Niklas: Da möcht man gar kein Bier mehr trinken mögen. Leopold: Wenn's nur nicht so verteufelt schmeckte! Niklas: Phe! Seht doch! Seht, seht! Was denn? Was siehst du denn? Leopold: (spöttisch): Er sieht den Gottseibeiuns! Adam Niklas: Kinder, wirklich. Dort schlich ein Mann die Gasse sich herauf. Ach was! Gespenster! Adam: Nein, wahrhaftig, Meister. Niklas: Ich sah es deutlich! Adam: Albernheiten! Was hätte wohl zu dieser Zeit ein Mensch Hier in der Gass zu suchen! -- Faß mal an! Leopold Ein Kerl ist's, so richtig zum Vergraulen. (auf Niklas): Meister, er macht sich wohl vor Angst noch ein. (zu Niklas): Adam Kann er nicht stille halten? -- Pack er sich! Er zittert ja, die Memme! -- (zu Leopold) Halte du! Leopold: Sag mal, du sagtest doch vorhin, ein Zahn Soll auch von Nutzen sein? Adam: Jawohl, bei Mondschein Macht er ein' unsichtbar', das kommt daher, Weil Mond und Galgen stehn in einem Bund. Der Mond und Galgen? Leopold: Hast denn nie bemerkt. Adam: Daß stets der Mond am Rabensteine leuchtet? Leopold: Ja, das ist wahr! Es gibt davon ein Lied. Adam: Ein Lied? Leopold: Adam: Jawohl, ich will es einmal singen. Niklas: Um Gott, doch hier nicht! Leopold: Halt er's Maul, er Memme! Adam "Es sprach der liebe Gott zum Mond: (singt): Grenzboten III 1911 > "
Till Lulciispicgcl Sag mal, ist's wahr, daß es auch Leute gibt, Leopold: Die sich den Daumen vom Gehenkten holen? Adam: Den Daumen oder einen Zahn, gewiß! Leopold: Wozu soll das denn nutzen? Bringt viel Kundschaft! Adam: Kundschaft? Ja, wem? Leopold: Dem Brauer! Adam: Was, dem Brauer? Leopold: Was braucht denn der 'nen Daumen? Adam: Er maischt ihn mit im Sud. — Wenn euch das Bier Heuer besonders schmeckt, dann wißt ihr, daß Leopold: Pfui, Schweinerei! Niklas: Da möcht man gar kein Bier mehr trinken mögen. Leopold: Wenn's nur nicht so verteufelt schmeckte! Niklas: Phe! Seht doch! Seht, seht! Was denn? Was siehst du denn? Leopold: (spöttisch): Er sieht den Gottseibeiuns! Adam Niklas: Kinder, wirklich. Dort schlich ein Mann die Gasse sich herauf. Ach was! Gespenster! Adam: Nein, wahrhaftig, Meister. Niklas: Ich sah es deutlich! Adam: Albernheiten! Was hätte wohl zu dieser Zeit ein Mensch Hier in der Gass zu suchen! — Faß mal an! Leopold Ein Kerl ist's, so richtig zum Vergraulen. (auf Niklas): Meister, er macht sich wohl vor Angst noch ein. (zu Niklas): Adam Kann er nicht stille halten? — Pack er sich! Er zittert ja, die Memme! — (zu Leopold) Halte du! Leopold: Sag mal, du sagtest doch vorhin, ein Zahn Soll auch von Nutzen sein? Adam: Jawohl, bei Mondschein Macht er ein' unsichtbar', das kommt daher, Weil Mond und Galgen stehn in einem Bund. Der Mond und Galgen? Leopold: Hast denn nie bemerkt. Adam: Daß stets der Mond am Rabensteine leuchtet? Leopold: Ja, das ist wahr! Es gibt davon ein Lied. Adam: Ein Lied? Leopold: Adam: Jawohl, ich will es einmal singen. Niklas: Um Gott, doch hier nicht! Leopold: Halt er's Maul, er Memme! Adam „Es sprach der liebe Gott zum Mond: (singt): Grenzboten III 1911 > "
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Till Lulciispicgcl
Sag mal, ist's wahr, daß es auch Leute gibt,
Leopold:
Die sich den Daumen vom Gehenkten holen?
Adam:
Den Daumen oder einen Zahn, gewiß!
Leopold:
Wozu soll das denn nutzen?
Bringt viel Kundschaft!
Adam:
Kundschaft? Ja, wem?
Leopold:
Dem Brauer!
Adam:
Was, dem Brauer?
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Was braucht denn der 'nen Daumen?
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Er maischt ihn mit im Sud. — Wenn euch das Bier
Heuer besonders schmeckt, dann wißt ihr, daß
Ein Daumen mitgekocht.
Leopold:
Pfui, Schweinerei!
Niklas:
Da möcht man gar kein Bier mehr trinken mögen.
Leopold:
Wenn's nur nicht so verteufelt schmeckte!
Niklas:
Phe!
Seht doch! Seht, seht!
Was denn? Was siehst du denn?
Leopold:
(spöttisch):
Er sieht den Gottseibeiuns!
Adam
Niklas:
Kinder, wirklich.
Dort schlich ein Mann die Gasse sich herauf.
Ach was! Gespenster!
Adam:
Nein, wahrhaftig, Meister.
Niklas:
Ich sah es deutlich!
Adam:
Albernheiten!
Was hätte wohl zu dieser Zeit ein Mensch
'
Hier in der Gass zu suchen! — Faß mal an!
Leopold
Ein Kerl ist's, so richtig zum Vergraulen.
(auf Niklas):
Meister, er macht sich wohl vor Angst noch ein.
(zu Niklas):
Adam
Kann er nicht stille halten? — Pack er sich!
Er zittert ja, die Memme! —
(zu Leopold)
Halte du!
Leopold:
Sag mal, du sagtest doch vorhin, ein Zahn
Soll auch von Nutzen sein?
Adam:
Jawohl, bei Mondschein
Macht er ein' unsichtbar', das kommt daher,
Weil Mond und Galgen stehn in einem Bund.
Der Mond und Galgen?
Leopold:
Hast denn nie bemerkt.
Adam:
Daß stets der Mond am Rabensteine leuchtet?
Leopold:
Ja, das ist wahr!
Es gibt davon ein Lied.
Adam:
Ein Lied?
Leopold:
Adam:
Jawohl, ich will es einmal singen.
Niklas:
Um Gott, doch hier nicht!
Leopold:
Halt er's Maul, er Memme!
Adam
„Es sprach der liebe Gott zum Mond:
Was nutzt du nächtlich scheinen? —
O Herr, es könnt im Straßenkot
Ein armes Kindlein weinen! —
(singt):
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