Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Willenserregung in die Tat, bejahend oder Im Charakter erkennen wir das geistige Ergebnis der Vernunfterkenntnis ist die Nun spricht die Erfahrung dafür, daß kann die Vernunftbetätigung nicht selbst in Dieses Überzeugtsein ist - Wohl zu unter¬ Die Möglichkeit der Loslösung der Willens- Die Betrachtung deS Wesens der Willens¬ Das menschliche Leben zeigt im Beginn Mit der Entfaltung der Bewußtheit zum Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Willenserregung in die Tat, bejahend oder Im Charakter erkennen wir das geistige Ergebnis der Vernunfterkenntnis ist die Nun spricht die Erfahrung dafür, daß kann die Vernunftbetätigung nicht selbst in Dieses Überzeugtsein ist - Wohl zu unter¬ Die Möglichkeit der Loslösung der Willens- Die Betrachtung deS Wesens der Willens¬ Das menschliche Leben zeigt im Beginn Mit der Entfaltung der Bewußtheit zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319235"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1616" prev="#ID_1615"> Willenserregung in die Tat, bejahend oder<lb/> verneinend, umzusetzen aus den: Charakter,<lb/> d. i. der gegebenen inneren Bestimmtheit des<lb/> individuellen Wirkungsvermögens als Quelle<lb/> des Wollens, im vernünftigen Willen hingegen<lb/> aus dein geistigen Wirkungsvermögen der<lb/> Vernunft als Quelle der Erkenntnis.</p> <p xml:id="ID_1617"> Im Charakter erkennen wir das geistige<lb/> Wirken gebunden an die Gesetzlichkeit der<lb/> organischen Materie; leibliche und geistige<lb/> Anlagen und Entwicklungen sind hier eng<lb/> verknüpft zu einem konstanten Gebilde, dessen<lb/> Einfluß auf die Willensbestimmung durch seine<lb/> UnVeränderlichkeit die Bedeutung der Nötigung<lb/> besitzt. Unter Gesinnung hingegen verstehen<lb/> wir das geistige Wirken, losgelöst von der<lb/> Verknüpfung mit dein Leibe und von dessen<lb/> beharrender Gesetzlichkeit befreit zu wechselnder<lb/> Selbstbestimmung aus der Vernunft. Nötigung<lb/> kann hier allein von der Vernunft ausgehen.</p> <p xml:id="ID_1618"> Ergebnis der Vernunfterkenntnis ist die<lb/> Forderung unbedingter Wirklichkeit, die, weil<lb/> sie als solche im durchgängig bedingte» Be¬<lb/> wußtsein niemals völlig erfüllt und verwirk¬<lb/> licht werden kann, immer nur als uoch zu<lb/> vollendende und als sein sollende zu begreifen<lb/> ist. Das ist die „Idee" der Wirklichkeit,<lb/> welche sich für die praktische Geistesbetätigung<lb/> in eine Vielheit gesonderter, auf gewisse<lb/> Gruppen der Erfahrungswirklichkeit bezogener<lb/> Ideen zerlegt.</p> <p xml:id="ID_1619" next="#ID_1620"> Nun spricht die Erfahrung dafür, daß<lb/> Ideen eine große Macht auf die Willens¬<lb/> bestimmung auszuüben vermögen. Voraus¬<lb/> setzung hierfür ist die volle Gewißheit der<lb/> Notwendigkeit der betreffenden Vernunft¬<lb/> forderung. Durch objektive Erkenntnis, aus<lb/> der den Sinnen und dem Verstände ergreif-<lb/> barcn äußeren Wirklichkeit kann diese Gewi߬<lb/> heit nicht gewonnen werden; die Idee schließt<lb/> die Möglichkeit der Bestätigung durch Er¬<lb/> fahrung aus. Jene Gewißheit ist nur als<lb/> subjektiver Bestand möglich; sie muß im<lb/> individuellen Geiste selbst entspringen, kann<lb/> demzufolge nur dann eine Nötigung bedeuten,<lb/> wenn sie als mit der Natur, mit der unver¬<lb/> änderlichen EigenartdesinenschlichenWirkungs-<lb/> vermögenS gegeben begriffen wird. Das ist<lb/> jedoch für eine Betätigungsform der Vernunft<lb/> nicht zulässig; als über alles Begrenzte und<lb/> gesetzlich Bestimmte hinausstrebendes Wirken</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1620" prev="#ID_1619"> kann die Vernunftbetätigung nicht selbst in<lb/> solckie Grenzen und Gesetzlichkeit eingeschlossen<lb/> sein. Die zwingende Gewalt der Idee wirkt<lb/> nicht von außen, von? Objekt her auf das<lb/> Innere, sondern im Inneren selbst, als<lb/> subjektive Wirklichkeit. Es ist dies die Be¬<lb/> wußtseinsbestimmtheit, die wir als „innerste<lb/> Überzeugung" bezeichnen und als unser<lb/> eigenstes Eigentum bewerten, weil wir eS im<lb/> eigenen Geiste verspüren und schöpfen.</p> <p xml:id="ID_1621"> Dieses Überzeugtsein ist - Wohl zu unter¬<lb/> scheiden von der Gewißheit objektiver Er¬<lb/> kenntnis; diese wird entweder durch Sinne<lb/> und Verstand als Vermittler äußerer Wirk¬<lb/> lichkeit, oder aber durch die restlose Überein¬<lb/> stimmung der Erkenntnis mit dem Charakter,<lb/> also entweder durch die äußere oder durch<lb/> die innere Natur dem Bewußtsein aufgenötigt.</p> <p xml:id="ID_1622"> Die Möglichkeit der Loslösung der Willens-<lb/> bestimmung von aller Nötigung besteht sonach<lb/> nur für den vernünftigen, durch Ideen be¬<lb/> stimmten Willen, der zugleich den demMenschen<lb/> erreichbaren höchsten Grad der Befreiung von<lb/> der Bedingtheit durch die überkommene eigene,<lb/> sowie der Unabhängigkeit von der äußeren<lb/> Natur darstellt.</p> <p xml:id="ID_1623"> Die Betrachtung deS Wesens der Willens¬<lb/> bestimmung ergibt:</p> <p xml:id="ID_1624"> Das menschliche Leben zeigt im Beginn<lb/> nur Triebwirkungen, welche den Aufbau deS<lb/> Leibes und die Entwicklung seiner Organe<lb/> und Glieder zu voller Leistungsfähigkeit be¬<lb/> gleiten und mit der fortschreitenden Diffe¬<lb/> renzierung der organischen Tätigkeiten zu¬<lb/> nehmend mannigfaltige Wirkungsformen an¬<lb/> nehmen, dabei durchaus dem Zwange unter¬<lb/> liegend, den die individuelle innere Gesetzlich¬<lb/> keit, auf der das Fürsichsein der Lebewesen<lb/> beruht, auf alle Lebensbetätigung ausübt.<lb/> Der Mensch ist soweit reines Nnturwesen.<lb/> Auch dann noch, wenn die Ausbildung der<lb/> Sinnestätigkeit und des Verstandes allmählich<lb/> wachsenden Einfluß auf die Trieberregungen<lb/> gewinnt und sie zu bewußten Willensakten<lb/> werden läßt, die wir als den natürlichen<lb/> Willen begreifen, bleibt das menschliche Leben<lb/> beherrscht dnrch die eigene innere und durch<lb/> die umgebende, fremde Natur.</p> <p xml:id="ID_1625" next="#ID_1626"> Mit der Entfaltung der Bewußtheit zum<lb/> Selbstbewußtsein, mit der Gewißheit, in der<lb/> Eigenart des Fürsichseins eine Quelle selb-</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Willenserregung in die Tat, bejahend oder
verneinend, umzusetzen aus den: Charakter,
d. i. der gegebenen inneren Bestimmtheit des
individuellen Wirkungsvermögens als Quelle
des Wollens, im vernünftigen Willen hingegen
aus dein geistigen Wirkungsvermögen der
Vernunft als Quelle der Erkenntnis.
Im Charakter erkennen wir das geistige
Wirken gebunden an die Gesetzlichkeit der
organischen Materie; leibliche und geistige
Anlagen und Entwicklungen sind hier eng
verknüpft zu einem konstanten Gebilde, dessen
Einfluß auf die Willensbestimmung durch seine
UnVeränderlichkeit die Bedeutung der Nötigung
besitzt. Unter Gesinnung hingegen verstehen
wir das geistige Wirken, losgelöst von der
Verknüpfung mit dein Leibe und von dessen
beharrender Gesetzlichkeit befreit zu wechselnder
Selbstbestimmung aus der Vernunft. Nötigung
kann hier allein von der Vernunft ausgehen.
Ergebnis der Vernunfterkenntnis ist die
Forderung unbedingter Wirklichkeit, die, weil
sie als solche im durchgängig bedingte» Be¬
wußtsein niemals völlig erfüllt und verwirk¬
licht werden kann, immer nur als uoch zu
vollendende und als sein sollende zu begreifen
ist. Das ist die „Idee" der Wirklichkeit,
welche sich für die praktische Geistesbetätigung
in eine Vielheit gesonderter, auf gewisse
Gruppen der Erfahrungswirklichkeit bezogener
Ideen zerlegt.
Nun spricht die Erfahrung dafür, daß
Ideen eine große Macht auf die Willens¬
bestimmung auszuüben vermögen. Voraus¬
setzung hierfür ist die volle Gewißheit der
Notwendigkeit der betreffenden Vernunft¬
forderung. Durch objektive Erkenntnis, aus
der den Sinnen und dem Verstände ergreif-
barcn äußeren Wirklichkeit kann diese Gewi߬
heit nicht gewonnen werden; die Idee schließt
die Möglichkeit der Bestätigung durch Er¬
fahrung aus. Jene Gewißheit ist nur als
subjektiver Bestand möglich; sie muß im
individuellen Geiste selbst entspringen, kann
demzufolge nur dann eine Nötigung bedeuten,
wenn sie als mit der Natur, mit der unver¬
änderlichen EigenartdesinenschlichenWirkungs-
vermögenS gegeben begriffen wird. Das ist
jedoch für eine Betätigungsform der Vernunft
nicht zulässig; als über alles Begrenzte und
gesetzlich Bestimmte hinausstrebendes Wirken
kann die Vernunftbetätigung nicht selbst in
solckie Grenzen und Gesetzlichkeit eingeschlossen
sein. Die zwingende Gewalt der Idee wirkt
nicht von außen, von? Objekt her auf das
Innere, sondern im Inneren selbst, als
subjektive Wirklichkeit. Es ist dies die Be¬
wußtseinsbestimmtheit, die wir als „innerste
Überzeugung" bezeichnen und als unser
eigenstes Eigentum bewerten, weil wir eS im
eigenen Geiste verspüren und schöpfen.
Dieses Überzeugtsein ist - Wohl zu unter¬
scheiden von der Gewißheit objektiver Er¬
kenntnis; diese wird entweder durch Sinne
und Verstand als Vermittler äußerer Wirk¬
lichkeit, oder aber durch die restlose Überein¬
stimmung der Erkenntnis mit dem Charakter,
also entweder durch die äußere oder durch
die innere Natur dem Bewußtsein aufgenötigt.
Die Möglichkeit der Loslösung der Willens-
bestimmung von aller Nötigung besteht sonach
nur für den vernünftigen, durch Ideen be¬
stimmten Willen, der zugleich den demMenschen
erreichbaren höchsten Grad der Befreiung von
der Bedingtheit durch die überkommene eigene,
sowie der Unabhängigkeit von der äußeren
Natur darstellt.
Die Betrachtung deS Wesens der Willens¬
bestimmung ergibt:
Das menschliche Leben zeigt im Beginn
nur Triebwirkungen, welche den Aufbau deS
Leibes und die Entwicklung seiner Organe
und Glieder zu voller Leistungsfähigkeit be¬
gleiten und mit der fortschreitenden Diffe¬
renzierung der organischen Tätigkeiten zu¬
nehmend mannigfaltige Wirkungsformen an¬
nehmen, dabei durchaus dem Zwange unter¬
liegend, den die individuelle innere Gesetzlich¬
keit, auf der das Fürsichsein der Lebewesen
beruht, auf alle Lebensbetätigung ausübt.
Der Mensch ist soweit reines Nnturwesen.
Auch dann noch, wenn die Ausbildung der
Sinnestätigkeit und des Verstandes allmählich
wachsenden Einfluß auf die Trieberregungen
gewinnt und sie zu bewußten Willensakten
werden läßt, die wir als den natürlichen
Willen begreifen, bleibt das menschliche Leben
beherrscht dnrch die eigene innere und durch
die umgebende, fremde Natur.
Mit der Entfaltung der Bewußtheit zum
Selbstbewußtsein, mit der Gewißheit, in der
Eigenart des Fürsichseins eine Quelle selb-
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